ALICE VOLLENWEIDER

PASOLINI - POETA DOCTUS — PIER PAOLO PASOLINI ALS SCHRIFTSTELLER

ESSAY

So gross Pasolinis Ruhm als Filmregisseur war, als Schriftsteller hat er sich ausserhalb Italiens kaum durchgesetzt, obschon einzelne seiner Werke ins Deutsche, ins Französische und ins Englische übersetzt wurden. In Italien dagegen gehörte Pasolini in den vergangenen zwanzig Jahren zu den wichtigsten und umstrittensten Protagonisten auch des literarischen Lebens.

Seine schriftstellerische Tätigkeit gliedert -sich in zwei deutlich unterscheidbare Phasen: eine schöpferische Epoche, die 1942 mit den Poesie a Casarsa, Gedichten im friulanischen Dialekt, einsetzte und 1959 mit dem Roman Una vita violenta, in dem der römische Dialekt einen breiten Raum einnimmt, zu Ende ging. Hier stösst man gleich auf den Hauptgrund für die Verkennung des Schriftstellers im Ausland: die Schwierigkeiten, die sich aus der Übersetzung des Dialekts ergaben, waren fast unüberbrückbar, das lässt sich an der mangelhaften deutschen Fassung von Una vita violenta überprüfen, die 1963 erschien.

Pasolinis zweite Epoche, die in Essay, Roman und Lyrik ganz im Zeichen der Polemik gegen die zeitgenössische Gesellschaft stand, fällt zeitlich mit dem Beginn seiner Tätigkeit als Filmemacher zusammen. 1961 kam Accatone, sein erster Film, zur Aufführung, und im gleichen Jahr erschien auch der Gedichtband La religione del mio tempo, in dem, wie in allen späteren Werken des Schriftstellers Pasolini, die zornigen und pathetischen Angriffe gegen die moderne Konsum-und Industriegesellschaft dominieren und in einer seltsam matten und nachlässigen Sprache vorgetragen werden, in der man nur sporadisch die gerafften treffenden Formulierungen und die grossartigen Metaphern des frühen Pasolini wiederfindet. Der Autor selber war sich dieser geringeren sprachlichen Qualität, die vielleicht auch mit seiner Konzentration auf das Medium des Films in Zusammenhang zu bringen ist, bewusst: 1962 schrieb er in dem langen Gedicht Progetto die opere future (Entwurf zukünftiger Werke), das 1964 in der Sammlung Poesia in forma di rosa erschien:

Smetto di essere poeta originale, che costa mancanza di libertà: un sistema stilistico è troppo esclusivo. Adotto schemi letterari circolanti, per essere più libero Naturalmente per ragioni pratiche.

(Ich höre auf, ein ursprünglicher Dichter zu sein, was Freiheit / kostet: ein stilistisches System ist zu exklusiv. / Ich halte mich an die üblichen literarischen Schemata, um freier zu sein. / Aus praktischen Gründen natürlich.)

In dieser zweiten polemischen Periode, die mit seinem gewaltsamen Tod aufhörte, war Pasolini vor allem ein fruchtbarer Zeitungsschreiber. Man kann in den vor einem Jahr erschienenen Scritti corsari (Piraten-Schriften) seine Attacken gegen die Ehescheidung und die Abtreibung und seine zornige Gleichsetzung von Kommunisten und Faschisten als Marionetten der Konsumgesellschaft nachlesen. Seine letzte Provokation war im vergangenen Herbst der im Corriere della Sera lancierte Vorschlag, Schule und Fernsehen als schlimmste Instrumente der kapitalistischen Gleichschaltung abzuschaffen. All diese Polemiken hatten ihre Wurzel in einer unerfüllten Sehnsucht nach einer Religiosität, die sich für ihn nur in einer Agrarkultur entwickeln kann. Diese Sehnsucht nach der ursprünglichen Gesellschaft, die im Grunde nichts anderes als die uralte Flucht aus der Wirklichkeit in die Utopie des «Retour à la nature» war, hatte ihn in seiner Lyrik in seine friulanische Heimat geführt, in den Romanen der fünfziger Jahre ins Unterproletariat der Grossstadt Rom und in seinen letzten Filmen in die Dritte Welt und ihm die verzweifelte Einsicht gebracht, dass das göttliche Mysterium unerreichbar ausserhalb der trostlosen Realität liegt, die der moderne Mensch als die seine geschaffen hat.

Für einen ausländischen Beobachter war es oft rätselhaft, dass es Pasolini gelang, mit seinen diffusen und widersprüchlichen Thesen so viel Staub aufzuwirbeln. Im deutschen oder im französischen Sprachbereich wäre ein Publizist, der die Heilung der Welt von der Abschaffung von Schule und Fernsehen erwartet, kaum auf interessierte Gesprächspartner gestossen. In Italien jedoch, wo sich der Übergang von den bäuerlichen zur industriellen Gesellschaft in einer sehr viel kürzeren Zeitspanne vollzogen hat als anderswo, war es viel leichter, in der Unsicherheit des Umbruchs die Sehnsucht nach den intakten familiären und religiösen Strukturen einer scheinbar heilen Vergangenheit zu beschwören.

Pasolinis Beitrag zur modernen italienischen Literatur beschränkt sich — das kann man heute mit Sicherheit sagen — auf die Werke, die er bis 1959 schrieb: die friulanischen Gedichte von La meglio gioventù (1954), die beiden Romane Ragazzi di vita (1955) und Una vita violenta (1959), die Gedichtsammlungen Le ceneri di Gramsci (1957) und L’usignolo della Chiesa Cattolica (1958).

Es sind alles Werke, die aus der Reflexion über die Sprache entstanden sind, aus der Frage nach dem Verhältnis von hochsprachlicher und dialektaler Literatur, aus der Überprüfung der traditionellen Formen der Lyrik für zeitgenössisches Sprechen. Pasolini war in seinen Büchern nicht in erster Linie der Sozialkritiker oder Neorealist, als den man ihn gern abstempelte, sondern ein poeta doctus, ein gelehrter Dichter, ein ausgezeichneter Philologe und ein differenzierter und raffinierter Stilist.

Seine Poesie a Casarsa publizierte er zwanzigjährig auf eigene Kosten und diese fünfzigseitige Sammlung von Gedichten im friulanischen Dialekt ist wahrscheinlich das Vollkommenste, was Pasolini geschrieben hat. Das ist einem der bedeutendsten italienischen Literaturkritiker unserer Zeit, Gianfranco Contini, der damals Professor in Fribourg war, nicht entgangen: er veröffentlichte 1943 im Corriere del Ticino eine Rezension, in der er Pasolinis Lyrik, der, wie er schrieb «in der italienischen Dialektliteratur nichts Ebenbürtiges entspricht», in ihrer raffinierten Kühnheit analysierte. Pasolini war damals Student in Bologna; er schrieb eine Dissertation über Pascoli und das Friulanische, das ja eigentlich kein Dialekt ist, sondern wie das Ladinische in den Dolomiten und das Rätoromanische im Kanton Graubünden eine vom Italienischen unabhängige Sprache. Pasolini kannte das Idiom durch seine Mutter und durch die jährlichen Ferienaufenthalte in Casarsa della Delizia, dem Geburtsort seiner Mütter im Friaul. Dieses enge und zugleich distanzierte Verhältnis zum Friulanischen und zu der Landschaft, in der es gesprochen wurde, machte es Pasolini möglich, ganz ausserhalb der Schemata der folkloristischen Dialektliteratur, seine Lyrik in einer unberührten, durch keine Tradition belasteten Sprache zu gestalten oder wie Contini schrieb, das zu verwirklichen, was Stefan George 1889 in seinen poetischen Experimenten in einer selbsterfundenen romanischen Sprache anstrebte.

Pasolinis erste Gedichte stehen ganz in der romantischen und symbolistischen Tradition der italienischen Lyrik; sein virtuoser Umgang mit dem Friulanischen und die Einheit der Inspiration, die aus der Erinnerung an das Paradies des unberührten Landlebens und der Jugend fliesst, geben ihnen die lyrische Intensität. Ein Beispiel:

LENGAS DAI FRUS DI SERA

«Na greva viola viva a savariea vuei Vinars...»

(No, tas, sin a Ciasarsa: jot li ciasis e i tìnars

lens ch’a trìmin tal riul). «Na viola a svariea...»

(Se i sîntiu? a son li sèis; un aunar al si plea

sot na vampa di aria). «Na viola a vif bessola...»

Na viola: le me muàrt? Sintànsi cà parsora

di na sofa e pensàn. «Na viola, ahi, a cianta...»

Chej sîgus di sinisa i sint sot chista planta

strinzînmi cuntra il Storni massa vif il vistît.

«Dispeada la viola par dut il mond a rit...»

A è ora ch’i recuardi chej sîgus ch’a revochin

da l’orizont azur c’un sunsur ch’al mi incioca.

«L’azur...» peraula crota, bessola tal silensi

dal sèil. Sin a Ciasarsa, a son sèis bos, m’impensi...

(Nach Pasolinis eigener Übersetzung ins Italienische: KINDERGESPRÄCHE AM ABEND / Ein ernsthaftes, lebendiges Veilchen träumt heute freitags...» / (Nein, schweig, wir sind in Casarsa; schau die Häuser und die jungen Bäume / die über dem Graben zittern). «Ein Veilchen träumt...» / (Was fühle ich? Es ist sechs Uhr; eine Erle biegt sich / unter einem Windstoss). «Ein Veilchen lebt allein...» / Ein Veilchen: mein Tod? Setzen wir uns / ins Gras zum Nachdenken. «Ein Veilchen singt...» / Ich höre Schreie aus Asche unter einem Windstoss). «Ein Veilchen lebt allein...» / Ein lebendigen Herz zusammen. / «Einsam lacht das Veilchen in der ganzen Welt...» / Es ist Zeit, dass ich an jene Schreie denke, die sich / am blauen Horizont mit einem Lärm stauen, der mich trunken macht. / «Das Blau...» nacktes Wort, einsam im Schweigen / des Himmels. Wir sind in Casarsa, es ist sechs Uhr, ich erinnere mich...)

Von 1943 bis 1949 lebte Pasolini in Casarsa als Lehrer und beschäftigte sich in seiner Freizeit intensiv mit den historischen und linguistischen Bedingungen der italienischen Dialekte, vor allem mit der Sprache und der Geschichte des Friauls. Zusammen mit Freunden gründete er die Academiuta di Lengua Furlana und gab die Zeitschrift Quaderno Romanzo heraus.

Daneben schrieb er auch italienische Gedichte, die er erst 1958 unter dem Titel L’usignolo della Chiesa Cattolica herausgab. In diesen Gedichten treten die Landschaft des Friauls und das verlorene Glück der Jugend in den Hintergrund: die gefühlsmässige Zuneigung zu den Bauern der Heimat wandelt sich zum betont sozialen Engagement für die wirtschaftlich Benachteiligten, zugleich treten aber auch seine persönlichen psychologischen Probleme in den Vordergrund, die in einer wuchernden Christus-Symbolik einen seltsam zweideutigen Ausdruck finden. In formaler Hinsicht gelingst es Pasolini, Anklänge an Baudelaire und Rimbaud und vor allem an den in seiner Jugendlyrik immer gegenwärtigen Pascoli zu einer sehr persönlichen und reich modulierten lyrischen Sprache zu verschmelzen, in der kurze Verse, gereimte kleine Strophen und ein kunstvoll schlichter Volksliedton dominieren.

Das quälend gegenwärtige Bewusstsein des Andersseins, das nach und nach vor einem biologisch-existentiellen Trauma zum Drama des Dichters, des Essayisten und des Romanciers wurde, drückt sich besonders unverhüllt im Gedicht La realtà aus: Pasolini sieht sich darin von einem «Chor von Glücklichen» umgeben, deren Realität er nicht zu teilen vermag. «Sex, Tod, politische Leidenschaft» — nicht zufällig gerade in dieser Reihenfolg — «sind die einfachen Dinge, denen ich / mein elegisches Herz schenke... Mein Leben / besitzt nichts anderes». Der Schriftsteller empfindet sich als ein «Ausgestossener» inmitten einen Überzahl von «Normalen», und aus diesem Empfinden erklärt und rechtsfertigt er sein Suchen nach Bündnissen mit andern Minderheiten, die «sein Anderssein, seine Sanftheit und ohnmächtige Heftigkeit» teilen.

Im Lumpenproletariat der römischen Slums fand Pasolini, nachdem er sich 1949 endgültig in Rom niedergelassen hatte, die Minderheit, in der sich sein eigenes «Randdasein» für sein literarisches und sein filmisches Werk am nachhaltigsten spiegelte. Diese Welt der Arbeitsscheuen, der Gestrandeten und der Kriminellen, die im Morast der Vorstädte Roms in Baracken hausen und sich als Diebe, Zuhälter oder Strich jungen durchschlagen, war für Pasolini trotz aller politischen und vulgärmarxistischen Verbrämungen, mit denen er seine Faszination zu rechtfertigen suchte, nie ein wirklich gesellschaftliches Problem, sondern vielmehr ein Echoraum für seine autobiographischen Konflikte und seine individuellen Tendenzen: hier konnte sich sein Hang zum Lyrismus, seine zärtliche und pathetische Empfindsamkeit, sein Vitalismus, sein Todesbewusstsein und seine barocke und halbreligiöse Hassliebe zu alledem entfalten, was verdorben, unfruchtbar, schmutzig und definitiv aus dem Kreis der bürgerlichen Wohlanständigkeit ausgeschlossen war.

Wie leidenschaftlich und persönlich Pasolinis Anteilnahme an der Existenz dieser Randgruppe der Gesellschaft war, zeigen die Gedichte, die er zwischen 1951 und 1956 schrieb. Sie erschienen 1957 unter dem Titel Le ceneri di Gramsci (Die Asche Gramscis) und wurden mit dem Premio Viareggio ausgezeichnet. Der Hinweis auf Gramsci, den grössten kommunistischen Denker Italiens, demonstriert, dass Pasolini hier versuchte, seine Lyrik aus dem Bereich seiner persönlichen Probleme herauszuführen und eine neue Poetik zu begründen, in der sich der Schriftsteller zu seiner politischen und gesellschaftlichen Verantwortung bekennt. Zu diesem Zweck wandte er sich von den symbolistischen Vorbildern seiner ersten Gedichte ab und griff auf die patriotische und rhetorische Lyrik des 19. Jahrhunderts zurück: auf Carducci vor allem und den späten Leopardi. Die Versstruktur der Ceneri di Gramsci ist von überraschender Monotonie: die ganze Sammlung ist in Terzinen geschrieben, deren elfsilbige Verse (Endecasillabi) einen tonlosen, prosanahen Rhythmus haben und melodisch durch Reime und falsche Reime zusammengehalten werden.

Seinen Vorsatz, sozial engagierte Lyrik zu schreiben, hat Pasolini in den Ceneri di Gramsci aber nicht verwirklicht: die persönlichen emotionellen Beweggründe seines Schreibens Hessen sich nicht in öffentliche Erfahrungen verwandeln und Pasolini war ein zu bewusster Künstler, um seine subjektive Betroffenheit zu Gunsten politischer Erkenntnisse aus seiner Lyrik auszuschalten. Die historischen und sozialen Elemente dieser neuen Gedichte haben mit der Welt, die sie beschreiben, kaum etwas zu tun: sie wirken aufgesetzt und unwirklich. Pasolinis Beziehung zur Politik erschöpft sich in einem aufrührerischen Konformismus: die Revolution ist für ihn kein historischer Prozess, sondern betrifft nur die Auflehnung der Minoritäten; das Schicksal des Proletariats ist ihm gleichgültig; er beschränkt sich aufs Ghetto der Asozialen und innerhalb dieses Ghettos schränkt er sich noch weiter ein, indem er sich ausschliesslich für die heranwachsenden Jugendlichen interessiert. Mit diesen Widersprüchen müht sich Pasolini vor allem in den Gedichten ab, die er im Abschnitt Le ceneri di Gramsci zusammenfasste. Im vierten Gedicht heisst es:

... ich bin ihm verbunden in der Wärme /der Instinkte, der ästhetischen Leidenschaft; fasziniert von einem proletarischen Leben / das vor dir (angesprochen ist Gramsci) war; für mich ist seine Fröhlichkeit / Religion, nicht sein tausendjähriger Kampf: seine Natur, nicht sein / Bewusstsein; das ist die ursprüngliche Kraft / des Menschen...

Die besten Gedichte dieses Bandes sind diejenigen, in denen Pasolini auf Polemik gegen Marxismus und Bürgertum verzichtet und, wie er es selbst einmal fordert, «in der Hölle bleibt / mit dem marmorharten Willen, sie zu verstehen.»

Diese Forderung hat Pasolini auch in seinen beiden Romanen aus der Welt des römischen Lumpenproletariats erfüllt, die seinen wichtigsten Beitrag zur modernen italienischen Literatur darstellen: 1955 erschien Ragazzi di vita (Halbstarke) und 1959 Una vita violenta (Ein gewalttätiges Leben). In beiden Romanen zeigt Pasolini die Welt der Aussenseiter von innen und verzichtet auf eine dialektische Gegenüberstellung mit der normalen bürgerlichen Welt. Er beschreibt das Milieu dieser archaischen, asozialen Gesellschaft, deren Mentalität und Lebensgewohnheit sich in Jahrhunderten kaum verändert haben, ohne zu kommentieren, in exakten, konkreten Einzelheiten. In diesem Milieu gibt es abgesehen von der Omertà, der Schweigepflicht, keine Solidarität, keine menschliche Rücksichtnahme. Brutal und bedenkenlos bereichern sich die Armen auf Kosten der noch Ärmeren und Schwächeren. Das Geld ist die einzige Quelle des Vergnügens: es erlaubt den kleinen Gaunern, eine Zigarette, ein Glas Wein oder sogar eine amerikanische Krawatte zu kaufen. Im Gefängnis gewesen zu sein ist Ehrensache in dieser Welt, in der Fragen der Politik keine Rolle spielen, weil nur der Hunger zählt. Für diese am Rande der Gesellschaft lebenden Jungen, die Mitleid, aber auch Selbstmitleid und Wehleidigkeit nicht kennen, ist keine Umkehr, keine Resozialisierung möglich. In seinen beiden Romanen zeigt Pasolini, dass es aus dem Teufelskreis, in den die Jungen des römischen Sottoproletariato hineingeboren wurden, kein Entrinnen gibt.

Der Roman Ragazzi di vita besteht aus lose aneinandergereihten Erzählfragmenten, die durch die Figur des Riccetto zusammengehalten werden. In Einblendungen durch einen Zeitraum von knapp zehn Jahren, von etwa 1943 bis 1953, schildert der Autor den Werdegang des Jungen, der kaum zehnjährig seiner Familie entflieht und mit wechselnden Freunden Tag und Nacht durch die Slums streunt, immer auf der Suche nach Diebesbeute, nach Alteisen oder Zigarettenkippen oder auch nach essbaren Abfällen in Mülleimern. Die ragazzi di vita sind schlagfertig und zynisch, und ihre knappen lakonischen Dialoge, die Pasolini in ihrem Jargon widergibt, in der sich der römische Dialekt zu einer Art Gaunerfachsprache entwickelt hat, geben dem dargestellten Ambiente eine fesselnde Authentizität.

Auch Una vita violenta spielt im Ambiente der römischen Slums; im Zentrum steht hier aber nicht eine Gruppe Halbwüchsiger, sondern ein Einzelschicksal, an dem Pasolini eine Entwicklung zum sozialen Bewusstsein zu schildern versucht. Tommaso Puzilli, dessen kurzes und gewalttätiges Leben dieser Roman erzählt, ist innerhalb seiner Welt ein durchaus erfolgreicher junger Mann, der Tankstellen und Prostituierte beraubt und auf den Strich geht, wenn ihm das Geld fehlt, um seinem Mädchen sonntags einen Platz im Kino zu bezahlen. Solange Tommaso nach den Gesetzen seiner Welt lebt, geht es ihm gut; dass er sich gegen sie auflehnt, bringt ihm den Untergang. Als Patient in einer Lungenheilanstalt beteiligt er sich an einer Revolte gegen den Verwalter und lehrt die Macht einer organisierten Masse kennen. Er tritt der kommunistischen Partei bei, und als er das erste Mal in seinem Leben Mitleid zeigt und bei einer Hochwasserkatastrophe eine Frau aus den Fluten rettet, findet er den Tod. Dieser heroische und sentimentale Schluss wirkt aufgesetzt und unglaubwürdig, halb Konzession an die marxistische Ideologie, halb Inszenierung der Todessehnsucht.

Dieser missglückte Schluss mindert die sprachschöpferische Leistung nicht, die Pasolini mit diesen beiden Romanen gelungen ist, indem er ähnlich wie Celine oder wie Carlo Emilio Gadda in der italienischen Literatur eine Welt aus ihrer genau beobachteten und virtuos gehandhabten Sprache heraus erschaffen hat. Im Gegensatz zu Celine und auch zu Gadda ist Pasolinis Sprache jedoch nicht überströmend reich, sondern der dargestellten Welt entsprechend lakonisch, trocken, aufs Elementarste reduziert, eine Sprache, in der ein Laut oder eine Silbe den Klang und die Aussage eines Satzes verändern können. Und Pasolini lässt nicht nur seine Protagonisten Dialekt sprechen und er lässt den Dialekt nicht nur in die erzählenden Passagen einströmen; er wagte sich an ein viel kühneres linguistisches Unternehmen, bei dem ihm allein der Sizilianer Verga bis zu einem gewissen Grad Vorbild sein konnte: er formulierte die Wirklichkeit seiner Lumpenproletarier von innen heraus, indem er ein auf Sprach- und Denkformen des römischen Dialektes beruhendes Italienisch neu schuf. In dieser sprachschöpferischen Anstrengung gelang es dem leidenschaftlichen Ästheten Pasolini zur Wirklichkeit vorzustossen.

L’ŒUVRE LITTÉRAIRE DE PLER PAOLO PASOLINI

L’activité littéraire de Pasolini comprend deux époques: pendant la première — qu’on peut caractériser comme créative et qui dure de 1942 jusqu’à 1959 — il a écrit un volume de poésies et deux romans qui ont établi son nom d’écrivain contemporain; pendant la seconde qui dure jusqu’à sa mort violente il s’est dédié surtout à la polémique contre la société industrielle de notre temps. Ses meilleures œuvres sont nées de la réflexion linguistique; car Pasolini n’a été ni un néoréaliste ni un écrivain engagé, mais un excellent philologue et comme il s’est défini lui-même «un esthète passionné». Dans ses poésies en langue frioulane, publiées en 1954 sous le titre La meglio gioventù il est réussi à exprimer dans une langue archaïque et vierge ses souvenirs d’une jeunesse sereine et innocente avec des reflets romantiques et symbolistes, et dans ses deux romans Ragazzi di vita (1955) et Una vita violenta (1959 il atteint à la réalité du sousprolétariat des faubourgs romains grâce à une opération linguistique qui lui permet de recréer le monde des adolescents émarginés de la société à travers leur argot assez différent du dialecte romain. (A.V.)

Il film l’ho già girato — e con Cristo I

L’ho trovato, Cristo, l’ho rappresentato!

E ora il non trovarlo, il non rappresentarlo

non è che una torbida, ingenua guerra

di sentimenti entrati nelïa mia anima

da un mondo non mio — che quindi mi aliéna

Mi manca qualcosa,

ma questa mancanza non mi dà dolore.

L’altra mancanza, la mancanza reale,

ha divers) fenomeni, di questa non ha

neanche l’apparenza. Sono pertanto esaurite

le panoramiche sui vicoli di calce pura

e porosa, coi fili di soie ardente sui profili,

e i vuoti d’ombra da grande Impressionista,

ronzante d’azzurro... E quelle

quelle antiche montagne

color di pagiia, coi mûri del medioevo

corne pagiia più scura, nella sohiuma

secca che fa, délia luce, il pancinor,

con profili di visi masacceschi neri,

controluce, su fondai! castamente ardenti...

Pasolini

aus Poesia in forma di rosa (1961-64)

Alice Vollenweider
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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