BRIGITTE MAYR

THERE'S ALWAYS TOMORROW: 6 A.M. IN PUNXSUTAWNEY

ESSAY

»Come what come may, time and the hour runs through the roughest day.«

– William Shakespeare: Macbeth

Weiße Wolken treiben unter einem blau durchblitzten Himmel. Die Kamera ist mitten in dieses im Zeitraffer vorbeiziehende Wolkenmeer gerichtet. Dazu hört man die scheppernde Melodie einer Tuba, die mit ihrem Hmmtatahmmtata an eine russische Blasmusikkapelle erinnert. Groundhog Day (Harold Ramis, USA 1993) spannt sich in gro­ßen Lettern über das Firmament. Schon im Titel ist ein Zeitbegriff enthalten, im hastigen Zug der Wolken wird ein kinematographisches Verfahren evoziert, in dem die temporale Beschleunigung sichtbar wird, und in der Begleitmusik ein zählbarer Takt, der die strenge Maßeinheit einer rhythmischen Bewegung wiedergibt.

»Heute hat mich jemand gefragt: >Phil, wo wärst du gerne?<« Schwarzfilm, während wir diese Stimme hören. Dann sehen wir eine Hand, die mit ausschweifenden Bewegungen vor einer Blue-Screen-Wand das Wetter kommen­tiert. Die Wolkenströme, die Sturmgebiete, die Hochs und Tiefs befinden sich auf einem Monitor rechts außerhalb des Blickfelds der Fernsehzuschauer, denen Phil seine mehr als originellen Prognosen für die nächsten Tage stellt. Er agiert in einer Art bildleerem Vakuum, erst in dem durch die TV-Kamera gefilterten Bild am Fernsehschirm verschmelzen Phils Hände und sein Körper in der Über­blendung mit den Isobaren des herrschenden Klimas. Die Linien des fallenden bzw. steigenden Barometers scheinen sich in keiner Richtung des Raumes, son­dern längs einer Zeitdimension bewegt zu haben. Phil trägt eine Armbanduhr.

Die Anchorwoman im News-Room, die er hinter der Kamera verächtlich als »Betonfrisur« tituliert, belehrt er auf Sendung süßlich, daß er morgen zu den 10-Uhr-Nachrichten nicht da sein könne, denn am 2. Februar werde traditio­nellerweise Murmeltier-Tag gefeiert und er reise bereits zum vierten Mal nach Punxsutawney, um über dieses Ereignis zu berichten. Auch Larry, seinen Ka­meramann, und Rita, die Produktionsleiterin, die ihn begleiten sollen, behan­delt er herablassend, spricht ihnen jeglichen Humor ab und äußert sich über­heblich über das Hinterwäldlerdorf, zu dem sie gemeinsam aufbrechen. Seinem Chef vom Dienst garantiert Phil die Rückkehr bis zu den morgigen 5-Uhr-Nachrichten, betont, daß er keine Stunde länger als nötig wegbleibe. Ein Mann unter sichtlichem Zeitdruck, der sich wohl verdächtig machen würde, müßte er um seine Deadline nicht feilschen. Termine nach egoistischem Ermessen fest­zusetzen, scheint ihm zudem die nicht zu verachtende Chance zu bieten, rück­sichtslos und nach Belieben Macht auszuüben. Auf dem Fernsehschirm bricht ein nebelähnliches Wolkenband erst nach und nach auf, darunter zeigt sich das dichte Straßennetz einer großen Stadt. Nun wird vom TV-Schirm überblendet auf die Realität, und die Filmkamera überfliegt in schwindelnder Höhe die Skyscrapers und Highways von Pittsburgh, zoomt dann auf eine der Ausfallstra­ßen, und der Aufnahmewagen des Senders WPBH 9 kommt ins Bild.

Mächtig viele Ps tauchen auf. Die Alliterationen reichen von Pittsburgh, Pennsylvania, Punxsutawney bis zum Vornamen Phil, den sowohl unser zyni­scher Wetterfrosch als auch das Murmeltier trägt. Der Namensvetter, der der menschlichen Sprache mächtig ist, erläutert schulmeisterlich den populären Brauch, bei dem das Murmeltier nach seinem Winterschlaf aus dem Bau kommt und – wenn es seinen Schatten sieht – sechs weitere Wochen Winter vorhersagt. Während Rita und Larry dieser Tradition durchaus etwas abgewinnen können und auch gerne Konversation betreiben, betont Phil während der gemeinsamen Fahrt im Bus mehrmals, daß es das letzte Mal sei, daß er nach Punxsutawney fährt, denn: Irgendwann einmal sieht mich jemand bei einem Murmeltier-Interview und denkt, ich hätte keine Zukunft.« Andere Menschen sind für Phil Schwachköpfe, er verabscheut sie so, wie er sich im Grunde selbst haßt. Doch davon weiß er noch nichts, denn Wissen, Lernen und Erfahrung sind mit dem Aufwand von Zeit verbunden, und die hat Phil selten.

»Es kommen härtere Tage

Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont«

– Ingeborg Bachmann

Der Bus passiert das Ortsschild der »Original Weather Capital of the World since 1887« und biegt auf den Hauptplatz von Punxsutawney ein, wo gerade Vorbereitungen für den großen Tag getroffen werden. Phil ist desinteressiert und hat auch wenig Lust, mit seiner Crew, die in einem anderen Hotel unter­gebracht ist, den Abend zu verbringen. Rita, die sich um seine Übernachtungs­möglichkeit gekümmert hat, lobt er zwar, doch sein »Halt den Kreativen stets bei Laune!« wirkt präpotent. Sein Team nimmt's aber leicht; Larry amüsiert, daß Phil sich selbst für den Kreativen hält, wo doch er die Kamera macht, und Rita verabschiedet sich vom verdrießlichen Wettermann mit der Floskel »Don't be late«.

Der Morgen bricht an. Ein digitaler Wecker zeigt die Ziffern 5.59, bevor die Blättchen hurtig nach unten klappen und sich mit der neuen Uhrzeit 6.00 auto­matisch das Radio einschaltet. Der Sender spielt »I Got You Babe«, die Kamera schwenkt langsam über die Bettdecke und zeigt uns den bis an den Hals ein­gemummelten Phil, der müde seine Augen öffnet. Die Conference zweier Ansager »Raus aus den Federn! Nicht die warmen Schühchen vergessen! Heute wird es kalt!« begleitet die gewohnten Tätigkeiten, mit denen Phil diesen Tag beginnt: aufstehen, in den Spiegel sehen, das Gesicht waschen, abtrocknen, zum Fenster gehen, einen nicht sonderlich interessierten Blick auf die Straße werfen, dabei routiniert das Wetter prüfen. Arrogant antwortet er einem dicken Mann, der ihn im Treppenhaus der Frühstückspension danach fragt, ob dieses Jahr wohl ein früher Frühling zu erwarten sei, mit »Ich tippe auf den 21. März« und läßt den Verdutzten einfach stehen. Ebenso anmaßend verhält er sich ge­genüber der Hauswirtin, die gerne ein kleines »Schwätzchen« mit ihm geführt hätte, der er stattdessen aber die Entwicklung des Wetters erläutert und sie in jovialer Weise übergeht. »Are you checking out today?« fragt ihn Mrs. Lanca­ster nach dieser Vorführung fassungslos, und Phil antwortet mit »Die Abreisewahrscheinlichkeit beträgt 100 Prozent« in einer klimatisch vertrauten, hygro­skopischen Größe. »See you later«, sagt Phil leichthin zum Abschied und tritt aus der Tür.

Als er um die Ecke zum Hauptplatz biegt, passiert er einen alten Bettler und trifft Ned Ryerson, einen ehemaligen Schulkameraden, der ihm mit seinem stupiden Geschwätz wie auch allerlei hausbackenen Redensarten lästig fällt und den er schnell loswerden möchte. Unachtsamerweise tritt er dabei in eine tiefe Pfütze, was Ned zu einem sardonischen Lachen und zu der hintergründigen Bemerkung »Watch your first step« animiert und bereits Phils späteren – nicht mehr allein metaphorischen – »Reinfall« andeutet. Zwei Begriffe in Neds Satz verweisen auf die Zeit: Das Numerale beschreibt eine kontinuierliche Serie, das Wort »Schritt« schließt die Vorstellung von Tempo und zurückgelegtem Weg ein. Das Geschäftsschild »Frames« im Hintergrund scheint den beschränkten Rahmen, innerhalb dessen Phil aktiv werden kann, bereits zu kommentieren.

»Das Leben in sich selbst ist die Zeit für den Menschen. Für den Menschen gibt es keine und kann es keine Zeit außerhalb der Zeit seines Lebens geben. Der Mensch ist sein Leben. Sein Leben ist seine Zeit.«

– P. D. Ouspensky

Die Kamera schwenkt über Gobbler's Knob, den großen Platz, auf dem sich um sieben Uhr morgens zahllose Schaulustige eingefunden haben, und Phil, der den Ort, an dem sich das Murmeltier zeigen soll, hastig quert, wird von Rita mit »Hey, hier sind wir!« begrüßt, dann folgt »Wo haben Sie so lange gesteckt?«, und zuletzt übergeht sie seine läppischen Bemerkungen einfach mit »lt's show­time: One, two, three, go«. Die Ansage sehen wir nicht als Filmbild, sondern in der TV-Aufzeichnung von Larrys Kamera, die Phils Kopf zwischen zwei gro­ßen Klammern in einem Rahmen zeigt, an dessen einer Ecke das rotblinkende Licht und das Insert »rec.« darauf verweisen, daß hier etwas aufgezeichnet und festgehalten wird. »Once a year, early spring«, beginnt Phil seine sarkastische Reportage über den anderen Phil, den er als »prognosticater of prognostica­ters« bezeichnet, was er insgeheim wohl selbst gerne wäre. Blasiert berichtet er über die von allen Anwesenden mit lauten Buhrufen kommentierte Tatsache, daß der Winter noch andauern wird, da um 7 Uhr 20 Minuten und 30 Sekunden das Murmeltier seinen Schatten erblickte.

Als alles im Kasten ist, kann Phil Punxsutawney gar nicht schnell genug verlassen, doch der Bus wird auf einer der Ausfallstraßen durch eine Sperre ge­stoppt. Die Witterung hat sich zusehends verschlechtert, ganz entgegen der Vor­aussage Phils, der den Schneesturm für das weiter nördlich gelegene Altoona prophezeit hatte und nun zornig auf die nicht zutreffende Prognose reagiert: »Ich mache das Wetter!« Der vor einem Tunnel diensttuende Polizist schnauzt Phil an, überläßt ihm aber die Entscheidung, zurück- oder weiterzufahren. Ganz Egotist, versucht Phil eine Kontaktaufnahme mit der Außenwelt per Telefon, aber die Verbindung wird unterbrochen. Er sitzt fest.

»Die Materie hat eben vier Dimensionen, und wir vermögen uns nur in dreien zu bewegen. Wir glauben irrtümlich, unsere Schranke sei der Raum, aber gerade der ist für uns nach allen Seiten offen. Unsere große Schranke ist die Zeit, an der wir sozusagen festgewachsen sind.«

– Egon Friedell

Das Bild: 6.00. Wecker. Bettdecke. Phils Kopf. Die Musik: »I Got You Babe«. Die Radiostimme: »Raus aus den Federn!« Phil beginnt seinen Tag wie immer, denn jeden Morgen beim Erwachen tritt er in eine vertraute Welt ein, in der er – wie wir alle – die Gegebenheiten, die ihn erwarten, akzeptiert oder sie so zu manipulieren sucht, daß sie sich für ihn angenehmer gestalten. Noch schöpft Phil keinen allzu großen Verdacht, noch kommentiert er den identischen An­sagetext durch ein »Jungs, ihr habt das Band von gestern«, noch amüsiert er sich über das Treffen im Treppenhaus mit einem »Haben wir das nicht schon einmal gemacht?«. Auch die Wirtin reagiert ratlos, und als Phil sie fragt: »Haben Sie manchmal ein Déjà-vu?«, schlägt sie hilfsbereit vor, in der Küche nachzufragen. »Hier bin ich schon einmal gewesen.« Eine solche, jedermann bekannte situa­tive Einschätzung tritt auch in anderen Formen auf: als Déjà-entendu – das habe ich schon einmal gehört –, als Déjà-fait – das habe ich schon einmal gemacht –, als Déjà-rêvé – das habe ich schon einmal geträumt – oder als Déjà-vécu – das habe ich schon einmal erlebt. Der Bettler am Eck, das Treffen mit Ned Ryerson, Gobbler's Knob, Ritas Standardsätze zur Begrüßung, auf die Phil verwirrt antwortet: »Irgendwas geht hier vor.« Doch die Bewegung ist Blendwerk, denn die Zeit steht still, und Phil ist in diesem Tag gefangen. Von nun an spielt sich jeden Morgen das gleiche Ritual ab, und egal, was Phil probiert, um dagegenanzukommen, daß ihn der Radiowecker Punkt sechs mit »I Got You Babe« aus dem Schlaf reißt, es läuft Tag für Tag schief. Einmal will er dem gewohnten Ab­lauf vorauseilen und verläßt das Haus ein paar Minuten früher, dann wieder entschlüpft er dem nervenden Ned Ryerson mit einem Trick, lernt Mißge­schicken, wie etwa dem Tritt in die Pfütze, aus dem Weg zu gehen, provoziert, nachdem er erkannt hat, daß es für sein Tun keine Strafe gibt, die Polizei mit einer Verfolgungsjagd und verspricht wahllos Frauen die Ehe, woran sich diese schon 24 Stunden später nicht mehr erinnern können.

Nur Ritas Aufmerksamkeit kann Phil nicht so leicht auf sich ziehen. Er bit­tet sie um mehrere Aussprachen, an den zahllosen Wiederholungstagen sitzen sie im Café »Tip Top«, und Phil versucht ihr klarzumachen, in welch grauenhaftem Kreislauf er sich gefangen fühlt. Doch Rita lebt in einer anderen Rea­lität, für sie ist jedes von Phils Déjà-vécus ein neuer Tag. Im Café hinter Phil hängen zwei Uhren an der Wand, die die beiden divergierenden Zeitzonen sym­bolisieren. Zwei auf den ersten Blick unterschiedliche Zeigerstellungen – einmal halb zwölf und einmal fünf vor sechs – sehen ganz ähnlich aus, und erst wenn sie in die Relativität eines Systems – das ein Vorher, Jetzt und Später kennt – ein­geordnet werden, erschließt sich die chronometrische Konnotation.

Mit Hilfe des Gedächtnisses erwerben wir eine Vergangenheit und eine Zukunft. Das Erinnern ermöglicht, bereits Erlebtes für kommende Entscheidungen zu nützen, und eröffnet dadurch einen zeitlichen Horizont, innerhalb dessen wir sinnvoll agieren möchten. Dabei versuchen wir stets, die Dauer des Schwindenden zu messen, damit uns die Zeit nicht sinnlos zwischen den Fin­gern zerrinnt, Entwicklungsprozesse genau zu beschreiben, um sie anhand einer Biographie präzise festmachen zu können. Unterstützt von einem stetig reproduzierenden Gedächtnis, sollen Erkenntnisse bewußt und Wissen begreif­bar sowie beides zur Grundlage unseres Handelns gemäß dem Motto »Kommt Zeit, kommt Rat« gemacht werden.

»>Das kommt davon, wenn man rückwärts in der Zeit lebt<, sagte die Königin freundlich, >aber einen Vorteil hat es doch, nämlich daß das Gedächtnis nach vorne und rückwärts reicht.< >Also, meines reicht nur nach rückwärts<, bemerkte Alice, >ich kann mich nie an etwas erinnern, bevor es geschieht.< >Eine dürftige Art von Gedächtnis<, stellte die Königin fest. >Woran könnt ihr Euch denn am besten erinnern?< fragte Alice vorsichtig. >Ach<, versetzte die Königin leichthin, >an verschiedenes, was übernächste Woche geschah.<«

– Lewis Carroll

Während Phil fähig ist, sich zu erinnern, und weiß, daß er seit Wochen denselben Tag durchlebt, agieren die Bewohner von Punxsutawney und auch sein Team wie unter einem Glassturz, denn sie begehen den Murmeltier-Tag so, als feierten sie ihn stets zum ersten Mal. Sie besitzen kein über 24 Stunden hinaus­reichendes Gedächtnis, können den Ablauf der Ereignisse nicht so exakt be­wahren wie Phil, sind nicht imstande, die soziale Biographie ihrer Stadt in einen 3. Februar – der sich nicht und nicht einstellen mag – hineinzutragen. Sie den­ken, frei nach Einstein, nicht über die Zukunft nach, denn die kommt früh genug.

Phil sitzt am Gobbler's Knob und liefert eine Vor-Erzählung der in Sekun­den darauf folgenden Geschehnisse: »Ein kleiner Windstoß – ein Hund bellt – da ist der Transporter – Herman und Felix – Felix steigt aus – Doris kommt und wechselt eine Rolle Kleingeld – 10, 9, 8, ein Auto, 3, 2 ...« Wir hören von die­sen Ereignissen durch Phil und sehen dann die szenische Umsetzung, gerade so, als würde er für uns das Drehbuch kommentieren, Regie bei einem Film im Film führen. In dem Moment, wo sich alle Beteiligten nach heruntergefallenen Münzen bücken und Phil den Rücken zuwenden, begeht der Wettermann a. D. einen Überfall auf den Geldtransporter und greift sich eine der Taschen. Er investiert einen Teil in einen metallic blauen Mercedes und finanziert sich sein mittlerweile aufwendiges Leben, das er ganz in den Dienst der Eroberung Ritas gestellt hat. (Wozu er die Banknoten in seiner Zeitschleife benötigt – jeden Morgen sind Dinge, die er beschädigt hat, wieder ganz, jeden Tag begegnen ihm die Menschen mit derselben unvoreingenommenen Einstellung – und warum sich die am Groundhog Day ausgegebenen Dollars am nächsten Morgen nicht wieder ebenso unversehrt in seinem Portemonnaie befinden, dazu später mehr.)

Wie ein Ritter des Mittelalters nähert er sich der verehrten Frau in wahrer Minnetradition, hält höfliche Distanz, registriert aber bis ins kleinste Detail ihre Vorlieben, Wünsche, Träume. Täglich spioniert Phil Rita ein bißchen gründ­licher aus, weiß über ihre Faibles bald ebenso Bescheid wie über ihren Ideal­mann, entlockt ihr Geheimnis um Geheimnis, um ihr bei jeder Begegnung stär­ker imponieren und in absehbarer Zeit den perfekten Liebhaber abgeben zu können. Im Film wird eine beinah identische Barszene mehrmals hintereinan­der montiert, in der Phil auf Rita nach und nach großen Eindruck macht, weil er – jeden Mißgriff beim nächsten Mal vermeidend – allmählich den richtigen Drink für sie ordert, in sanftmütiger Untertreibung sein italophiles Wesen unter Beweis stellt und zu guter Letzt auch noch unter Ritas ehrlicher Bewunderung auf den Weltfrieden anstößt. Doch wie die wahre Minne keine Erfüllung findet, gelingt es auch Phil nicht, Rita vollends für sich zu gewinnen. Dornröschen gleich schlummert sie in einem hundertjährigen Schlaf und vergißt von Tag zu Tag, daß sie Phil bereits näher kennt. Erst als sie sich in ihn verliebt, weil er immer mehr zu ihrem »intelligenten, romantischen, lustigen, couragierten und sensiblen« Traummann konvertiert, bleibt ein Gefühl von Sympathie und Ver­trautheit zurück. Ganz Pragmatikerin, deutet Rita dies als Liebe auf den ersten Blick und freut sich, den Tag zwar mit einer gewissen Erwartung begonnen zu haben, ihn aber mit einer überraschenden Wendung beenden zu können. Sie erlebt die Stunden mit Phil als wunderbare und perfekte Einheit und meint; »Es gibt niemand, der das so planen könnte.« Phil widerspricht ihr, wissend, er kann, auch wenn es ein »Haufen Arbeit« ist. Seine Flirts sind im Grunde zeit­los geworden, er setzt keine Hoffnung mehr in Kommendes, sondern konzi­piert und organisiert die gemeinsamen Abende und wenigen Glücksmomente mit Rita ganz exakt.

»Das vorherrschende Zeitbewußtsein ist einerseits mit Linearität, Kontinuität, Gerichtetheit, Optimismus, Zukunftsbezogenheit, gleichmäßiger Gliederung, kausaler Verknüpfung und Dynamik verbunden. Auf der anderen Seite ist demgegenüber eine Hervorhebung des Gegenwartserlebnisses zu beobachten, eine Intensivierung und Isolierung des Augenblicks. Ge­dankliches Hilfsmittel dabei ist die Unterscheidung von äußerer, mechanischer, toter oder leerer Zeit einerseits und innerer Erlebniszeit andererseits, in der das Eigentliche und Wertvolle gesehen wird.«

— Rudolf Wendorff

Rita ist eine reichlich konventionelle Frau, die sich auch dementsprechend er­reichbare Ziele gesetzt hat, die Kinder und Karriere will, Liebe und eine Heirat ersehnt. Ihre Existenzwünsche und -ängste breitet sie gleich einer Landkarte vor Phil aus. Trotz einer gewissen Zufriedenheit scheint sie – wie wir auch – seltsam beunruhigt, weil die Reise längs fixer Laufbahnen so vorhersagbar, das heutige gleich dem gestrigen Wegstück ist und sich dadurch das unangenehme Gefühl breitmacht, in einer durch und durch strukturierten Routine zu versin­ken. Hochtrabende Träume hat Rita längst begraben, das ehedem betriebene Studium der französischen Lyrik beschreibt sie enthusiastisch, hat aber inzwi­schen gelernt, mit minder weltfremden Allüren zu reüssieren. Sie ist längst nützliches Mitglied einer Gemeinschaft geworden, wofür sie zwar ein bißchen von ihrer Individualität eingebüßt, aber auch die Vorteile eines sozialen Netzes kennengelernt hat. Alles Erfahrungen, von denen Phil beruflich wie privat mei­lenweit entfernt ist. Indem er, um Rita zu beeindrucken, Baudelaire im Original liest, setzt er sich selbst auch neue Ziele. »Carpe diem! – Nutze den Tag!« rät Horaz in den Oden. Das lateinische »carpo« bedeutet aber »pflücken, ernten, durchwandern, verzehren, genießen« und verweist damit auf ein schmarotzer­haftes Ausbeuten der »heit'ren Stunden«, die allein, laut Großmütterleins Küchenwandschoner, es zu zählen gilt. Und ist es Zufall, daß »le temps qu'il fait« – ein Begriff aus Phils Branche – nicht nur aufeinanderfolgende Witte­rungsverhältnisse und das aktuelle Wetter, sondern auch die ablaufende Zeit be­zeichnet?

Uhren ahnen nichts von Utopie, ziehen stur und gleichförmig ihre Kreise. Wir tragen das Bewußtsein der Uhrzeit stets mit uns herum, benutzen nicht nur den Chronometer, sondern werden auch dadurch, daß die Zeit in unserer Vorstellung »rund« ist, regelrecht hereingelegt. Die optische Wiederholung der Zeitnehmung – den Ablauf der Stunden nicht linear, sondern im Kreis darzu­stellen – fällt weniger auf. Nie scheinen sich die Zeiger zu fragen, ob sie sich nach dem millionsten Passieren der 12-Uhr-Marke einfach in die Büsche schla­gen sollten.

»Das Wunderbare an ihren Gewohnheiten ist für die meisten Menschen, daß sie ihnen das Gefühl vermitteln, jederzeit auch anders handeln zu können und eben darum nicht anders als gewohnheitsmäßig handeln zu müssen. Das individuell vorübergehend Nützliche, gesell­schaftlich langfristig Gefährliche dieser Illusion besteht darin, daß sie in ihrer alltäglichen Form die Chancen einer realen Veränderung gerade dadurch sabotiert, daß sie sie in Aussicht stellt.«

— Klaus Laermann

Phil kann sich in einem zugegeben engen Zeitrahmen völlig frei bewegen. Ab­wechselnd lauscht er einem Konzert im Radio, versucht sich angetrunken beim Bowling, liest, macht eine Konditorei unsicher, führt Rita ins Restaurant aus oder beteiligt sich an mehreren Runden »Jeopardy!« im Fernsehen, wobei er die ebenfalls zusehenden Pensionsbewohner verblüfft, weil er bei diesem Spiel, das eigentlich verkehrt herum abläuft (die Kandidaten müssen die korrekten Fragen zu gestellten Antworten finden), nicht nur alle Antworten, sondern auch alle Fragen weiß, lange bevor der Quizmaster sie stellt. Warum er sich ent­scheidet, jeden neuen »alten« Tag, in den er sich schon ganz gut eingelebt hat, gleich zu gestalten, läßt mehrere Schlußfolgerungen zu. Erstens mag ihm so viel an Rita liegen, daß er sie dauernd um sich haben und deshalb beinahe jede Mi­nute mit ihr verbringen will. Ein zweiter Grund könnte sein, daß Phil bisher rein oberflächliche gesellschaftliche Kontakte pflegte, sich abschottete und nun endlich seine Mitmenschen näher kennenlernen und damit nutzbringender Kommunarde einer Gemeinschaft werden möchte. Dritte Möglichkeit wäre ein sozialer Arbeitsdruck, durch den Phil bereits im »normalen« Leben so kondi­tioniert wurde, daß er ihn täglich zum Gobbler's Knob treibt, ihn dort seine Reportage machen läßt und ihn in die Synchronität mit dem Tagesablauf der Kleinstadtbewohner zwingt.

Zuerst leidet Phil unter Zeitnot, steht unter permanentem Termindruck, verdrängt seine emotionalen Mängel und verbirgt sie hinter einer zynischen Fassade. Als sein Zeitbudget im Grunde immer knapper, paradoxerweise aber auch ausufernder wird, kompensiert er durch das temporale Überangebot auch sein Gefühlsdefizit. Vergleichbar der Haltung eines Zivilisationskritikers, pro­testiert er gegen ein lineares Zeitbewußtsein, das die gängige Vorstellung von einem unablässig fließenden Strom beinhaltet, fordert eine Rückbesinnung auf die wahren Werte und weigert sich, einem weiteren Raubbau an der Zeit durch (zweifelhaften) Fortschritt in die Hände zu arbeiten. Er mißtraut einer zu pedantisch gegliederten Lebenslinie, verzichtet auf kalkulierbare Entscheidun­gen und wohlüberlegtes Verhalten, findet zu Spontaneität und konzentriert sich auf eine überschaubare und daher möglicherweise realere Gegenwart: Stürmisch küßt er die Hauswirtin, schlägt Ned Ryerson, ißt maßlos viele Süßigkeiten und geht als Bronco verkleidet ins Kino. Ähnlich der No-future-Generation entwickelt Phil eine Opposition dagegen, daß die Zukunft etwas Größeres und Besseres berge, verweigert das Planen von etwas Kommendem und verneint damit jegliche zeitliche Dynamik.

Doch so unübertroffen Phil auch alles plant – von der romantischen Stimmung beim Tanz im Gartenpavillon zur Schneeballschlacht im zugeschneiten Park, bis zum zärtlichen Tête-à-tête in seinem Hotelzimmer –, das hundertmal identisch Ausgeführte gipfelt nicht immer in der gewünschten Erfüllung: dem ersten Kuß. Rita reagiert nämlich auf Phils Eingeständnis, daß er sie liebe, mit den Worten »Du kennst mich doch gar nicht« und einer kräftigen Ohrfeige. Auch das sehen wir in einer im wahrsten Sinne slapstickartigen Montage, bei der Rita mit gleichbleibender Entrüstung in Phils Gesicht schlägt. Mit der Liebe will es nicht so recht klappen, und beruflich geht es auch bergab. Seine Wetter­ansagen (»Es wird sehr kalt und für den Rest ihres Lebens so grau bleiben«) werden immer depressiver, sein Aufzug immer derangierter; trug er zunächst manchmal Anzug, Krawatte und Hemd, erscheint er nun vor den Hotelgästen ungeniert im Pyjama oder mit offen wehendem Mantel am Gobbler's Knob. Die fade Eintönigkeit ist der Tristesse gewichen. Beim täglichen, Phil längst zur Qual gewordenen Aufwachen zeigt die Kamera ihn, als läge er statt im Bett bereits in einem Sarg. Während die Blättchen des Digitalweckers – in Großauf­nahme und Zeitlupe vier riesigen Stahlplatten gleich – in zigfacher Vergröße­rung auf das Publikum niedersausen,

»Die Vergangenheit ist vorüber, ist also nicht mehr. Die Zukunft ist noch nicht. Die Gegen­wart befindet sich so zwischen zwei Nichts. Von dem Augenblick, wo die Gegenwart da ist, ist sie schon nicht mehr und deshalb ebenfalls ein Nichts. So reduziert sich die Realität der Zeit auf ein Nichts, das sich zwischen zwei Nichts befindet.«

— Eugène Minkowski

Phil kann sich zwar von der Stelle, aber nicht fortbewegen und muß daher ein doppeltes Paradoxon ertragen: Zum Stillstand verdammt in einem scheinbaren Nichts – jeder Augenblick ist nur er selbst, leer, ohne kontinuierlichen Bezug zu einem anderen –, kommt er trotzdem nicht zur Ruhe. Zudem hindert ihn eine rege Erinnerung, vergessen zu können, was geschah und geschehen wird, und treibt ihn an den Rand des Wahnsinns. Phil sucht Hilfe beim Psychiater (indessen Praxis, nicht sichtbar, aber unüberhörbar laut eine Uhr tickt!), entführt das Murmeltier, um den Dauerwinter zu beenden, fährt mit dem Auto auf den Schwellen der Eisenbahn, versucht in bizarrsten Suizidarten und vor laufender Kamera Hand an sich zu legen: »It's showtime« persifliert er dabei Rita und zählt sich entgegen ihrem stets positivistischen »One, two, three, go« mit »Kamera auf mich drei, zwei, eins« selbst aus. Sogar der Begriff »Verrücktheit« unterwirft sich dem Diktat der Zeit, treffend im Umgangssprachlichen »Du tickst wohl nicht richtig!« zum Ausdruck gebracht. Seine Armbanduhr hat Phil längst abgelegt.

In der Industriegesellschaft beschreibt der Wahlspruch »Zeit ist Geld« das verdinglichte Bewußtsein, in dem nur Wachstum bzw. Leistung zählt, wobei das kapitalistische Zeitregime vom einzelnen fordert, seine Arbeitskraft zu­verlässig, ausdauernd und pünktlich zur Verfügung zu stellen. Stunden, Minu­ten, Sekunden sollen niemals verschwendet, sondern stets gespart werden. Wer gegen dieses Zeitmanagement verstößt – Studenten, Rentner, Arbeitslose, Kranke –, liegt außerhalb der Norm. Auch Phil steht die Entscheidung nicht offen, den Tag zu vertrödeln oder sich extrem zu beeilen, um in der dadurch gewonnenen Muße unvorhergesehenes Glück genießen zu können. Die damit verbundene Aussichtslosigkeit veranlaßt ihn zum Selbstmord, er will die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes »totschlagen«.

»Ich sagte nie, daß sich nichts ändern läßt. Sie müssen zuerst sich selbst ändern, um irgendetwas anderes zu ändern. Das ist schwierig und erfordert über einen langen Zeitraum unab­lässige Anstrengung. Man muß sich dem Leben zuerst ergeben, bevor man es erobern kann.«

— P. D. Ouspensky

»Ich bin ein Gott«, so beginnt Phil seine »Beichte«, in der der ehemalige »Sün­der« Rita gesteht, daß er jeden Morgen hier erwacht, daß er den Alltag von Punxsutawney auswendig kennt, daß er nichts dagegen machen kann und – daß er alles über sie weiß. Er macht ihr eine Liebeserklärung, bezeichnet sie – der religiösen Diktion entsprechend – als »Engel«, und gerührt entschließt sie sich, als neutrale Beobachterin mit Phil den 2. Fehruar zu teilen, einfach um zu sehen, was passiert. Natürlich geschieht auch an diesem, durch das Geständnis Phils ausgezeichneten Tag nichts anderes als bisher, aber die beiden Liebenden lernen sich besser kennen. Sie verbringen die wenigen Stunden mit Gesprächen, La­chen, Vorlesen und Kartenkunststücken. »Und das stellst du mit der Ewigkeit an?« fragt Rita, als ihr Phil einen Trick zeigt, mit dem Herz-As besser in einen Hut zu treffen. Und Phil erkennt, daß nur der, der die Zeit traditionell als Be­grenzung des Lebens auffaßt, unglücklich ist. Unter dem Aspekt der nicht christlich zu verstehenden Ewigkeit, in der Gegenwart, Vergangenheit und Zu­kunft gleichzeitig existieren, hat vergangenes Unglück ebensowenig Dauer wie künftiges Glück. Phil lernt, daß ihn diese solipsistische Zeitauffassung zu einer neuen Sicht der Dinge bringen wird. Als Rita in seinen Armen einschläft, legt er einen Eid ab, sie bis ans Ende seiner Tage zu lieben, und beschließt, seine spe­zielle Groundhog-Day-Biographie selbst in die Hand zu nehmen, in Zukunft weniger eigennützig zu denken, generöser zu handeln und dadurch auch zu größerer Zufriedenheit zu gelangen. Dieser bewußtseinsändernde Moment, in dem Phil plötzlich von einer undefinierbaren Kraft erfaßt wird, kommt un­erwartet, doch erhofft, und wird von ihm gefördert, denn nun, da er seinen ein­zigen Besitz repräsentiert, weiß er den Augenblick zu würdigen.

»Die historische Zeit ist nicht nur einfach gemessene Zeit, sondern durchlebte, erlittene, erfahrene Zeit, Zeit, die nicht durch den Minute für Minute vorrückenden Uhrzeiger be­stimmt wird, sondern durch den viel arhythmischeren Zeiger innerer Erlebnisse und äußerer Erfahrungen.«

— Jacob Burckhardt

Der Protagonist wandelt sich also, wie es die Läuterung des Bösen im klassischen Märchen vorschreibt, vom arroganten Defätisten über das Stadium des tumben Toren bis hin zum weisen Narren, dem als Glücklicher keine Stunde schlägt. Er findet zu sich selbst, entwickelt eine bemerkenswerte Persönlich­keit, lernt Klavier spielen ebenso wie Eisskulpturen schneiden und rezitiert Verse à la »Der Winter, der im Freien schlummert, trägt auf seinem lächelnden Antlitz einen Traum vom Frühling«. Aufgrund allerlei guter Taten für die Ge­meinschaft wie Reifenwechseln, medizinischer Hilfe und partnerschaftlicher Beratung erringt er eine Identität, die er – wie Schlemihl seinen Schatten – ver­kauft zu haben schien. Er wird zum beliebtesten Menschen der Stadt, und so ungemein zernagt er zuvor von Egozentrik war, so sehr geht er jetzt im sozia­len Engagement auf. Er plaudert mit den Menschen, anerkennt Larrys beruf­liches Know-how, bringt Frühstück für seine Crew, gibt dem Bettler am Eck zum allerersten Mal Geld, spendiert ihm ein Essen und wird trotzdem mit sei­nem Tod konfrontiert. »He's old and just passed away«, kommentiert die Kran­kenschwester die Vergänglichkeit von Leben und Zeit. Die Zivilisation fällt nach und nach von Phil ab, und er erschafft sich eine Art paradiesischen Zu­stand, der Gauguins Erfahrungen in Noa Noa gleicht: »Mit der Gewißheit, daß das Morgen nicht anders sein wird als das Heute, ebenso schön, senkt sich Friede in meine Seele.«

Nach wie vor wird es jeden Tag 6.00 Uhr. Phil erwacht und liegt allein im Bett. Auch wenn Rita bei ihm übernachtet hat, ist sie morgens verschwunden. Dennoch hat sich etwas verändert, denn Phil »tanzt nicht mehr nach der Pfeife anderer«, sondern trifft eigenständige Entscheidungen. Täglich rettet der neu­geborene Altruist einen Jungen, der vom Baum fiele, käme Phil nicht gerade vorbei. »I'll see you tomorrow«, ruft er dem unvorsichtigen Kind zu, hat sich also einen Zeitablauf kreiert, in dem es ein Morgen gibt, auch wenn es dem Ge­stern gleicht. Längst trägt der Wettermann seine Armbanduhr wieder, um ja nicht zu spät zu diversen Hilfsaktionen zu kommen, scheut sich nicht, den alten Mann zu reanimieren, und gibt auch seinen Prognosen einen berührend positivistischen Touch: »Als Tschechow den langen Winter erlebte, sah er triste Dunkelheit bar jeder Hoffnung vor sich. Wenn ich aber hier mit den Menschen von Punxsutawney lebe und mich ihre Herzen wärmen, kann der Winter nicht lange genug dauern. «

»Zum Alltag gehört das Beschränkte und Endlose, das Langweilige und Aufreizende, das Offensichtliche und nicht Erkannte, das Unauffällige und eigentlich nicht Wissenschafts­würdige. Im Alltag setzt sich gegen die herrschende Ordnung immer mal wieder die Forde­rung durch, daß man endlich so leben dürfen soll, wie man lebt.«

— Klaus Laermann

Am Abend des Groundhog Day steigt ein Bankett zu Ehren Phils, allerdings des Murmeltiers. Der Namensgleiche, der sich zu Beginn des Films weigerte, dieses Fest mit den »Hinterwäldlern« gemeinsam zu begehen, ist der Star des Abends, intoniert »September Morn'« am Piano, wird ringsum begrüßt, be­dankt und geherzt und zu guter Letzt von einer verblüfften Rita, die nicht fas­sen kann, wie beliebt Phil ist, obwohl er nur einmal jährlich hierherkommt, bei der Junggesellenversteigerung für 399 Dollar und 88 Cents erworben. Schon bevor sie das Sparbuch mit der beträchtlichen Summe in die Höhe reißt, hatte sie den Mann ihrer Träume mit der ökonomischen Bemerkung »You're a bar­gain« charakterisiert. Das Sparen und der Gewinn verbildlichen am besten den Zusammenhang der altbekannten Größen des Kapitals: Arbeite hart – erwirb eine Menge Geld – lege es gut in(der) Zeit an! Auch Phil hat ein zukunftsorien­tiertes Denken veranlaßt, sich bei Ned Ryerson zu versichern, Bank- und Lebenssicherheiten sind Anlageformen, bei denen alle Hoffnungen auf etwas Künftiges projiziert werden. Rita und Phil scheint aber einerlei zu sein, was morgen passiert, haben sie doch im Heute eine Exklave des individuellen Glücks gefunden.

Der zeitliche Ablauf in Groundhog Day funktioniert, ganz wie bei Erzählungen üblich, nach einem fortschreitenden Handlungsmuster: Aus der alltäg­lichen Routine wird die Aktion entwickelt, der fiktionale Referenzrahmen ab­gesteckt, mit Erzählzeit und erzählter Zeit jongliert, was ein Raffen, Dehnen, Beschleunigen, Anhalten, Vorgreifen und Zurückspringen zur Folge hat. Ob­wohl wir Tag für Tag das gleiche sehen, kommt keine Langeweile auf. Morgens. Wecker. 6.00. Sonny und Cher singen »I Got You Babe«. Die Stimmen der Radioansager. »Hey Mann, nicht schon wieder!« – »Warum? Ist doch ein guter Song!« Phil im Bett. Über seinen Oberkörper greift eine Hand und schaltet den Wecker aus. »Something is different«, murmelt ein irritierter Phil. »Gut oder schlecht?« hören wir Ritas verschlafene Stimme. Alles, was anders läuft, emp­findet Phil mittlerweile als gut, und sei der Unterschied auch – wie im mathe­matischen Differential – unendlich klein. Das Heute ist schließlich zum Mor­gen geworden, und Phil kann sich nach einem verdammt langen Gestern über den schönsten Tag in seinem Leben freuen. Denn wenn Rita bleiben konnte, verging die Zeit; wichtiges Indiz auch für Phil: Der Wecker zeigt 6.01.

»>Aber<, fügte der Zeitreisende mit resigniertem Lächeln hinzu, >eine kleine Nebenentdeckung habe ich doch gemacht. Fährt man nämlich mit der Zeitmaschine ganz langsam, kann man mit der Camera bewegliche Bilder aufnehmen.< >Seien Sie nicht böse<, erwiderte ich, >aber dazu braucht man keine Zeitmaschine. Eine ähnliche Erfindung ist von den Brüdern Lumière schon vor Jahren gemacht worden.<«

— Egon Friedell

Über die Chronophotographien Mareys und Muybridges wurde das Prinzip des Films entdeckt. Die in einzelnen Phasenbildern angehaltene (Bewegungs-) Zeit kommt mit der mechanischen In-Bewegung-Setzung der Bilderreihe selbst wieder in Fluß. Der Film entreißt der Zeit unterschiedliche Augenblickssequen­zen, deren Montage dann eine komplexe zeitliche Schichtung ergeben. Ground­hog Day thematisiert diesen filmischen Zeitbegriff, montiert die ewiggleichen 24 Stunden in 24 Bildern pro Sekunde hintereinander. Doch werden uns die zum Verwechseln ähnlichen Tage nicht einfach in einer identischen Aufnahme – die dann als Endlosschleife im Projektor rotieren müßte – gezeigt, sondern in unablässig sich ändernden Varianten vorgeführt: Zeitlichkeit erfahrbar macht erst der kinematographische Kunstgriff des Erzählens mit Hilfe von Schwenks, Fahrten, Match-cuts, Zeitraffern, Überblendungen, Jump-cuts und der Paral­lelmontage. Auch die filmischen Verfahren unterwerfen sich dem Diktat der Zeit.

Der Bann ist gebrochen. In glitzernden Schnee getaucht, liegt die Straße zum Gobbler's Knob vor ihnen, als das Liehespaar an diesem sonnig schönen Tag durch die Tür der Pension tritt. »Ist das nicht wundervoll?« resümiert Phil, und hochgestimmt geht er gleich zum nächsten Entschluß über, Ritas und sein gemeinsames Leben betreffend: »Let's live here!« Etwas Skeptizismus scheint ihm allerdings trotz all der glücklichen Fügungen angebracht: »Zuerst mieten wir uns was...« Doch über das Firmament spannt sich – fast wie zu unserer Be­ruhigung – das Wort »Ende«, und die Credits laufen über ein Meer stillstehender Himmelswolken. Dazu hören wir den zum Film bestens passenden Loewe­-&-Lerner-Song: »What A Day This Has Been«.

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Ruppert Koppold, »Einszweidrei im Sauseschritt: Zeitmeßmaschinen«, in: Bluebox 5 (1989), S. 187-202.

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Kurt Schmahl, »Industrielle Zeitstruktur und technisierte Lebensweise«, in: Rainer Zoll (Hg.), Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit, Frankfurt am Main 1988, S. 344-370.

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Rudolf Wendorff, Zeit und Kultur: Geschichte des Zeitbewußtseins in Europa, Opladen 1980.

Brigitte Mayr
geb. 1958 in Linz, Dr. phil., Studium an der Universität Wien, Dissertation Kleider erzählen Geschichten zur Rolle der Frau im österreichischen Film. Mitarbeiterin von SYNEMA (Wien), Beiträge für die von C. Cargnelli / M. Omasta herausgegebenen Publikationen Aufbruch ins Ungewisse: Österreichische Filmschaffende in der Emigration vor 1945 und Schatten. Exil: Europäische Emigranten im Film Noir.
(Stand: 2018)
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