LAURA DANIEL

KOMPONIEREN IM AKKORD — INTERVIEW MIT MARTIN TILLMANN

ESSAY

Martin Tillmann hat in der Schweiz klassische Musik und Cello studiert. 1988 ging er nach Amerika und erhielt dort 1989 seinen Master an der University of Southern California. Als Musiker, der immer bestrebt war, die traditionellen Grenzen des Celloklangs zu sprengen, hat er sich mit dem Elektrocello einen neuen Sound erarbeitet, der vielerorts Gehör findet.

Seit seiner Ankunft in Amerika hat Martin Tillmann bei über hundert Filmen, Fernsehserien und Werbespots mitgewirkt sowie verschiedene MusikerInnen live oder im Studio begleitet, darunter B. B. King, Beck, Tracy Chapman, Vonda Shepard, Chicago und Air Supply. Er hat mehrere CDs veröffentlicht und arbeitet derzeit an weiteren Eigenkompositionen. Stücke seiner CD Eastern Twin wurden für den Soundtrack von Ali (Michael Mann, USA 2001) verwendet. Als Cellist wirkte er u. a. bei folgenden Filmen mit: The Fan, Armageddon, Face/Off, Kiss the Girls, Black Hawk Down, The Pledge und The Ring.

Martin Tillmann arbeitet seit einiger Zeit mit Hans Zimmer zusammen, der als Komponist, Produzent und Head of Music Department bei Dreamworks für die Musik unzähliger Hollywoodfilme verantwortlich ist.1 Eine besonders enge Zusammenarbeit verbindet Hans Zimmer mit Jerry Bruckheimer, dem Blockbuster-Produzenten schlechthin.2

Das in Auszügen wiedergegebene Gespräch wurde im Juli 2003 geführt.

Laura Daniel Wie bist du dazu gekommen, Filmmusik zu machen?

Martin Tillmann Begonnen hat eigentlich alles mit Rock-/Popaufnahmen und

Tourneen, dann habe ich jemanden vom Fernsehen kennen gelernt.

LD Du hast ja unter anderem für Serien wie Ally McBeal Musik eingespielt.

MT Ally McBeal, ER, Profiler und solche Sachen. Das habe ich dann während drei Jahren gemacht, bis Hans Zimmer von mir gehört hat und mich angefragt hat, bei The Fan mitzuarbeiten. Das war unser erster gemeinsamer Film. Zum Glück!

LD War das damals auch wegen deines Instruments?

MT Ich hatte Glück, da Elektrocellisten relativ begehrt waren, und Hans liebt das Cello als Instrument sowieso. Ausserdem ist das Elektrocello sehr vielseitig. Ich kann lauter spielen als ein Schlagzeug, und der Klang ist sehr wandelbar. Es lässt sich deshalb auch für viele Projekte einsetzen.

LD Wie war das damals, hast du da einfach deine Celloparts eingespielt oder warst du von Anfang an verantwortlich für die ganze Filmmusik? Wie hat sich euer Arbeitsverhältnis im Laufe der Jahre verändert? Du trägst ja mittlerweile Verantwortung in verschiedenen Bereichen.

MT Beim ersten Film habe ich die Band keinen einzigen Tag gesehen. Hans hat mich begrüsst und dann in ein Zimmer gestellt mit den Toningenieuren. Meine Aufgabe war es einfach zu spielen. Später, bei Projekten wie The Pledge, war das Team viel kleiner, wir sassen oft alle zusammen in einem Aufnahmeraum und haben diskutiert. Durch die Ideen, die dabei entstanden, wurde auch sein Interesse geweckt. Nach zwei, drei kleineren Projekten hat er dann gemerkt, dass er mir mehr Verantwortung übertragen kann. Bei den letzten Filmen durfte ich zum Teil sogar von zu Hause aus arbeiten, vor allem bei The Ring (Gore Verbinski, USA 2002) und Black Hawk Down.

LD Was war für dich bisher der Höhepunkt deiner Filmmusik-Karriere?

MT Das war sicher Ali, bei dem ein Stück von meinem Album Eastern Twin für eine Szene verwendet wurde. Ursprünglich wurde die Musik für den Film von Lisa Gerrard gemacht; als sie dann auf mein Stück stiessen, wurde mir die Verantwortung für diese Szenen übertragen, was natürlich grossartig war, weil ich ziemlich freie Hand hatte. Ich habe mich auch entgegen allen Befürchtungen sehr gut mit dem Regisseur Michael Mann verstanden, der allgemein als sehr schwierig gilt. Allerdings fand ich den Film dann nicht völlig überzeugend. Er bleibt sehr an der Oberfläche und ähnelt stellenweise einem – wenn auch visuell beeindruckenden – Musikvideo.

LD Es gibt berühmte Kollaborationen, wie die von Angelo Badalamenti und David Lynch, wo die Musik bereits in einem sehr frühen Stadium des Projekts in den Arbeitsvorgang einfliesst und somit den Film, dessen Choreografie, sein Tempo und seine Stimmung von Beginn an massgeblich beeinflusst. Sind dir solche Arbeitsprozesse vertraut?

MT Sicher gibt es Regisseure, die so eng mit Filmkomponisten zusammenarbeiten, oder Regisseure, die schon am Set Musik laufen lassen, um die Stimmung und die Bewegungen zu beeinflussen. Gerade Michael Mann macht das sehr gerne, und das sieht man einigen Szenen auch an. In Hollywood sind solche Regisseure aber sicherlich die Ausnahme.

LD Wie gehst du an ein Projekt heran?

MT Wenn das Video-Editing beendet ist, kommen wir ins Spiel und erhalten in der Regel fünf bis sechs Wochen Zeit, um die Musik zu komponieren, aufzunehmen etc. Meist steht bereits das Premieredatum fest. Da bei der Musik eher gespart werden soll, ist die Zeit knapp bemessen. Wir arbeiten unter grossem Termindruck, was aber nicht immer negativ ist. Die Arbeit ist effizienter, und der Regisseur hat nicht die Möglichkeit, noch tausend Änderungswünsche anzubringen.

LD Ist es nicht manchmal frustrierend, nur das abliefern zu können, was in der verfügbaren Zeit entsteht?

MT Ich glaube eher, dass es eine Illusion ist, davon auszugehen, mit mehr Zeit werde der Film besser. Oft ist es die Musik, die aus der ersten, spontanen Reaktion entsteht, welche am besten funktioniert. Je mehr Revisionen gemacht werden, desto schwieriger wird es, das Gefühl beim Sehen in Musik umzusetzen. Wir kennen Leute, die mit bis zu 120 Revisionen arbeiten, das ist dann nur noch mühsam.

LD Gibt es RegisseurInnen, die sagen, so und so stelle ich mir das vor, und wieder andere, die finden, ihr sollt euch den Film mal anschauen und eure eigenen Ideen entwickeln?

MT Meist sind die Filme schon mit einem guten Temp-Track3 unterlegt, aus der die grundlegenden Vorstellungen des Regisseurs ersichtlich sind. Danach geht es aber auch darum, den Film an sich zu verstehen und als Komponist einen Weg zu finden, die Idee des Regisseurs mit den eigenen Ideen zu bereichern, und nicht, sie zu korrumpieren. Generell werden uns bei den grossen Produktionen klare Grenzen gesetzt. Gerade Jerry Bruckheimer hat als Produzent sehr genaue Vorstellungen von seinen Filmen und liebt es gross und amerikanisch, mit viel Schlagzeug und Trompeten und einem klaren Happy End. Es lässt sich mit einem Neubau vergleichen, der einfach gewisse Anforderungen erfüllen muss.

Aber dann gibt es natürlich auch ganz andere Projekte wie The Pledge (Sean Penn, USA 2001), wo der grösste Teil der Arbeit Improvisation ist.

LD Bei Ali, Hannibal, MI-2 (John Woo, USA 2000) und Black Hawk Down ist mir aufgefallen, dass eure Musik für so grosse Hollywood-Produktionen relativ atypisch ist. In Hannibal etwa gibt es keine oder nur wenige musikalische Themen, die mit den Figuren zusammenhängen, was sonst im klassischen Hollywood-Score sehr häufig ist: Z. B. wird in American Beauty (Sam Mendes, USA 1999) jede Figur mit einem eigenen Thema oder genauer mit einer eigenen Klangfarbe verbunden ...

MT ... oder mit einzelnen Instrumenten.

LD Bei Hannibal geschieht das nur bedingt, z. B. in der Figur des entstellten Opfers Mason Verger. Immer wenn er auftritt, wird er mit «klischierter» klassischer Musik versehen, z. B. mit einem Walzer. Wie arbeitet ihr? Lasst ihr das bewusst weg, oder denkt ihr euch Musik für die einzelnen Figuren aus?

MT Hannibal war besonders Hans’ [Zimmer, L.D.] Baby. Er arbeitet natürlich sehr gerne atypisch, besonders bei Filmen, bei denen man auf Grund ihrer Genrezugehörigkeit eine besonders klischierte Musik erwartet, wie bei Horrorfilmen oder Thrillern. Er verwendet sehr gerne Musik, die eine gewisse Distanz zu diesen Konventionen schafft. Ich habe dennoch genügend HorrorCelli bei Hannibal einspielen müssen. Grundsätzlich versuchen wir aber eher etwas zu finden, das den Film nicht auf einen Eindruck festnagelt, sondern sein Genre komplementiert.

Aber es ist sehr schwierig zu sagen, wie das Ganze genau vor sich geht. Es ist immer auch eine Frage der eigenen Verfassung, der Situation, in der man sich selbst befindet, während man an einem solchen Projekt arbeitet. Viele Faktoren spielen eine Rolle.

LD Du sagtest, ihr hättet während der Arbeit an Black Hawk Down zum Teil im Studio übernachtet und rund um die Uhr gearbeitet. Steht ihr immer unter solchem Druck?

MT Bei Black Hawk Down war das auch deshalb extrem, weil Hans wollte, dass wir uns wenigstens ein bisschen in die Stimmung des Films versetzen, der ja ein Kriegsfilm ist. Aber es kann auch sonst schon mal bis drei Uhr morgens dauern. Das sind unsere normalen Arbeitszeiten, aber nur während fünf bis sechs Wochen. Bei Black Hawk Down waren es vier Monate, das war schon hart. Man muss dann gut auf sich Acht geben, Vitamine nehmen etc. (lacht)

LD Wie war das mit dem berühmten musikalischen Thema zu Mission: Impossible II, habt ihr das vom ersten Film so übernommen?

MT Soweit ich informiert bin, war das bereits die Melodie der TV-Version. Diese Melodie an sich ist natürlich schon zu einem Brand, einer Marke, geworden, und es ist unsere Aufgabe, gerade bei einem Sequel oder Remake diesem Stück während des Films auch genügend Gewicht zu geben. Ansonsten haben wir versucht, so unbelastet wie möglich an die Fortsetzung heranzugehen. Nachahmen ist immer schlecht.

LD Auffallend bei den anderen Filmbeispielen ist, dass die Musik praktisch nie in den Vordergrund gerückt wird. Sie ist wie im klassischen Hollywoodkino Hintergrundinformation, aber doch nicht so belanglos, dass sie nicht wahrgenommen wird. Eine Strömung, die sich im Hollywoodkino meiner Meinung nach schon länger beobachten lässt – z. B. in Road to Perdition (Sam Mendes, USA 2002) oder American Beauty – geht eher in die entgegengesetzte Richtung: Musik wird immer lauter und vordergründiger.

Auffällig ist die Zurückhaltung besonders bei der Stelle in Black Hawk Down, als die Soldaten zu Beginn des Films in einem Hubschrauber sitzen und zu ihrem Stützpunkt zurückfliegen. Die Stelle ist unterlegt mit einem rockigen, pulsierenden Stück, von dem man jeden Moment erwartet, dass es überhand nehmen wird. Zumindest haben mich meine Seh- resp. Hörgewohnheiten bezüglich Kriegsfilm zu der Annahme verleitet, die Musik würde voll aufgedreht werden, sobald man den Hubschrauber von aussen sieht. Ihr unterbindet dieses Überhandnehmen der Musik, bewusst?

MT Als wir uns den Film das erste Mal mit seinem Temp-Track angeschaut haben, war diese Rockmusik sehr im Vordergrund. Der Film wirkte wie ein Musikvideo oder eine Werbekampagne für die Armee, à la «Join the Army!», oder wie Apocalypse Now oder Platoon. Er liess sich also nahtlos in die Reihe anderer Kriegsfilme einordnen.

In Apocalypse Now gibt es ja verschiedene Szenen, in denen die Musik ausserordentlich prägend ist, nicht nur Rockmusik, sondern auch klassische, wie z. B. in der Szene, die mit Wagners Walkürenritt unterlegt ist.

Wir wollten einfach nicht, dass der Film eine gefährliche Mischung von Army und Rock’n’Roll wird, mit muskulösen Soldaten usw. Wir wollten auch nicht, dass der Film in dieser Hinsicht noch «amerikanischer» wird, als er ohnehin schon ist. Der Film konzentriert sich ausschliesslich auf den Einsatz der Amerikaner, also auf die Soldaten. Die Einwohner Mogadischus bleiben im Hintergrund, und man lässt sie nicht einmal einen ganzen Satz sagen, sie kommen einfach nicht zu Wort. Wir versuchten, sie zumindest in der Musik zu repräsentieren, und stellten eine afrikanische Band zusammen, bestehend aus einem Schweizer, einem Deutschen und einem Asiaten! (lacht)

LD Wie muss ich mir das genau vorstellen? Habt ihr Stücke komponiert oder wurde mit verschiedenen Instrumenten improvisiert?

MT Ursprünglich war die Idee schon, den Sound relativ rockig zu halten. Aufgrund der bereits geschilderten Beobachtungen entschieden wir uns aber dafür, möglichst viele ethnische Instrumente zu integrieren. Wir experimentierten auch mit elektronischer Musik und bauten verschiedene Loops ein. Wir hatten zudem das Glück, ein relativ breites Klangspektrum verwenden zu dürfen. Die Idee war, dem Film mit der Musik auch eine Wärme zu geben und nicht nachzudoppeln, indem wir auf das Publikum auch mit der Musik einhämmern. Ich glaube, das ist uns auch gelungen, weil der Film an sich, ohne die Musik, diese Dimension eben gar nicht hat.

LD Ich war sehr erstaunt, dass es möglich war, in einem solchen Film mit der Musik so subtil zu arbeiten. War das eure eigene Idee, oder wurde es euch bereits vom Produzenten oder Regisseur nahe gelegt, in diese Richtung zu arbeiten?

MT Das war ja einerseits eine Produktion von Jerry Bruckheimer, der selbst einen grossen Hummer fährt und Filme über die Armee, Top Gun, Armageddon und all diese Filme, liebt.4 Auf der anderen Seite steht dann Ridley Scott, der ein sehr feinfühliger Regisseur und Mensch ist, der zwar grosse Filme macht, aber eine sehr elegante Art hat, nur schon wie er mit den Leuten spricht. In einem Gespräch merkt man sehr schnell, dass man bei ihm etwas erreichen kann mit guten Ideen. Er ist offen für Verbesserungsvorschläge, natürlich steht er auch nicht mehr unter einem so grossen Erfolgsdruck, er muss es Hollywood nicht mehr beweisen, nach all seinen erfolgreichen Filmen. Oft ist es bei eher jungen Regisseuren doch sehr anders, die stehen unter einem wahnsinnigen Druck, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, was für uns dann auch sehr mühsam sein kann. Unbekannte Regisseure sind viel abhängiger von den Produzenten, die bei solchen Projekten dann auch viel mehr zu sagen haben. Pirates of the Caribbean war so ein Fall. Bruckheimer versuchte, massiv Einfluss zu nehmen auf den relativ jungen Regisseur. Dank Hans gelang es dann doch, einen Kompromiss zu finden. Das muss ich ihm wirklich zugute halten, denn er hat eine unglaubliche Gabe, Menschen zu verbinden, und ein gutes psychologisches Gespür dafür, wie er sowohl den Produzenten, der 50 bis 100 Millionen Dollar investiert hat, als auch den Regisseur, der eine klare Vision hat, zufrieden stellen kann.

Blockbuster-Produktionen sind in künstlerischer Hinsicht recht hart. Was gefordert wird, lässt sich eigentlich mit einem Formel-1-Rennen vergleichen: Wenn man gute Pneus hat, kann auch bei Regen nicht viel schief laufen, alles muss kalkulierbar bleiben. Kleine Produktionen sind mir deshalb oft sympathischer.

LD Ist der Zeitdruck bei kleineren Produktionen geringer?

MT Das kann sein, muss aber nicht. Es kann in zeitlicher Hinsicht genauso knapp werden, wenn das Budget so beschränkt ist, dass man einfach nur wenig Zeit fürs Studio hat. Allerdings ist die ganze Produktion oft transparenter, kleiner und damit eben überschaubarer. Man gerät nicht so schnell in ein vorgefertigtes Produktionsschema. Bei Black Hawk Down arbeiteten wir in 21 Studios mit 21 Protool-Systemen,5 was schon rein logistisch eine ungeheure Schwierigkeit darstellte. Das Ganze nimmt dann einen sehr schweren Körper an.

LD Wie wird das alles koordiniert?

MT Der Studiokern, der Mittelraum, ist der Aufnahmeraum, in dem wir spielten. Gleich angrenzend sind vier Video-Edit-Räume, in denen das Gespielte sofort verwertet wird, indem die Editors es schneiden und zu möglichen Themen zusammenfügen, die sie gleich den zugehörigen Stellen unterlegen.

LD Direkt?

MT Ja, direkt. Drei andere Editors arbeiten mit herkömmlichen Temps.

LD Bedeutet «herkömmlich» aus bestehenden Sounds?

MT Genau, häufig aus bereits bestehenden Filmen und Stücken. Es ist oft interessant, eigene Kompositionen plötzlich in anderen Filmen wieder zu hören. Das Stück hat folglich funktioniert und wird sehr wahrscheinlich wieder verwendet werden.

LD Was passiert sonst noch in diesen Studios?

MT Bei Black Hawk Down arbeiteten wirklich grosse Schneideteams, da bei diesem Film vieles live gespielt wurde. Es bedurfte folglich grosser Arbeit, sich die ganzen Tracks anzuhören, geeignete Stellen herauszuschneiden und zu Stücken zusammenzufügen. Das funktioniert natürlich völlig anders, als wenn man Stücke in Noten aufschreibt.

LD Die Musik ist also mehrheitlich improvisiert?

MT Ja, das Improvisierte wird nachher zu Themen zusammengefügt. Allerdings ergeben sich manchmal viel zu lange Themen, die nicht passen. Wir hatten keine Zeit, die Stücke genau zu erarbeiten, aber mit Hilfe der Editors konnte man ziemlich rasch herausfiltern, wie das Ganze klingen sollte. Wir improvisierten, zwei Tage später gab es ein Tape und genaue Anweisungen, wie wir es nochmals zu spielen hätten.

LD Wie viele Musiker waren daran beteiligt?

MT Wir waren fünf Musiker und hatten 21 Instrumente zur Verfügung. Drei

Schlagzeuge sowie verschiedene Trommeln.

LD Wenn du deine Projekte vergleichst, kannst du sagen, dass es sich dabei um immer wiederkehrende standardisierte Arbeitsabläufe handelt?

MT Nein, jedes Projekt ist anders. Jedes Mal ist es ein anderer Produzent, oder wir haben unterschiedlich viel Zeit zur Verfügung. Oft dreht der Regisseur bereits einen neuen Film, während wir an der Musik arbeiten, so dass wir uns nur einmal in der Woche sehen. Diese Arbeit ist dann sehr entspannt. Manchmal ist der Regisseur noch involviert, das bedeutet häufigere Konsultationen, mehr Änderungswünsche, weniger Selbstständigkeit, wie dies z. B. bei Pirates of the Caribbean der Fall war. Oft ist den Regisseuren gar nicht bewusst, was es für uns bedeutet, nämlich jedes Mal eine Nachtschicht. Auch wenn es sich nur um eine bestimmte Note handelt oder um die Verlängerung eines Musikstücks bei einer Szene, macht das relativ viel Arbeit aus und wird für uns jedes Mal zur Herausforderung.

LD Wie bereitest du dich auf kommende Projekte vor? Weisst du schon, wann du für welchen Film etwas einspielen musst?

MT Nein, eigentlich nicht. Meistens bin ich in der Schweiz am Kochen oder auf einem Spaziergang, wenn das Telefon klingelt und eine Stimme am anderen Ende mir mitteilt, dass ich in vier Tagen in L. A. sein soll, um diesen oder jenen Film zu vertonen. Diesen Sommer wurde ich von einem Komponisten kontaktiert, der gerade an Bad Boys II (Michael Bay, USA 2003) arbeitete. Er teilte mir mit, dass er mich für zwei Tage brauchen würde, da Jerry Bruckheimer mich bei diesem Projekt dabeihaben wollte. Ich nahm mir also vor, für etwa vier Tage rüberzugehen. Als ich aber dort ankam, war der Komponist, der mich eingestellt hatte, bereits wieder entlassen worden. Ich musste also eine Woche warten, bis der nächste Komponist gefunden war.

LD Da werden also Komponisten wild ausgetauscht?

MT Ja, das ist gar nicht so unüblich. Bei diesem Film waren es am Ende drei an der Zahl, und ich bin so ziemlich der Einzige, der die ganze Zeit über daran beteiligt war.

LD Weshalb werden die Komponisten entlassen?

MT Meistens sind es persönliche Gründe. Im Falle von Bad Boys II war Mark Mancina bereits beim ersten Film für die Musik verantwortlich gewesen. Allerdings wohnte er zu weit weg, zwei Stunden ausserhalb von L. A. Man verlangte deshalb, er müsse in die Stadt kommen, es komme nicht in Frage, die Aufnahmen ausserhalb zu machen. Mancina aber hatte keine Lust, sich deswegen an die Produktionsfirma zu verkaufen, und liess es lieber bleiben. Ausserdem fand man, seine Musik klinge zu alt. Sie wollten etwas Modernes, Neues und nicht etwas, das gleich klang wie beim ersten Film. Mancina hatte zu diesem Zeitpunkt bereits für 60 Minuten des Films Musik komponiert.

LD Aber wie funktioniert denn in so einem Fall die Kommunikation? Weiss man da von Beginn an, wie es klingen soll, und teilt man dies dem Komponisten mit, oder improvisiert man ein bisschen und lässt ihn machen, bis man merkt, das war wohl nichts? Wenn es so ist, erscheint mir das doch bemerkenswert, wenn man bedenkt, mit welchen Budgets wir es hier zu tun haben.

MT Das Auswechseln von Mancina kostete sie eine Million. Aber das ist verhältnismässig wenig Geld für solche Produktionen, in denen 30 Sekunden Special Effects bereits diese Summe verschlingen. Man hat sich an solche Ausgaben gewöhnt, so dass das Ersetzen Mancinas keinen grossen finanziellen Verlust darstellte. Natürlich ist das wahnsinnig, besonders wenn man bedenkt, wie dann bei anderen Sachen doch möglichst viel eingespart werden soll. Gerade in der Filmmusik gibt es viele, die schauen müssen, dass sie davon leben können.

Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Die Job-Vergabe läuft natürlich meist über persönliche Kontakte. Es kommt vor, dass ich jemanden in L. A. treffe oder dass ich bei Hans vorbeigehe, und der arbeitet gerade an einem Projekt, in das ich eingespannt werde.

LD Arbeitest du immer mit Hans zusammen?

MT Nicht immer, gerade bei Bad Boys II oder bei einem anderen Film, The Road to El Dorado (Bibo Bergeron et al., USA 2000), habe ich eigenständig gearbeitet. Aber besonders in den letzten vier Jahren arbeitete ich vorwiegend mit Hans zusammen. Unsere Zusammenarbeit ist in vielerlei Hinsicht ziemlich exklusiv, und ich geniesse das sehr. Einerseits sammle ich Erfahrungen punkto Komposition und Spiel, gewinne aber auch Einblicke in das ganze System.

LD Er ist ja auch sehr gut etabliert.

MT Hans ist nicht nur Komponist, er ist auch Agent. Er ist Head of Music bei Dreamworks und entscheidet damit für alle Dreamworks-Filme, welche Komponisten angestellt werden. Damit ist sein Einfluss bestimmt nicht zu unterschätzen.

LD Und wie ist das mit Jerry Bruckheimer? Das ist doch bestimmt auch einer der exklusiven Kontakte in Hollywood.

MT Natürlich. Jerry produziert eigentlich keine Filme, an denen Hans nicht in irgendeiner Weise beteiligt ist, sei es als Komponist oder als Produzent. Ich empfinde das manchmal als ziemlich hart, besonders für junge Komponisten, denen ich wünschen würde, dass sie mehr Chancen kriegten oder dass die bereits so Mächtigen mehr an Jüngere abgeben würden. Das Hierarchiedenken in Hollywood ist aber sehr stark, jeder möchte der Erste sein.

Das hat mir besonders zu Beginn meiner Arbeit in Hollywood Mühe bereitet. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden. Durch meine Zusammenarbeit mit Hans habe ich natürlich auch die Möglichkeit, mich relativ sorgenfrei meinen eigenen Kompositionen zu widmen. Ich geniesse die Zeit zwischen den Projekten und habe aufgehört, das Ganze so ernst zu nehmen – ich muss eigentlich oft über gewisse Verhältnisse in Hollywood lachen. Ich wäre wohl auch nicht glücklich, ständig vor Computern zu sitzen und irgendwelche Filme zu vertonen. Denn ich bin grundsätzlich daran interessiert, gute Musik zu machen.

LD Befriedigt dich deine Arbeit?

MT Ja, auf jeden Fall. Sonst würde es nicht funktionieren.

LD Aber ist es nicht manchmal frustrierend, ein kleines Rädchen in dieser Traumfabrik zu sein?

MT Klar gibt es Projekte wie z. B. Pirates of the Caribbean, bei denen du in einem kleinen Aufnahmeraum mit irgendwelchen Toningenieuren zusammenarbeitest, die dir täglich die neusten Stücke aus dem Studio-Network runterladen, zu denen du dann deine Cello-Soli spielen musst. Dies ist bestimmt nicht sehr interaktiv und stimulierend, aber andererseits versuche ich, immer das Beste daraus zu machen und mich mit all meiner Energie auf die Arbeit zu konzentrieren. Für mich bleibt es jedes Mal eine Herausforderung.

Auch wenn ich nur einen kleinen Teil der Arbeit mache, ist es mir wichtig, in der jeweiligen Situation das Bestmögliche abzuliefern, sei es spieltechnisch oder auch energetisch. Ich könnte mir nichts anderes vorstellen.

Darunter Spirit: Stallion of the Cimarron (2002), Pearl Harbor (2001), Hannibal (2001), Gladiator (2000), The Thin Red Line (1998), As Good as it Gets (1997), Smilla’s Sense of Snow (1997), The Fan (1996), The Lion King (1994), The House of the Spirits (1993), True Romance (1993), Thelma & Louise (1991), Driving Miss Daisy (1989), Rain Man (1988). Alle Filme wurden in den USA produziert.

Bruckheimer wird nebst seinem grossen Einfluss in Hollywood auch die Erfindung des Buddy Movies zugesprochen. Zu seinen Produktionen gehören Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl (2003), Black Hawk Down (2001), Pearl Harbor (2001), Armageddon (1998), Con Air (1997), The Rock (1996), Top Gun (1986), Flashdance (1983), American Gigolo (1980), um nur einige seiner berühmtesten zu nennen.

Eine provisorische erste Musikspur.

Bekannteste Äusserung gemäss www.imdb.com: «We are in transport business. We transport audiences from one place to another.»

Protool ist ein amerikanisches Pendant zu Logic, einer Audio-Produktions-Software.

Laura Daniel
geb. 1978, studiert an der Universität Zürich Germanistik, Film­wissenschaft und Philosophie sowie klassischen Gesang, zeitgenössische Musik und Jazz. Mitglied der CINEM A-Redaktion seit 2002. Lebt in Zürich. Daniel Däuber, geb. 1966, hat in Zürich Filmwissenschaft studiert, u.a. für die Schweizer Filmzeitschriften Zoom und Film geschrieben, arbeitet zurzeit als Filmredaktor beim Schweizer Fernsehen.
(Stand: 2018)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]