LYDIA PAPADIMITRIOU

DAS GRIECHISCHE POPULÄRE KINO: VON DEN FÜNFZIGERJAHREN BIS HEUTE — FILMBRIEF AUS ATHEN

FILMBRIEF

Am Filmfestival von Cannes 1998 lenkte - einmal mehr - Theo Angelopoulos mit seinem jüngsten Film Eternity and a Day (1998) die Aufmerksamkeit eines internationalen Publikums auf das Kino Griechenlands. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren gingen ebenfalls zwei griechische Filme um die Welt: Never on Sunday von Jules Dassin (1959) und Zorba the Greek von Michalis Kakogian- nis (1965). Allerdings warben diese mehr für Ferien in Griechenland, als dass sie das Interesse für die griechische Filmproduktion weckten.

Gelegentliche internationale Auftritte täuschen aber nicht darüber hinweg, dass das griechische Kino vor allem im eigenen Land wahrgenommen wird. Seit Beginn des Jahrhunderts war die einheimische Filmproduktion bezüglich Um­fang und Popularität immer wieder starken Veränderungen unterworfen. In den «goldenen Jahren» des griechischen Kinos Mitte der Fünfziger- bis in die späten Sechzigerjahre wurden über tausend Filme produziert, die landesweit ein breites Publikum anzogen und die Filmproduktion zu einem sehr rentablen Unternehmen machten. Mitte der Siebziger stürzte das kommerzielle Kino jedoch in eine schwere Krise, von der es sich bis heute nicht erholte. Dafür rückte das Autorenkino etwas in den Vordergrund, konnte das Publikum aber nie ganz für sich einnehmen. Die Situation ist heute, trotz gewisser Verbesse­rungen, unverändert: Von den durchschnittlich dreissig Filmen, die jährlich produziert werden, gelangen weniger als zehn auf die grosse Leinwand.

Das Kino der Fünfziger- und Sechzigerjahre hat dank wiederholter Aus­strahlung am griechischen Fernsehen von seiner Beliebtheit bis heute nichts eingebüsst. Jüngere Generationen, die diese Filme nie im Kino gesehen haben, sind mit deren Komik und melodramatischen Formeln vertraut. Trotz seiner Popularität wurde das so genannte Kommerzkino vom kritischen Establish­ment immer schon abgelehnt, weil es in technischer und ökonomischer Hin­sicht mit Hollywood nicht mitzuhalten vermochte, ihm andererseits die künst­lerische und intellektuelle Subtilität des europäischen Kinos fehlte. Bis heute wird dem griechischen Genrekino nebst anspruchsloser formaler Qualität und fehlendem Ehrgeiz auch ein Mangel an «Realismus» und seine Abneigung gegenüber sozialen Problemen vorgeworfen.

Die Kritik ist zwar begründet, verfehlt aber ihr Ziel. Das griechische Kino der Fünfziger- und Sechzigerjahre erfüllte bescheidene Ansprüche und richtete sich vornehmlich an ein Publikum der Unter- und Mittelschicht, dessen Fanta­sien und Sehnsüchte es ansprechen wollte. Die verschiedenen Kinogenres boten fiktive Lösungen zu Problemen an, die es auch im Alltag des Publikums zu bewältigen galt. Die technischen und künstlerischen Schwächen dieser Filme sollten deshalb im Kontext ihrer Zielsetzung bewertet werden.

Zwei Genres dominierten die einheimische Filmproduktion jener Jahre: die Komödie und das (Melo-)Drama. Das auf dem Land angesiedelte Kostüm­drama («Foustanella»), das Musical und der Kriegsfilm tauchten zu bestimm­ten Zeitpunkten zwar ebenfalls auf, konnten ihre Popularität im Vergleich aber weniger lang aufrechterhalten. Eine Untersuchung von Themen und Stil dieser Genres soll ein Bild des volksnahen griechischen Kinos dieser Zeitspanne ver­mitteln. Ein Blick auf die griechische Filmindustrie soll dazu dienen, die popu­lären Filme im Kontext ihrer Produktion zu sehen und die Herstellungsbedin­gungen von damals und heute zu vergleichen.

Der Film erreichte Griechenland kurz nach seiner Entdeckung im späten 19. Jahrhundert. Die politische und ökonomische Instabilität des Landes ver­hinderte jedoch bis nach dem Zweiten Weltkrieg dessen systematische Ent­wicklung. Aber auch danach lag die Filmproduktion in den Händen einiger weniger talentierter und/oder opportunistischer Individuen, die dessen kom­merzielles Potenzial erkannten und den Grundstein für effizientere Pro­duktionsmethoden legten. Mitte der Sechzigerjahre bestand die griechische Filmindustrie einerseits aus einer Handvoll «Majors» - grosser Produktions­unternehmen, die den Markt mittels Massenproduktionen dominieren woll­ten -, andererseits aus vielen kleinen, kurzlebigen Filmstudios, die auf das schnelle Geld erpicht waren. Der Staat unterstützte den aufstrebenden Indus­triezweig nicht. Der bedeutende, wenn auch zeitlich begrenzte Erfolg der In­dustrie war ausschliesslich der grossen Publikumsnachfrage nach dieser billigen Form der Unterhaltung zu verdanken.

Die Konkurrenz anderer Freizeitindustrien wie Fernsehen oder Tourismus und das Unvermögen der griechischen Filmindustrie, eine Langzeitstrategie zu entwickeln, bewirkten eine Krise in den Siebzigern. Die Überproduktion führte zu einer Sättigung des Publikums, nicht zuletzt weil man es versäumt hatte, die etablierten Erzähl- und Stilformeln in befriedigendem Masse auf­zufrischen. Produktionsbetriebe schlossen, und deren Mitarbeiter wechselten zum Fernsehen.

Wirtschaftliche und politische Veränderungen Mitte der Siebziger - die Rezession, der Fall der Militärdiktatur - bis in die frühen Achtzigerjahre - Aufstieg der sozialistischen Partei - förderten die Entstehung eines Autorenfilms, der soziale, politische und psychologische Themen aufgriff. Finanziell vom staatlich betriebenen Filmzentrum unterstützt, betrat man damit zwar experi­mentelles Neuland, isolierte sich aber innerhalb der Grenzen der hohen Kunst. Erst in den letzten Jahren gab es Versuche, zum beliebten Genrekino - und besonders zur Komödie - zurückzukehren, so von Nikos Perakis in den Acht­ziger- oder von Olga Malea in den Neunzigerjahren. Die gelegentlichen Er­folge konnten aber das Misstrauen gegenüber dem zeitgenössischen griechi­schen Kino seitens des Publikums nicht zerstreuen.

Trotz all seiner ästhetischen und ideologischen Mängel ist das Kino der Fünfziger- und Sechzigerjahre in den Augen von Filmwissenschaftlerinnen und Regisseurinnen die wichtigste Referenz bezüglich des «einheimischen» Filmschaffens. Wobei «einheimisch» eine umstrittene Bezeichnung ist, war der griechische Film doch schon immer starkem ausländischem Einfluss unterwor­fen, vornehmlich aus dem Westen - durch das amerikanische und europäische Kino -, in geringerem, noch nicht erforschtem Ausmass auch aus dem Osten, insbesondere Indien. Trotz fremder Einflüsse nahm der griechische Film sich aber der Anliegen und Sehnsüchte des einheimischen Zielpublikums an.

Der Uberlebenskampf im Griechenland der Nachkriegszeit war wichtigs­tes Thema der Komödien und Dramen der Fünfziger. Zehn Jahre später war es der Wunsch nach sozialer Mobilität, und «Aschenputtel-Erzählungen», die den Aufstieg der Hauptperson vom Tellerwäscher zum Millionär zum Inhalt hatten, wurden immer beliebter. Liebende und ihrWunsch, sich der Fesseln der repressiven Gesellschaftskonventionen zu entledigen, wurden Hauptgegen­stand aller Genres (sogar von Kriegsfilmen!). Die Erzählungen wandten sieh zwar gegen traditionelle Institutionen wie die arrangierte Ehe, bestätigten aber regelmässig die patriarchale Ideologie. Fast alle dieser Filme spielten an mehr oder weniger wiedererkennbaren Orten in der Stadt oder auf dem Land. Die Filmfiguren waren Zeitgenossen des Publikums, lebten in derselben sich ver­ändernden Welt und sahen sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Diese Verankerung in der Gegenwart verlieh dem populären Kino seine Unmittel­barkeit und Frische - Qualitäten, die vom Publikum weit mehr geschätzt wurden als der von der Kritik verfolgte intellektuelle und künstlerische An­spruch.

Den Kritikern entgingen in der Regel solche Qualitäten, da diese sich oft hinter der endlosen Wiederholung von Genremustern und niedrigem Produk­tionsaufwand versteckten. Erfolgreiche Erzähl- und Stilelemente wurden so lange abgespult, bis sie ihre ursprüngliche Wirkung verloren hatten. Zudem wurde immer häufiger im Studio gedreht, was ebenfalls zu einer zunehmenden Realitätsferne der Filmhandlung beitrug. Solange das Publikum sich mit den Sorgen und Sehnsüchten der Charaktere identifizieren konnte, tat dies seiner Begeisterung keinen Abbruch. Schliesslich aber trugen die oben genannten Faktoren mit dazu bei, dass das Publikum fernblieb, was wiederum den Nie­dergang des griechischen Genrekinos mitverursachte.

Von den zwei wichtigsten Genres des populären Kinos erkannten die Komödien die Zeichen der Zeit sicher am erfolgreichsten. Zwei Kategorien flo­rierten damals in Griechenland: einerseits die «Komikerkomödie», die oft in Form einer Episodenerzählung ganz auf den Komiker und seine Gags aus­gerichtet war (so die Filme mit Vassilis Avlonitis, Dinos Iliopoulos, Georgia Vassileiadou, Kostas Chatzichristos oder Thanassis Vengos). Andererseits gab es die «sentimentale oder romantische Komödie», die sich um das Liebes­werben, um amouröse Missverständnisse und andere Komplikationen drehte. Die Hauptrollen in diesen Filmen wurden oft von Komikerpaaren gespielt: Die populärsten hiessen Vassilis Logothetidis und Ilya Livikou, Aliki Vougiouklaki und Dimitris Papamichali, Jenny Karezi und Kostas Kazakos - alle waren sie Paare sowohl im Leben als auch auf der Leinwand.

Diese zwei Kategorien sind nicht immer leicht auseinander zu halten, und nicht selten überschneiden sie sich. Ihre Erzählstile und schauspielerischen Leistungen sind jedoch von zwei unterschiedlichen Theatertraditionen geprägt. Die Komikerkomödie hat ihre Wurzeln im griechischen Revuetheater oder Variete, «Epitheörisi» genannt. Sie lebt von einer Reihe komischer Sketchs, denen jeweils eine musikalische Darbietung folgt, und kulminiert in einem grossen und spektakulären Finale. Obwohl die Ursprünge der Epitheörisi im Ausland zu finden sind, entwickelte dieses Theatergenre schon bald eine grie­chische Note, weil cs Beobachtungen der realen sozialen und politischen Ver­hältnisse in sich aufnahm. Viele Filmkomödienautoren waren mit dieser Art Revue vertraut und liessen ihre satirische Sicht in die zeitgenössischen Charak­tertypen und die rasanten, geistreichen Dialoge einfliessen. Zusätzlich traten im Film bereits in der Epitheörisi etablierte Komiker und Komikerinnen auf.

Die Ursprünge der «sentimentalen oder romantischen Komödie» sind da­gegen im bürgerlichen Theater des 19. Jahrhunderts zu suchen - in franzö­sischen Schwänken oder Boulevardstücken von Georges Feydeau, Eugène-Marin Labiche oder Vitorien Sardou. Griechische Bühnenautoren wie Alekos Sakellarios und Christos Giannakopoulos, Asimakis Gialamas und Kostas Pretenderis, Nikos Tsiforos und Polyvios Vassiliadis verwendeten vergleich­bare Erzählstrukturen, um eine unbeschwerte Welt der emotionalen Missver­ständnisse und ehelichen Untreuen zu schaffen. Im Gegensatz, zur eher prole­tarischen Komikerkomödie waren diese Stücke und Filme in ihrem Weltbild auf ein Publikum der Mittelklasse ausgerichtet. Viele verfilmte Komödien der Fünfziger- und Sechzigerjahre waren Adaptionen von Theaterstücken, die für die Leinwand wenig bis gar nicht abgeändert wurden. Folglich behielten sie viele ihrer dramatischen Grundzüge bei: Sie waren ausgesprochen dialoglastig, wurden im Studio und grösstenteils mit statischer Kamera gedreht. Trotzdem verliehen die im Schaffen lebhafter Situationen und geistreicher Dialoge erfahrenen Bühnenautoren den Komödien Qualitäten, mit denen verfilmte Melo­dramen im Vergleich nicht aufwarten konnten.

Auch das Melodrama hat seine Wurzeln im Theater und entstammt einem Erzählschema, das sich auf westlichen Bühnen etabliert hatte. Die Verknüpfung zwischen Bühne und Leinwand war in diesem Fall weniger eng, weil nur wenige erfahrene Dramatiker bereit waren, für das Kino - das noch als niedere Kunstform galt - zu schreiben. Andere wollten sich dem kommerziellen Druck nicht unterwerfen. Folglich waren die meisten Drehbücher minderwertig und schablonenhafter als diejenigen von Komödien. Die Begriffe «Drama» und «Melodrama» waren im griechischen Kino oft austauschbar, obwohl ein ge­wisser Klassenunterschied mit ihrer jeweiligen Verwendung impliziert wurde. Dramen galten als ernsthafter und wandten sich indirekt an ein Publikum der Mittelklasse, während Melodramen gefühlsbetonter und für die unteren Klas­sen bestimmt waren. Ambitionierte Filmgesellschaften warben mit dem Begriff Drama für ihre Filme und hofften, diese würden mit Qualität und Klasse asso­ziiert werden. Billigproduktionen wurden gewöhnlich als Melodramen ver­kauft.

In ihrem Kern sind sich Drama und Melodrama sehr ähnlich. Die meisten Filme beider Genres handeln von den Prüfungen und Schwierigkeiten eines jungen Liebespaars mit unterschiedlicher sozialer Herkunft, das sich der Feind­seligkeit der involvierten Familien ausgesetzt sieht. Das Böse in der Figur eines autoritären Elternteils oder eines eifersüchtigen Verwandten stellt sich der Ver­einigung der Liebenden in den Weg, und das Paar wird Opfer einer Intrige, die es zumindest für eine bestimmte Zeit trennt. Die Grundstruktur dieser Hand­lung erlaubt viele Variationen. In einer beliebten Version wird das Paar Opfer eines Unfalls; ein Partner wird blind oder verliert das Gedächtnis. Die Liebe und Zuneigung des gesunden Partners lässt den/die andere/n wieder genesen. Die Geschichte endet in einem Happyend.

Uneheliche Kinder, ledige Mütter, Prostituierte mit einem «goldenen Her­zen» oder verschollene Geschwister sind weitere beliebte Charaktere popu­lärer Dramen. Atemlos jagt ein dramatisches Ereignis das andere bis zum zwangsläufig erlösenden Ende, das die Harmonie wiederherstellt. Je billiger die Produktion, desto transparenter das Erzählschema. Trotz der exzessiven Ver­wendung dieser Filmrezeptur und des offensichtlichen Mangels an «Realis­mus» - in Bezug auf Detailwiedergabe, Spannbreite der sozialen Probleme, schauspielerische Leistung und Auflösung der Geschichte - gelang es diesen Filmen, die Fantasie eines Publikums anzuregen, das hauptsächlich der grie­chischen Arbeiterklasse entstammte. Man konnte sich in das Leid der Protago­nisten einfühlen, war man doch selber Opfer von Entbehrung und politischen Turbulenzen und gezwungen, in einer unwirtlichen Stadt zu überleben, in die man gerade emigriert war - die Landflucht war in diesen Jahrzehnten immens gross. Mit dem Melodrama verwandt, was die Erzählstruktur, aber nicht die Bild­sprache betrifft, ist die Foustanella, ein pastorales Drama, das in bergigen Land­gegenden spielt. Die Figuren trugen traditionelle Kostüme - «Foustanella» ist der Name eines weissen Faltcnrocks für Männer. Diese Filme waren vor allem für die Neuankömmlinge in der Stadt, die vor kurzem ihre Dörfer verlassen hatten, aber auch für die Landbevölkerung selbst bestimmt. Als Vorläufer der Foustanella gilt das im Theaterbereich verankerte «dramatikö idylh'o», das Idyllendrama des 19. Jahrhunderts, in welchem erotische Leidenschaften oder heroische Taten in Versform beschrieben wurden. Foustanellas waren beson­ders in den Fünfzigerjahren beliebt, als der dargestellte Lebenswandel oder die Erinnerung daran noch existierten.

Musicals und Kriegsfilme waren in den Sechzigerjahren populär. Weil sie in hohem Masse auf Spektakel basierten, erlangten die beiden Genres Bedeutung, als der Farbfilm sich weiter verbreitete und dank der zunehmenden Finanzkraft der grösseren Studios mehr Gelder für Filmmaterial, Kostüme und Dekor auf­gewendet werden konnten. Das griechische Musical hat seine Wurzeln in der Fpitheörisi, war aber als Genre auch stark vom amerikanischen Musical be­einflusst. Es repräsentierte eine Welt voller Energie und Enthusiasmus und wandte sich damit hauptsächlich an ein junges Publikum. Moderne Musik, neue Tanzformen und Modetrends wurden in einer Reihe sehr erfolgreicher Filme zelebriert, die den Optimismus und den Wohlstand der ersten Hälfte der Sechzigerjahre Wiedergaben. Mehr als jedes andere Genre glorifizierte das Mu­sical die Schönheit Griechenlands, verwies auf Urlaubsvergnügen und diente dem virtuellen Tourismus als Projektionsfläche.

Der Kriegsfilm ist wahrscheinlich das einzige grössere Filmgenre in Grie­chenland, das seine Wurzeln nicht im Theater hat. Nach seinem ersten Auf­tauchen in der Nachkriegszeit erlangte der Kriegsfilm grosse Bedeutung wäh­rend der Militärdiktatur (1967-74), als das Regime den Produzenten kostenlos militärische Ausrüstung und Personal zur Verfügung stellte. Kriegsfilme dien­ten der Glorifizierung der militärischen Gesinnung und Ideologie und somit als Propaganda für das illegale Regime der Militärs. Obwohl die Filme im Zweiten Weltkrieg spielten und politische Referenzen an die Gegenwart unterlassen wurden, war die reaktionäre Botschaft dieser Filme für Publikum und Kritik unmissverständlich.

Der Abschied vom Kriegsfilm unmittelbar nach dem Fall der Diktatur 1974 signalisierte leider gleichzeitig den allgemeinen Niedergang des populären Kinos. Die Rückkehr zur Demokratie erlaubte der jungen Generation von Filmschaffenden, die durch die restriktive Zensur der Diktatur zum Schweigen gebracht worden war, ihre Stimme in vornehmlich politischen Filmen wieder zu erheben. Das Hauptanliegen der meisten dieser Filme bestand nicht mehr darin, ein möglichst grosses Publikum zu erreichen, sondern im Wunsch nach persönlichem Ausdruck. Fs gab während der Achtzigerjahre ein paar wenige Versuche, kommerziell erfolgreiche Filmrezepte mit ästhetischer und ideologi­scher Innovation zu kombinieren. In den Komödien von Nikos Perakis bei­spielsweise (Arpa Kolla, 1982, Loufa ke Parallagi /Loofing and Camouflage, 1984, Vios ke Politela, 1987) verband sich zeitgenössische Satire mit einem stark selbstreflexiven Element, das die Probleme der Filmindustrie - und der grie­chischen Gesellschaft im Allgemeinen - hervorhob. In The Man with the Carnation (O Anthropos me to Garyfallo, 1981) lässt Nikos Tzimas das Melo­drama wieder auferstehen, indem er den Film einem neuen Thema widmet: der Exekution eines Helden der Linken während des griechischen Bürgerkriegs. Und schliesslich bewies Rembetiko (Kostas Ferris, 1984), der das Leben einer Rembetiko-Sängerin in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts erzählt, dass eine neue Version des Musicals noch immer ein breites Publikum anziehen kann.

Leider blieb es bei wenigen vereinzelten Versuchen, das Genrekino erfolg­reich durch künstlerische (und ideologische) Erneuerung aufzufrischen. Die Achtzigerjahre vertieften noch das Misstrauen des Publikums gegenüber dem einheimischen Kino, und auch die Neunzigerjahre weisen nur wenige und eher bescheidene kommerzielle Erfolge auf. Sotiris Goritsas Apo to Chioni /From the Snow (1994) und insbesondere seine Roadmovie-Komödie Valkanizateur (1996) gehörten zu der Hand voll Filme, die das Publikum ins Kino zu locken vermochten, einerseits des unverbrauchten Themas wegen (die Auswirkungen der Balkankrise auf Griechenland), andererseits durch die Einfachheit und Di­rektheit seiner filmischen Sprache.

Eine Geschichte des populären Kinos der letzten 25 Jahre setzt sich aus einer Reihe von Ausnahmeerscheinungen zusammen. Das Wort «Krise» hat seine Bedeutung weitgehend verloren angesichts einer Situation, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Diese Krise ist durchaus mit der in anderen kleinen Ländern innerhalb und ausserhalb Europas vergleichbar, deren Gründe hier nicht weiter ausgeführt werden können. Ohne eine Zauberformel für ein erfolgreiches Kino bieten zu können, sollten die besten Filme der Fünfziger- und Sechzigerjahre doch an die Fähigkeit des griechischen Kinos erinnern, sein Publikum mit Einfachheit, Direktheit und einer subtilen Verwendung von Erzählschemen zu «berühren». Vielleicht kann auf diese Weise sogar ein inter­nationaler Erfolg erreicht werden, aber schon ein enthusiastisches einheimi­sches Publikum würde zur Verjüngung der Filmindustrie beitragen und mit­helfen, den griechischen Film wieder populärer zu machen.

Übersetzung: Andrea Leitner

Lydia Papadimitriou
geb. 1966, verfasste ihre Dissertation über das griechische Musical. Zurzeit lebt sie in Liverpool, wo sie Screen Studies an der John Moores University unterrichtet.
(Stand: 2018)
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