MARTIN SCHAUB

CACHEMIRE (EVA CECCAROLI)

SELECTION CINEMA

In verblüffend einleuchtenden Ellipsen erzählt Cachemire die Geschichte einer Bahnhofbegegnung, eines schönen Sturms der Sinne, eines wortlosen Moments der Nähe. Nicht nur die Geschichte also, sondern diese Stimmung eines Sichselberfindens in der Selbstpreisgabe.

Die Kamera Hugues Ryffels macht sich an den erotischen Details der Begegnung fest: an den Gesichtern, den Körpern, den Körperteilen und Gesten einer flüchtigen Begegnung, der das Bild die Flüchtigkeit quasi zu nehmen versucht. Die Erscheinung scheint aus einer traumhaft genauen Erinnerung wiederhergestellt zu werden, nicht umgekehrt.

Das Prinzip der Umkehrung und Verschiebung manifestiert sich auch auf anderer Ebene: Der kurze Film „beruft sich“ auf einen Abschnitt am Beginn von Flauberts Education sentimentale, der den Moment des Begehrens aus der Sicht eines Mannes beschreibt. Dieser Text wird nach dem Höhepunkt von der Filmautorin selber gelesen, die damit und mit anderen kleinen Zeichen die Begierde auch für die Frau beansprucht. Und ganz deutlich wird das Prinzip der Umkehrung und des Austausches im Motiv des Schals, der als „Liebespfand“ den Besitzer wechselt und den Mann verändert.

Der Text ist wie übrigens auch die Musik von Louis Crelier eine Unterstreichung des wortlosen sinnlichen Erlebnisses der beiden Figuren und des Zuschauers: einerseits mit einer distanzierten literarischen Referenz, andererseits mit einer Umsetzung, die beinahe die taktile Kommunikation beschwören soll.

Cachemire gelingt während kurzer Zeit Erotik, und das nicht in der gewohnten Männerperspektive. Seltene Momente.

Martin Schaub
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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