Ein Mann steht in der Abenddämmerung und schickt durch einen Milchtrichter eine archaische Litanei in die Bergwelt hinaus. Was auf den ersten Blick leicht surreal anmutet, ist tatsächlich ein jahrhundertealter katholischer Brauch, ein Betruf, der das Unheil von der Alp und den Bergbauern fernhalten soll.
Bruno Moll begleitet in seinem neuen Film vier Sennen und eine Sennin aus katholischen Bergregionen, die er bei ihren alltäglichen Verrichtungen porträtiert. Er zeichnet dabei einen Querschnitt von Berglern unterschiedlichen Alters, die aus unterschiedlichen Motiven den Sommer auf der Alp verbringen. Da ist der junge Urner Bergbauer, der stolz ist auf seinen Beruf und der die harte Arbeit in den Bergen dem Sommer im Tal mit der Freundin vorzieht, oder die spirituell interessierte Appenzellerin, für die das Leben auf der Alp auch der Regeneration dient. Ein traditionelles Sennenehepaar kocht Älplermagronen in Mengen, als wollte es eine ganze Armee verpflegen. Dieses Porträt ist besonders gelungen; wenn die beiden mit Schalk in den Augen erzählen, wie sie sich vor vierzig Jahren bei einer Tanzveranstaltung kennengelernt haben, so ist dies geradezu rührend.
Moll hat sein Material thematisch strukturiert. Er wechselt zwischen den Protagonisten hin und her und beleuchtet nacheinander Fragen zu ihrem Verhältnis zur Natur, ihrem Beziehungsleben oder ihren Ansichten zu Glaube und Religion. Der äusserst bedächtige Erzählrhythmus ist dabei ganz dem entschleunigten Leben auf dem Berg angepasst. Durch die parallele Gegenüberstellung der verschiedenen Porträts und die Wiederholung des abendlichen Rituals des Alpsegens zeigt Moll auf kluge Weise, dass das Leben auf der Alp in seiner strengen Struktur etwas Rituelles und dadurch offensichtlich auch etwas Beruhigendes hat. Bei allen Unterschieden haben die Porträtierten nämlich eines gemeinsam: ihr unerschütterliches Gottvertrauen, dass alles so kommt, wie es kommen muss. Zweifel an ihrem Leben auf der Alp äussern sie nicht, obwohl Moll dies immer wieder aus ihnen rauszukitzeln versucht.
Ähnlich wie in seinen letzten Filmen Pizza Bethlehem und Zu Fuss nach Santiago de Compostela liegt Molls Stärke auch hier darin, ein liebevolles, mehrschichtiges Bild seiner Protagonisten zu zeichnen. Weil es ihm aber nur selten gelingt, wirklich nah an die Bergler heranzukommen, berührt Alpsegen weniger stark als seine beiden Vorgänger. Und obwohl Moll eine durchaus spannende Dokumentation gelungen ist, wird man das Gefühl nicht los, dass Alpsegen eine Art Fingerübung ist, die auf der aktuellen Bergdoku-Trendwelle mitzureiten versucht.