Der Morgen dämmert über Dar es Salaiam, farbenprächtiger als bei uns. Sonst keine wesentlichen Unterschiede: Lastwagen auf einer Ausfallstrasse, Niemandsland der Vorstädte wie überall, hohe Leuchtstengel verbreiten fahles Licht, Menschen hasten zum nächsten Fabriktor. Die Kamera folgt nach in die Fabrik. Blick von oben in eine Halle. Frauen sortieren in endlosen Reihen Cashew-Nüsse. Ununterbrochen bewegen sich die Hände hin und her. Schnitt. Arbeiterinnen in Reih und Glied an Nussknacker-Maschinen. Nahaufnahme einer Arbeiterin. Im abgehackten Rythmus der Maschine gehen die Hände auf-ab, auf-ab. Der Mensch als unvollkommenes Anhängsel einer Maschine. Schnitt. Blick in die Büroabteilung der gleichen Fabrik. Eine Sekretärin legt in Bewegungen, die in ihrer Gemächlichkeit einen harten Kontrast zur Hektik der Arbeiterinnen bilden, eine unwahrscheinlich grosse Anzahl Kohlenblätter zwischen irgendwelche Formulare. Die Kamera bleibt beharrlich dabei. Noch ein Kohleblatt, noch eines. Ehe Sekretärin spannt den Stapel gekonnt-gelangweilt in die Schreibmaschine ein. Das Stadtzentrum von Dar es Salaam in einer Totalen, dazu aus dem Off ein Zitat von Nyerere: «Wir begünstigten eine Entwicklung von Dingen anstatt von Menschen» (1968).
Eine bessere Illustration zu seiner Aussage hätte sich Nyerere selbst wohl kaum wünschen können als diese Eingangsbilder, die für uns erschreckende Spiegelbilder unserer eigenen Zivilisation darstellen. Wir können uns überzeugen: die Kolonisatoren haben ganze Arbeit geleistet.
Ein weiteres Zitat Nyereres, das die Städtler letzlich als Ausbeuter der Landbevölkerung bezeichnet, leitet über zum Zentralien Thema des Films, dem spezifisch afrikanischen, ländlichen Sozialismus in Tansania. 44 Stunden Bahnfahrt liegt Mahembe von Dar es Salaam entfernt: der Stimmen-Wirrwarr des Grossstadtbahnhofs verstummt, zum dumpf schlagenden Rythmus einer Trommel ziehen weite afrikanische Landschaften an uns vorüber: kahle flache Landstriche, dicht bewucherte stachelige Hügel. Kein Mensch, kein Tier, keine Folklore, sondern Landschaft im Urzustand, weder pathetisch, noch exotisch. Die Bilder besagen in aller Deutlichkeit, dass Tansania ein dünnbesiedeltes, wenig entwickeltes Agrarland ist’,
Ankunft in Mahembe: ein zufälliger Blick zwischen Hütten hindurch auf ein Stück Grasland, streunende Hunde, eine unbeteiligt vorübergehende Frau. Mahembe scheinbar von aussen, im Grunde genommen bereits von innen gefilmt.
Ich habe die zehn ersten Minuten des Films mit allen Einzelheiten geschildert, weil sie mir bezeichnend scheinen für die Haltung der Autoren dem ganzen Projekt gegenüber. Es ist eine Haltung der Offenheit, Unvoreingenommenheit, der interessierten Teilnahme. In monatelanger Vorbereitungszeit hatten sich die Autoren mit Tansania beschäftigt.
Es kostete sie einige Mühe, alles Gelesene, alle Besserwisserei über Bord zu werfen und sich von der tansanischen Wirklichkeit überraschen zu Hassen. Die Überwindung vorgefasster Konzepte zugunsten der Realität hat sich gelohnt. Der Zuschauer erfährt nur das Nötigste aus der Theorie, aber umso mehr aus der Praxis. Er muss nur Augen und Ohren öffnen und er wird aus nahezu sämtlichen Lebensbereichen Tansanias Information erhalten2.
Was er sieht und hört, scheint oberflächlich betrachtet völlig unspektakulär, geht aber gerade dadurch unter die Haut. Unauffällig und fast ausschliesslich in Augenhöhe bewegt sich die Kamera, die Arbeit des Teams bleibt unsichtbar, sie steht ganz im Dienst der Menschen und ihrer Aussage. Die Identifikation mit den schwarzen Bauern kommt wie von selbst zustande. Begriffe wie «Ujamaa» und «Kujitegemea»3 bedeuten für den Zuschauer nicht mehr nur wohlklingende Laute aus der tansanischen Staatsphilosophie, sie sind nachhaltig personifiziert in der Gestalt des Vorsitzenden, des Schreiners, Müllers, Lehrers, des Distriktsekretärs.
«Ujamaa»: das sind Bilder der arbeitenden Dorfbewohner, der auf- und niedergehenden Hacken, der tanzenden Füsse beim Anpflanzen von Baumwolle. «Ujamaa» schafft Probleme, über die der Vorsitzende offen spricht, denn nicht jeder erscheint auf dem Gemeinschaftsfeld, nicht jeder will die eigene Hacke hergeben. «Ujamaa» ist aber auch der in den Gesichter aufleuchtende Stolz und der zähe Wille, gemeinsam für alle bessere Bedingungen zu schaffen.
«Kujitegemea» sind im Bild der nach gemeinsamen Beschluss aus dem gemeinsamen Gewinn eröffnete Laden und die Schreinerei. Die Kamera verfolgt pedantisch die Herstellung eines Siebes. Zum Sinnbild für «Kujitegemea» wird schliesslich die Marktszene: Stolz auf die eigenen Schreiner, prüfend-bewundernd drehen die schwarzen Frauen die Manioksiebe in ihren Händen.
Die Leute in Mahembe formulieren ihre Ziele mit eindrücklicher Klarheit4. Si wissen genau, was sie nicht mehr wollen, nämlich die Zeit des Dunkels und des «Schlafens» unter Kaiser Wilhelm. Das Filmteam hat das neu erwachte afrikanische Bewusstsein auch hier eindrücklich festgehalten. Selbst die Kritik stammt nicht von den westlichen Kommentatoren, sie wird von den Dorfbewohnern selbst geübt. Selbstkritik ist im Übrigen ein Merkmal des tansanischen Sozialismus. Menschen, die ihr eigenes Schicksal in die Hände genommen haben, kämpfen hier gegen innere und äussere Widerstände. Dem. neuen Selbstbewusstsein entspringt ein unerschütterlicher Optimismus, ein Drang zur Selbstbehauptung, aber auch eine Forderung an den Staat, den neuen Initiativen mehr Spielraum zu gewähren durch vermehrte Transparenz in Wirtschaftsbelangen und durch eine effizientere, weniger bürokratische Organisation in den wichtigsten Geschäften.
Die Anklage gegen unsere Wirtschaftspolitik im letzten Teil des Films, ist unüberhörbar5, Sie trifft umso härter, als wir die Arbeit der beim Schlussgespräch im Schoss ruhenden Hände kennengelernt haben. Tansania geht den langsamen Weg der kleinen und mittleren Technologie. Das bedeutet ein langsames Ansteigen des Pro-Kopf-Einkommens, gewährleistet aber eine gerechtere Verteilung des Bruttosozialprodukts. Selbst wenn wir unsere Produkte Tansania zu einem niedrigen Preis verkaufen würden, könnte dieser Staat mit unsern hochspezialisierten Gütern nichts anfangen. Die Bauern von Mahembe stellen unsere eigene hochtechnologische Zivilisation in Frage. Sie arbeiten mit der Hacke und als nächstes werden sie nicht den Traktor führen, sondern den Ochsenpflug kennenlernen, trotzdem sind sie uns in wichtigen Bereichen voraus.
Verschiedene Umstände haben die Entstehung des Films begünstigt. Die sichere, kluge Regiearbeit von Marlies Graf und ihr sorgfältiger Schnitt verleihen dem Film als ganzes Einheit und eine unaufdringliche Glätte. Fritz E. Maeders Kameraarbeit verrät grosses Einfühlungsvermögen, wobei auch seine langjährige Afrika-Erfahrung dem Filmteam zusätzlich zugutekam. In Ahadi Senzighe wurde ein Dolmetscher gefunden, der sich als ausgezeichneter Interviewer erwies, den Kontakt zur Bevölkerung festigte und die Anliegen des Teams auf Anhieb verstand.
Der Zugang zur Bevölkerung wurde im Weitern erleichtert durch eine zweiwöchige Phase, in der man sich ohne «Technik» zwischen den Hütten bewegte. So konnte das Misstrauen der Leute gegenüber den Fremden, die mit ihren Utensilien unermesslich reich zu sein schienen, vermindert werden. Die Arbeitsbedingungen stellten das Team zuweilen auf harte Proben. Unterkunft auf engstem Raum, Hitze und Proteinmangel, der unter der einheimischen Bevölkerung stark verbreitet ist, schafften Probleme. Das in nur fünf Wochen Drehzeit entstandene Produkt zeigt deutlich, dass es um nichts weniger als um exotische Erlebnisse ging. Der Film füllt eine wichtige Informationslücke. Das Bild des ugandischen Despoten Idi Amin und die Verteuerung des Erdöls durch die arabischen Staaten prägen bei uns in weiten Bevölkerungskreisen allein das Bild der Dritten Welt, wobei vergessen wird, dass gerade die hohen Erdölpreise sich für Entwicklungsländer wie Tansania verheerend auswirken. Obwohl in letzter Zeit viel von Tansania gesprochen wird, sind differenzierte Berichte spärlich vorhanden. Der Einfluss der Weltbank-Meinung macht sich geltend, und nur zu schnei ist man bereit, dem tansanischen Modell reelle Chancen abzusprechen6.
Frühere Schweizerfilme aus der Dritten Welt, wie Bananera Libertad von Peter von Gunten und Katutura von Ueli Schweizer, die ungerechte Verhältnisse in der Dritten Welt anprangern, haben bei uns eine Bewusstseinsbildung in Gang gebracht. Die Autoren des Films über Tansania wollten einen weiteren Schritt unternehmen und positive Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Der andere Weg Tansanias fordert eine aktive Auseinandersetzung und Teilnahme von Seiten der Betrachter, fordert Solidarität und nicht mehr nur Mitleid.
Einen Akt der Solidarität stellt der Film selbst dar. Er ist entstanden in Zusammenarbeit mit dem tansanischen «Community Development Trust Fund». Ein eigenständiges Filmschaffen ist in Tansania erst im Entstehen begriffen7. Der Film Die Bauern von Mahembe soll in Tansania selbst eingesetzt und diskutiert werden. Er wird auch im Entstehungsland eine Informationslücke schliessen helfen und eine Funktion erfüllen.