MATTHIAS BÜRCHER

«A MOVING IMAGE»

MOMENTAUFNAHME

«Le cinéma, c’est la vérité 24 fois par seconde», sagte Godard. Doch was ist die Wahrheit? Ein Einzelbild, auf dem die Filmkamera eine Szene zu einem bestimmten Zeitpunkt objektiv festhält. Erst durch die schnelle Projektion der Bilder entsteht Bewegung. Die Videokamera hingegen hält die Bewegung schon innerhalb des einzelnen Bildes fest: Zeile für Zeile, Bildpunkt für Bildpunkt tastet sie den Sensor ab, und wenn sie nach 1/50 Sekunde unten fertig ist, beginnt sie oben wieder von neuem. Dadurch entsteht ein kontinuierliches elektrisches Signal. Die digitalen Kameras können alle Bildpunkte fast gleichzeitig abtasten. Und doch holt einen manchmal die Zeilen­technik wieder ein: Im Bahnhof Aarau fotografierte ich letzten Winter mit dem iPhone einen Zug auf dem gegenüberliegenden Gleis. Wie immer, wenn man im Zug ist, weiss man nicht, ob der eigene oder der andere Zug abfährt. Die Kamera hat etwas anderes gesehen als ich, weil sie nicht alle Zeilen zur gleichen Zeit aufnehmen kann. Und so kommt es, dass der untere Teil des Zuges schon abgefahren ist, während der obere noch steht.

Matthias Bürcher
*1965, lebt in Lausanne. Nach einer Aus­bildung zum Filmregisseur am DAVI in Lau­sanne schneidet er unabhängige Doku­­men­tarfilme von Jean-François Amiguet, Aline Brechbühl, Daniel von Aarburg und Vadim Jendreyko. 2004 gründet er die Internetbuchhandlung artfilm.ch.
(Stand: 2011)
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