Spreitenbach - das Bauerndorl von einst gilt heute als das Fleckchen Schweizer Erde mit der abstrusesten Ortsplanungsgeschichte. Im Taumel der wilden sechziger Jahre wollte das aargauische Dorf kurzerhand kein Dorf mehr sein, sondern «Modellstadt». Leute, die nie zuvor mit einem derartig gigantischen und beispiellosen Projekt zu tun hatten, wurden mit der Planung beauftragt: Den Wunsch nach Licht und Luft für alle glaubte man mit Hochhaussiedlungen befriedigen zu können. Nach amerikanischem Vorbild wurde ein riesiges Shopping-Center - das erste der Schweiz - eröffnet. In dieselbe Zeit lallt auch der Bau des grossflächigen Verschiebebahnhofs der SBB. Aufbruchstimmung in einem Dorf, das eine Stadt werden will.
Die Euphorie verflüchtigte sich aber bald. Kritik wurde laut, als man feststellen musstc, dass das Siedlungskonzept in seiner praktischen Umsetzung nicht das gewünschte Resultat bringen würde. Die Aargauer Ortschaft blieb mitten in ihrem Wachstum stecken: Sie ist weder Stadt geworden noch Dorf geblieben. Schliesslich avancierte Spreitenbach zum Inbegriff für Siedlungsplanung, wie sie niemals mehr geschehen sollte.
Was ist bis heute aus diesem Dorf geworden? Wie bewerten die ausführenden Ortsplaner von damals ihr Konzept zum heutigen Zeitpunkt? Solchen Fragen gehen Thomas Oehninger und Beat Lenherr in ihrem Film nach. Und dies mit einem bissigen, zuweilen ironischen, aber nie überheblichen Unterton. Besonders spannend ist die 52-minütige Produktion da, wo die Stadtplaner Selbstkritik üben und die Absurdität des Vorhabens betonen.
Wie aus einem Dorf eines blieb; Spreitenbach überrascht durch seine Vielschichtigkeit. Originales Archivmaterial wird verbunden mit Aussagen von Zeitzeugen, Menschen kommen zu Wort, die unterschiedlicher nicht sein könnten: ein Bauer, der seit Urzeiten in Spreitenbaeh lebt und arbeitet, eine junge Frau, die erst vor kurzem in ein Wohnsilo gezogen ist, Passanten im Einkaufs-Center. Auch die Kamera gewährt ungewohnte Einsichten: Sie wirft nicht nur einen flüchtigen und oberflächlichen Blick auf die grauen Betonwände, sondern vermag die versteckte Schönheit und Faszination von Hochhäusern ausfindig zu machen. Selten zuvor wurde ein so graues Thema derart farbig behandelt, so fundiert und zugleich phantastisch. Genauso «phantastisch» wie die Geschichte der Ortschaft, um die sich alles dreht.