SIMON MEIER

THIS KIND OF HOPE (PAWEL SICZEK)

Andrei Sannikov befindet sich in einem Schwebezustand, einem Limbo, obwohl er ein unermüdlicher Kämpfer und Optimist ist. Der belarussische Diplomat lebt seit 2012 im Exil. In der Endphase der Sowjetunion war er Russisch-Übersetzer am UNO-Hauptsitz in Genf, nach dem Fall der Mauer belarussischer Delegationsleiter für die Verhandlungen über die atomare Abrüstung. Sannikov hat sich bereits früh mit Präsident Alexander Lukaschenko angelegt. Glaubte er zu Beginn der Amtszeit des Langzeitherrschers wie viele in der Bevölkerung noch, der erste Präsident der ehemaligen Sowjetrepublik sei der Demokratie verpflichtet, wird er schon bald enttäuscht. Lukaschenko regiert mit eiserner Hand und will die atomare Abrüstung stoppen.
 
Regisseur Pawel Siczek zeigt uns das Leben von Sannikov mittels zwei Strängen: Einerseits das Leben im Exil in Warschau, in dem er sich durch die Teilnahme an Konferenzen unablässig für ein demokratisches Belarus einsetzt, anderseits mittels Rückblenden in das frühere Leben des Diplomaten, die mit Archivaufnahmen veranschaulicht werden. Sannikov tritt dabei selbst als eloquenter Erzähler auf und nimmt uns mit in seine bewegte Vergangenheit: Das politische Referendum von 1996, das Lukaschenkos Macht zementiert und die demokratischen Institutionen schwächt, treibt Sannikov, damals stellvertretender Aussenminister, in die Opposition. Er organisiert wiederholt gewaltfreie Proteste gegen die Regierung und gründet die Charta 97 mit, die sich für ein demokratisches Belarus einsetzt. Kurz nach den nachweislich manipulierten Wahlen 2010, bei denen er als Präsidentschaftskandidat antritt, wird er bei Protesten verhaftet und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach rund zwei Jahren wird er begnadigt und flüchtet ins Exil.
 
Siczek begleitete Sannikov seit 2013, wodurch der Film uns auch intime Einblicke in seine Welt gewähren: Wir sehen ihn beim Spielen und Hausaufgaben machen mit seinem Sohn, bei den raren Wiedersehen mit seiner Frau, beim Nachstellen der Teezubereitung im Gefängnis mit einem Tauchsieder. Während der Zeit im Exil wächst Sannikovs Sohn zum Teenager heran und verdeutlicht, wie ausdauernd Sannikov in seiner Situation sein muss. Zeigt er uns zu Beginn des Filmes auf einer Karte, wie eng die räumlichen Verhältnisse seines früheren Lebens waren – Schule, Wohnung, Büro und Gefängnis lagen alle in unmittelbarer Nähe voneinander – so ist sein jetziges Leben eines der Transnationalität und des langen Wartens auf Veränderung. Im Zuge der Pandemie ziehen seine Frau und sein Sohn zu ihm nach Warschau. Die niedergeschlagenen Proteste von 2020 liessen auf einen demokratischen Wandel hoffen, Realität geworden ist er noch nicht.
 
Die Erstvorführung von This Kind of Hope eröffnete die diesjährigen Solothurner Filmtage, wo Sannikov zusammen mit Regisseur Siczek vom Publikum mit einer langen Standing Ovation geehrt wurden.
Simon Meier
*1986, Studium der Kunstgeschichte, Filmwissenschaft und Ethnologie an der Universität Zürich. Längere Sprach- und Forschungsaufenthalte in Louisiana und Neuseeland. Arbeitet als Bildredaktor bei Keystone-SDA. Seit 2011 Mitglied der CINEMA-Redaktion. www.palimpsest.ch
(Stand: 2021)
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