THOMAS HUNZIKER

CARGO (IVAN ENGLER, RALPH ETTER)

SELECTION CINEMA

Der Schweizer Film hat in diesem Jahr den Weltraum entdeckt. Die Dokumentarfilme The Marsdreamers von Richard Dindo und Space Tourists von Christian Frei beschäftigen sich mit den Möglichkeiten der bemannten Raumfahrt bis zum Mars. Derweil werden in Ivan Englers Spielfilmdebüt Cargo die Figuren noch viel tiefer ins Universum geschickt.

Weil das Leben auf der Erde wegen Umweltverschmutzung und Seuchen nicht mehr möglich ist, sollen entfernte Planeten bewohnbar gemacht werden. Laura Portmann heuert auf dem Raumschiff Kassandra als Ärztin an. Der Lohn für die Reise zur Station 42 soll ihr einen Flug nach Rhea ermöglichen, wo sich bereits ihre Schwester befindet. Da es in letzter Zeit vermehrt zu Anschlägen von Aktivisten gekommen ist, die gegen die Bevölkerung des Weltraums und für eine Rückkehr zur Er­de kämpfen, begleitet auch der Sicherheitsbeamte Samuel Decker den Flug. Die erste Zeit der vierjährigen Reise verläuft ereignislos. Doch zwei Monate vor Ankunft im Raumhafen ent­deckt Portmann, dass die Schleuse zum Frachtraum geöffnet war. Sie weckt den Captain und Decker aus dem Kälteschlaf, um mit ihnen den Vorfall zu untersuchen. Dabei stossen sie auf bedrohliche Geheimnisse.

Mit viel Idealismus haben Regisseur Engler und Produzent Marcel Wolfisberg ihren Traum vom ersten Schweizer Science-Fiction-Film verwirklicht. Da einheimische Produktionen aus diesem Genre fehlen, müssen internationale Werke als Gradmesser die­nen:In Bezug auf die technische Umsetzung ist dabei Moon (GB 2009) von Duncan Jones ein gutes Beispiel. Beide Filme mussten mit einem relativ geringen Budget von um die 5 Millionen Franken auskommen. Jones machte aus den finanziellen Einschränkungen eine Tugend und begnügte sich damit, seinen Thriller hauptsächlich in Innenräumen spielen zu lassen. Die wenigen Ausflüge auf die Oberfläche des Mondes konnten dadurch visuell tadellos umgesetzt werden. Engler und Wol­fisberg liessen es sich hingegen nicht nehmen, regelmässig Aussenaufnahmen einzu­fügen. Das ist optisch spektakulär, aber auch technisch anspruchsvoll. Tatsächlich ist in einigen Szenen an vereinzelten Konturen ein leichtes Flimmern zu entdecken. Dieser kleine Makel schmälert die beeindruckende tech­nische Leistung allerdings nur geringfügig.

Die Geschichte und die beklemmende Atmosphäre auf dem Schiff erinnern an Alien (USA 1979) von Ridley Scott . In der zweiten Hälfte des Films wird die Handlung jedoch ziemlich überladen. Alle noch überlebenden Besatzungsmitglieder verfolgen plötzlich entgegengesetzte Interessen. Vor lauter Enthüllungen und Täuschungen geht schnell einmal die Übersicht und auch die zuvor aufgebaute Stimmung verloren.

Trotz einiger Abstriche, vor allem auf Ebene des Drehbuchs, ist Cargo aber ein beachtlicher Ausflug in ein bisher vom Schweizer Film vernachlässigtes Genre.

Thomas Hunziker
*1975, Studium der Filmwissenschaft, Anglistik und Geschichte an der Universität Zürich. Er arbeitet als Radiologiefachmann und betreibt das Filmtagebuch filmsprung.ch. Mit seiner Partnerin und zwei Kindern lebt er in Schaffhausen.
(Stand: 2021)
www.schueren-verlag.de
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