Zwei Jugendliche auf dem Weg ins Ungewisse, vor der Wahl, die ihre Zukunft entscheidet, auf der Suche nach ihrer Persönlichkeit und Individualität. Zwei Menschen zwischen Anpassung und Verantwortung, Flucht und Erfahrung, Kompromiss und dem Willen, Spuren zu hinterlassen, die herrschende Realität zu erkennen und aus ihr heraus das Neue zu machen. Ein Thema, so einfach wie verzwickt, erzählerisch linear und allegorisch komplex, ein Thema, dessen filmische Umsetzung eine grosse Persönlichkeit verrät und einen assoziativen Film abgibt. Das ist zum einen die Frucht der glücklichen Zusammenarbeit mit Leuten, die Georgi Stoianow schon von früheren Filmen kennt: mit Nikolas Russew, Iwan Trentschew und Kiril Dontschew.
Stoianows Allegorie geht über das aktuelle Thema der Migration weit hinaus. Gewiss sind Eftim und Pescho am Anfang noch in ihrem Dorf: Da gibt es sogar akzeptable Arbeit. Aber was soll sie zurückhalten in einer Welt, in der für jeden gesorgt ist, in der jeder selbst dann seine Zukunft hat, wenn er passiv bleibt, sich an die Kompromisse des Komforts gewöhnt? Der Glaube der beiden, in diesem Land brauche man nur in die imaginäre Stadt zu gehen und dann sei man schon in der besten aller besten Welten, ist nur eine Abart dieser Anpassung. Doch die Menschen, denen die beiden auf ihrem seltsamen, äusserlich ereignislosen Weg begegnen, machen die Risse in dieser sozialen und moralischen Wirklichkeit deutlich. Fast alle sind sie aufgeschmissen: Die Frau, die erfahren muss, dass nicht alle Kinder gleich sind (etwa wenn sie ausserehelich sind) und dass erst dann die Wohnungsnot überwunden wäre, wenn alle anonymen Denunzianten im Knast süssen; der Kellner, der ein Opfer der Stärkeren ist, verfolgt wird und seinem fragilen Liebesglück nachtrauert; der Chauffeur schliesslich, der sich mit Skepsis durch den Alltag steuert.
Der Aufbruch der beiden in die bessere Welt ist schon ein Fehlstart. Der Weg führt nicht weiter: Die Autos halten nicht ah; Ruinen bieten nur scheinbaren Schutz; die Begegnungen auf der Strasse wirken als desillusionierendes Wecksignal. Und trennen können sich die beiden auch nicht: Sie sind komplementäre Aspekte einer einzigen Figur, Torsos, die noch, jeder für sich, eine Ganzheit werden müssen. Und wo der eine seinen geplanten Brief ins Notizheft kritzelt, vom Glück in der Stadt unter Arbeitern, Pionieren und Freunden erzählt, wird Stoianows Trennung zwischen Mythos und Realität, Vorstellung und Wahrheit deutlich. Wobei der metaphorische, offene, brillante Schluss mit seinen an Das starke Wasser erinnernden Blicken einiges zu denken gibt.
Stoianow ist der Durchbruch der Fassaden geglückt: der lakonische Humor ist nur das andere Gesicht der sozialen und moralischen Phase, in der — wie ich gerne glaube — die heutige Jugend Bulgariens weitgehend steckt. Stoianows Film ist so untergründig, dass man bei vielen Anspielungen, bei vielen einzelnen Sequenzen (etwa beim grossartigen Lamento in der Kellner-Sequenz) verweilen möchte. Stoianows Reflexion über die Wahl, entweder ins vorgestanzte Leben einzutreten oder einen höheren Anspruch zu erheben, sein Bild von Menschen, die ziellos bleiben, solange sie nicht selbst bestimmen, dieser für zahllose Details hellhörige Film ist formal und thematisch eine Variation des modernen «cinéma de rupture». Alles ist hier Gegenwart, die auf Zukunft drängt, Fiktion, die Wirklichkeit bricht. Und diese Gegenwart und Wirklichkeit setzen sich zusammen aus Fragmenten auch des Vergangenen, das Stoianow oft ebenso unverhofft wie gekonnt in die Erzählung bringt. Zu verfolgen, wie Stoianow dies mit Ton, Schnitt, Licht und gegenseitigen Bezügen macht, gehört zu einer weiteren faszinierenden Möglichkeit in der Rezeption eines der ungewöhnlichsten Filme, die in Bulgarien in den letzten Jahren geschaffen worden sind.