PIERRE LACHAT

BÜROHENGSTE GEGEN JUNG-FELLINIS — DAS SCHWIERIGE VERHÄLTNIS ZWISCHEN FERNSEHEN UND FILMEMACHERN IN DER DEUTSCHEN SCHWEIZ

CH-FENSTER

Das Fernsehen in der Schweiz, dessen Anfänge auf das Jahr 1953 zurückgehen, ist, was seine Beziehungen zur Filmproduktion in der Schweiz betrifft, schon fast traditionell, darf man sagen, von der Verschiedenheit der Entwicklungen in Genf und Zürich gekennzeichnet. In der Romandie hat es zwischen 1968 und 1972 eine Zeit der Kooperation, also mehr als blosser Koproduktion, zwischen Filmemachern und Fernsehanstalt gegeben, die für beide Seiten, vor allem aber für den Schweizer Film als Ganzes, höchst fruchtbar war; in der deutschen Schweiz ist diese Kooperation, sofern dieses hohe Wort überhaupt am Platz ist, bisher nie über den Einzelfall hinaus zur Kontinuität auch nur innerhalb eines begrenzten Zeitraums gediehen.

Die Gründe für die Verschiedenheit der Entwicklung in den beiden Landesregionen sind darin zu suchen, dass in Genf und Zürich Leute unterschiedlicher beruflicher Provenienz die regionalen Fernsehanstalten aufbauten; sie hatten von dem, was das neue, in seiner inneren Struktur noch nicht sehr gut bekannte Medium in der Schweiz sein und leisten würde, ziemlich stark voneinander verschiedene Vorstellungen. Die Deutschschweizer begriffen das Fernsehen vorab als eine Extension von Radio und Theater, den Bereichen, aus denen die Gründer stammten, und erblickten in dem Kommunikationsmittel vornehmlich etwas, das für das vor allem vom Radio vorgezeichnete Genre der Direktsendung geradezu prädestiniert schien. Nicht, dass die Welschschweizer diesen für das Wesen der Television konstitutiven Aspekt, das «Live»-Prinzip, etwa ignoriert hätten. Sie werteten es aber wesentlich weniger absolut als ihre Kollegen in Zürich; neben ihm Hessen sie willig, und weil sie mit dem Film nicht weniger vertraut waren als mit Radio und Theater, auch das umgekehrte, von Film und Kino hergeleitete «Konserven»-Prinzip gelten. Wogegen die Deutschschweizer, kann man sich im Nachhinein vorstellen, lange geglaubt haben müssen, das Kino werde die Institutionalisierung des Fernsehens sowieso nicht überleben.

So konnte es kommen, dass in Genf eigentlich Film-Leute, das heisst solche, die das Medium Fernsehen gerade auch als ein «Konserven»-Medium zu benutzen gedachten, mit den Andersgesinnten zusammen die TV-Anstalt aufbauten: An Goretta, Tanner, Lagrange wäre da zu denken. Wogegen in Zürich Film-Leute, die während der Aufbauphase im Apparat der Anstalt Fuss zu fassen suchten, an der Peripherie verblieben, allenfalls neben den «Live»-Unterhaltern toleriert, jedoch nicht konsequent gefördert und ermutigt wurden.

Und so konnte es auch kommen, dass die «Television de la Suisse Romande» zwischen 1968 und 1972, kraft ihrer denkwürdigen beiden Koproduktionsverträge mit dem «Groupe 5», zur eigentlichen Geburtshelferin des Westschweizer Kinos und damit indirekt des neuen Schweizer Spielfilms überhaupt werden konnte. Es ist schon oft gesagt worden und braucht an dieser Stelle nicht im Detail wiederholt zu werden: Die TSR beteiligte sich nicht nur finanziell (in keinem allzu fürstlichen Rahmen übrigens) an den Kosten der «Groupe 5»-Produktionen, sie gab den Regisseuren auch vor und nach den ausser Hauses hergestellten Filmen Arbeit im Hause selbst (oft gar noch interessante, die die Autoren gut zu ihrer Weiterbildung nutzen konnten). Eine Formel von einmaliger Richtigkeit war’s jedenfalls, die in einem historischen wichtigen Augenblick eine entscheidende Rolle gespielt hat. Auf sie wäre eigentlich zurückzugreifen, tendierten nicht beide Anstalten, die in Zürich und die in Genf, seit einiger Zeit dazu, lieber gleich alles im eigenen Gehöft zu fabrizieren, das heisst von externen Produktionen abzukommen. Bürokratische Apparate scheinen in dieser Beziehung eine unaufhaltsame Eigendynamik zu entwickeln.

Wesentlich anders als das welsche verfuhr das Deutschschweizer Fernsehen. Mancher mochte 1969, als Direktor Guido Frei sich (für einmal) persönlich an die Solothurner Filmtage bemühte, die Stunde für gekommen halten, da man es in Zürich den Genfern ernsthaft gleichtun würde. Nicht ohne grosse Geste setzte Frei 300 000 Franken aus, mit denen fünf oder sechs Autoren-Spielfilme, ziemlich genau nach dem Muster der TSR, koproduziert werden sollten. Für das ziemlich klägliche, heute weder von Filmemachern noch Fernsehmachern bestrittene Scheitern dieser «Aktion Jungfilmer», die wohl Filme, aber eben keine weiterweisenden wie Tanners Charles mort ou vif oder Gorettas Le Fou zeitigte, nur die eine der beiden Seiten verantwortlich zu machen, wäre falsch, davon ganz abgesehen, dass die «Schuld» sowieso verjährt wäre. Das Experiment — als solches wurde es wohl von beiden Seiten, wenigstens im Nachhinein, angesehen — brachte vielmehr als tieferliegenden Grund für das Misslingen die Tatsache zum Vorschein, dass Filmemacher und Fernsehmacher in der deutschen Schweiz schlecht bis überhaupt nicht miteinander kommunizierten, wobei paradoxerweise gerade dieser Umstand dazu führte, dass sehr viel (aneinander vorbei) und recht wenig (gemeinsam) unternommen wurde. Sicher, eine Bilanz (ohne dabei die kärglichen Resultate der «Aktion Jungfilmer» zu berücksichtigen) auf beiden Seiten hätte heute etwas vorzuweisen: Filme von Seiler, Gloor, Radanowicz, Imhoof, Lyssy, an deren Produktion sich das Deutschschweizer Fernsehen trotz des missratenen Einstands beteiligt hat; die (wenn auch unter manchen Gesichtspunkten, wie häufige Reibereien gezeigt haben, fragwürdige) Institutionalisierung der Sendung «Filmszene Schweiz», in der seit 1970 Schweizer Filme regelmässig ausgestrahlt werden (wenn auch, wie man weiss, zu finanziellen Konditionen, bei denen die Fernsehanstalt eindeutig das bessere Geschäft macht).

Doch kam es, bei aller punktueller Übereinstimmung diese oder jene einzelne Produktion betreffend, nie zu einer generellen fruchtbaren Konkordanz zwischen den beiden Kontrahenten, von der von den Filmemachern gewünschten strukturellen Einbeziehung der Externen in die Produktionsbereiche der Anstalt ganz zu schweigen. In den Zürcher Studios empfand man die «Jung-Fellinis», wie man sie despektierlich nannte, als lästige Hypothek, als Aussenseiter, die sich immer wieder, wie es Frei etwa formulierte, durch «schroffe und fordernde Reaktionen» unangenehm bemerkbar machten. Der «Sendeauftrag» hinter dem man sich eben immer leicht verschanzen kann, schreibe keine Förderung des Schweizer Films durch das Fernsehen zwingend vor; dieses Argument erhielten die Filmemacher ab und zu um die Ohren geschlagen. Was sich natürlich auch so verstehen Hess, dass sich die Filmemacher glücklich schätzen durften, wenn die SRG-Leute sich überhaupt mit ihnen befassten. Auf der andern Seite neigten die Filmemacher dazu, in den Fernsehmachern nichts anderes zu erblicken als kretinische Bürohengste, die nur im Sinne hatten, ihre Kontrahenten entweder auszubeuten oder sie, falls sie sich das nicht bieten Hessen, möglichst wieder fortzuscheuchen. Die Sache harzte; es tat sich zwar dieses und jenes, aber wenige waren damit recht glücklich; zur Hauptsache verdächtigte man sich gegenseitig.

Daher wohl aus dem ganzen komplexen Malaise und einer starken Polarisierung heraus, zu Beginn des Jahres 1973 wieder eine Aktion des Deutschschweizer Fernsehens, vier Jahre nach der ersten. Man gab sich diesmal den Anschein, nun aber gleich mit der ganz grossen Kelle etwas ganz Grosses anrichten zu wollen: Vier Millionen Franken, nicht weniger wurden als Finanzrahmen genannt, und es wurde mit der Möglichkeit internationaler Koproduktion gewunken. Und man zeigte sich entschlossen, aus begangenen Fehlern zu lernen: Es sollte nicht mehr einfach auf die Flausen der Autoren eingegangen, sondern ihnen von vornherein ein thematischer und genremässiger Rahmen gesetzt werden. Daher der Titel der Aktion: Verfilmung epischer Schweizer Literatur. Die Autoren wurden eingeladen, erzählende Schriften aus neuerer und älterer Schweizer Literatur zu benennen, die sie für verfilmbar und verfilmenswert hielten. 42 Interessenten reichten einer fünfköpfigen, von Ulrich Hitzig präsidierten Lektoratskommission, 109 Vorschläge ein. 16 von ihnen wurden nach einer ersten Auslese zurückbehalten. Ende 1974 waren noch sieben Projekte im Rennen, die bis dahin im Drehbuchstadium vorlagen, nämlich Adaptationen von (Drehbuchautoren in Klammern): Jakob Bossharts Durch Schmerzen empor (Louis Jent), Otto F. Walters Der Stumme (Gaudenz Meili), C. F. Meyers Die Richterin (Daniel Schmid), Kurt Guggenheims Riedland (Wilfried Bolliger), Paul Nizons Untertauchen (Peter Hältschi), Hansjörg Schneiders Die Ansichtskarten (Reto Babst, Georges Janett), einer Episode aus Max Frischs Tagebuch 1966-1971 (Georg Radanowicz). Ungewiss war noch, ob Kurt Früh eine Adaptation von Gotthelfs Der Ball, Rolf Lyssy eine solche von Jakob Bührers Kilian liefern würde.

Freilich schrumpfte mit dem Feld der Bewerber auch der Finanzrahmen der Aktion «Epische Schweizerliteratur», was von Seiten der Fernsehmacher mit zunehmenden Geldnöten der Anstalt erklärt wurde. Von vier Millionen war bald einmal keine Rede mehr. Ulrich Hitzig nannte anfangs Dezember 1974 vorsichtig «ein bis zwei Millionen» und erklärte, die Sondierungen im Ausland betreffend mögliche Koproduktionen seien bisher wenig ermutigend verlaufen, doch sei eine abschliessende Beurteilung der Lage natürlich nicht möglich, solange keine fertigen Drehbücher vorgezeigt werden könnten. Mit der Konkretisierung des Unternehmens «Epische Schweizer Literatur» meinte Hitzig, sei freilich das Engagement des Deutschschweizer Fernsehens in andern externen Schweizer Filmproduktionen zurückgegangen. In der Tat hat sich 1974 das Haus an nur zwei Projekten beteiligt: A. J. Seilers Die Früchte ihrer Arbeit und Rolf Lyssys Konfrontation. Hitzigs Kommentar: «Mager».

BÜROHENGSTE GEGEN JUNG-FELLINIS

La télévision en Suisse est, quant à ses relations avec le cinéma en Suisse, traditionnellement marquée par le fait que les développements ne soient pas identiques à Zurich et à Genève. Cela tient à des raisons historiques précises que Pierre Lachat évoque dans la première partie de son article. Conséquence pour les cinéastes de Suisse alémanique: leur coopération avec la télévision zurichoise n’a jamais pu être aussi cohérente que celle qui liait les cinéastes romands à la télévision genevoise.

Par la suite, l’article retrace en détail les étapes du développement des relations entre télévision et cinéastes en Suisse alémanique dès 1969, année où est tentée une première coopération suivie. Le fait que ce premier effort n’ait pas abouti à les films de qualité a fait apparaître que les faiseurs de télé et les faiseurs des films ne parlent pas le même langage. C’est à la suite de ce malaise générale que la télévision zurichoise a entrepris, en 1973, un deuxième effort pour engager des coproductions avec les cinéastes. Il s’agit d’adapter des oeuvres littéraires suisse-alémaniques à l’écran. En fin d’année 1974, cette action avait produit sept scenarios. (chat)

Pierre Lachat
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]