Schär. — Welche Funktionen schreiben Sie dem Cinéasten in der heutigen Gesellschaft zu?
Pasolini. — Die Funktion des Cineasten in der heutigen Gesellschaft ist diejenige, bis ins letzte Cineast zu sein. Die Funktion des Cineasten besteht in seiner Strenge; und seine Strenge ist formal. Der Cineast, der sich einbildet, das Kino sei Aktion, kommt dazu, Propaganda, Pädagogik oder Kommerz zu machen. Das Kino ist immer politisch. Aber wenn der Cinéast direkte Politik machen will, soll er verzichten, Filme zu drehen. Oder dann soll er klar zugeben, dass er auf seine Strenge verzichtet, um einen Kompromiss einzugehen, den nur der Eifer rechtfertigt.
Schär. — Ist es möglich, die von Ihnen umschriebene Funktion des Cineasten innerhalb der bestehenden Struktur des Filmmarktes auszuüben, oder muss man andere Wege suchen?
Pasolini. — In den finstersten Augenblicken der feudalen oder monarchistischen Herrschaft wurden die grossartigsten romanischen Kirchen gebaut. In den finstersten Augenblicken der kapitalistischen Herrschaft kann man grossartige Filme machen, so wie die grossartigsten Gedichte geschrieben wurden. Leider könnte man nicht einen «grossartigen» Film über die Polizei, das Richteramt, die Armee oder die Kirche drehen: Die Gründe dafür sind objektiv. Also besteht auch für den strengsten aller Cineasten das Bedürfnis, andere Wege zu suchen — revolutionäre Wege — um für sich eine vollständigere und realere Freiheit zu erreichen.
Schär. — Der «Neue Film» teilt sich stets in einer neuen Sprache mit, die oft hohe Anforderungen an das Erfassungsvermögen des Zuschauers stellt. Besteht hierin nicht eine Gefahr, dass dieser Film elitär wird?
Pasolini. — Filme für eine Elite zu drehen (die neuen Eliten, die sich in Europa in den vergangenen Jahren gebildet haben) ist nicht ein Risiko, sondern eine Pflicht. Die wahre Antidemokratie ist die Massenkultur: Ein Autor ist also demokratisch, wenn er sich weigert für die Massenkultur zu arbeiten, und wenn er sich «absondert», indem er für Menschen aus Fleisch und Blut arbeitet.