WERNER JEHLE

WAS MIT DEN MEXIKANERN IM WESTERN PASSIERT — «AUF DEM KIRCHTURM STAND EIN URALTER MEXIKANER UND LÄUTETE DIE GLOCKEN»

ESSAY

«Ich hab’ noch nie gern einen Fremden kommen sehen, weil mir ein Fremder noch nie eine gute Nachricht gebracht hat.» Dies spricht beim Herannahen zweier Mexikaner der alte Groot (Walter Brennan) in Howard Hawks schönem Red River (1948). Groot ist das Faktotum Tom Dunsons (John Wayne), der sich gerade anschickt, texanisches Land in Besitz zu nehmen. Die Episode fällt — wohl bemerkt — ins Jahr 1839, in eine Zeit, da Texas noch zu Mexico gehört. Hawks, der nach einem Buch von Borden Chase (The Blazing Guns on the Chisholm Trail) filmt, ist ein Naiver des Kinos. Er kann darin, dass Mexikaner auf mexikanischem Boden als Fremde erscheinen und Yankees als rechtmässige Eroberer, keinen Widerspruch sehen. Hawks vertritt die herrschende Geschichtsschreibung, die anglo-texanische, und macht im Übrigen einen Western, und der hat seine eigenen Gesetze.

Natürlich bringen die beiden Mexikaner in Red River schlechte Nachricht. Sie sagen «buenos dias» und, das Land gehöre einem gewissen Don Diego. Dunson erschiesst den dreisteren der Boten und jagt den anderen wie einen Hund davon. — Wie schildert uns Hawks, der es seit seinem Pancho-Villa-Film Viva Villa! von 1934 wissen muss, den Mexikaner? — Dunkelhäutig, wild dreinblickend unter der mächtigen Krempe des Sombrero, schwer bewaffnet und überladen mit silberbeschlagenem Lederzeug.

Aus Dutzenden von Filmen ist dieses Klischee vom Revolver schwingenden Banditen und Messerstecher bekannt, des Tequila saufenden Mestizen mit böser Absicht. Viele Western spielen im Grenzbereich zwischen den USA und Mexiko, die verwegendsten Westerner sind Grenzer. Zum aktiven Mexikaner, zum Bandit, Rebell oder Revolutionär, die oft kaum voneinander zu unterscheiden1 sind, kommt der weissgekleidete Arbeitssklave auf den Haciendas, der Peon scheu und stumpf. Auch unter den mexikanischen Frauen gibt es die Handelnden und die Duldenden. Weiber vom Schlage der Luxushure Chihuahua (Linda Darnell) aus John Fords My Darling Clementine (1946) gehören zur aktiven Spezies. Chihuahua ist Doc Hollydays (Victor Mature) Maitresse im gesetzlosen Tombstone: eine männermordende, hinterlistige Kratzbürste. Neben ihr erscheint Clementine Carter (Cathy Downs), die blütenweisse Konkurrentin aus dem kultivierten Osten, als unschuldige Fee.

Wenn Mexikaner im amerikanischen Western gut wegkommen, dann sind sie sehr vornehm und «auf der Höhe» der weissen Kultur. Sie gebieten über Heerscharen von dienstbaren Geistern, Knechten und krähenhaften Matronen. Sie werden mit Don angesprochen und vererben ihre Latifundien einer kuhäugigen blassen Tochter, die für einen «Anglo» schwärmt. Senorita Josefa Velarde (Joan Collins) aus Rio Arriba ist so eine. Geputzt wie eines der höfischen Modelle von Goya wartet sie in Henry Kings Bravados (1958) auf den Witwer Jim Douglas (Gregory Peck).

Des Mexikaners Rolle im Western, — eine etwas Differenziertere übrigens als die der Indianer, eine aktivere als die der Neger, — ist aus der Geschichte des amerikanischen Südwestens zu erklären. Das, was die «Besiedlung des Westens» oder «Der grosse Wettlauf nach Westen» genannt wird, war einfach die Kolonisierung eines seit dem 16. Jahrhundert von indianisch-spanischen Mischlingen bewohnten Gebietes durch weisse Amerikaner. Als landwirtschaftliche Pioniere, Goldsucher und Händler drangen diese seit der Mitte des letzten Jahrhunderts in eine inzwischen eigenständige Kultur ein. Da funktionierten landwirtschaftliche Gemeinden, die arm waren, aber eine verhältnismässig egalitäre Struktur hatten. In allen Lebensäusserungen dieser Mexikaner spielten indianische Gewohnheiten mit.

Aus den unterschiedlichen Lebensauffassungen zwischen den dynamischen protestantischen Yankees und den katholischen Mischlingen ergaben sich erste Konflikte. Es sind in dem von den Vereinigten Staaten provozierten mexikanischamerikanischen Krieg (1846-1848) aufgrund von rassischen und kulturellen Vorurteilen Greueltaten verübt worden. Schändungen katholischer Heiligtümer waren an der Tagesordnung. Wenn sich die Mexikaner mit untauglichen Mitteln, mit ihrem Arbeitswerkzeug, der Machete, oder dem Messer gegen den Colt 45 wehrten, wurden sie als hinterhältige Messerstecher verschrieen. Bedienten sie sich in ihrer Ohnmacht der grausamen Guerillamethoden, die sie selbst von den Apachen kennen gelernt hatten, verfolgte man sie als Verbrecher. Im Pistolero und Desperado des Westerns haben sich gewöhnliche Karikaturen historischer Sozial-Banditen erhalten, die immer wieder gegen weisse Willkür an der Grenze aufgestanden sind. Die mit den Weissen kollaborierenden Ricos (Reiche), Grossgrundbesitzer, überleben würdiger in den vornehmen Dons und Juanitas des Westerns.

Wenn mexikanische Kultur liebevoll dargestellt wird, dann als Folklore. Ich erinnere an die Fiesta von Santa-Marguerita aus Cowboy (1958) von Delmer Daves, an die rituellen Tänze in The Magnificent Seven (1960) von John Sturges, an die Feiern aus King Vidors Duel in the Sun (1946) oder an die Hahnenkämpfe aus Arthur Penns The Left Handed Gun (1958) und Robert Aldrichs The Last Sunset (1961). Nicht als Individuen, sondern als pittoreskes Kollektiv, als Trachtengruppe, kommen die «chicanos» — wie sich amerikanische Mexikaner heute nennen — ins Bild. Das gilt sogar für die Gattung der Revolutions-Western, denen die Biographien von Pancho Villa und Emiliano Zapata zugrunde liegen. Elia Kazans Viva Zapata (1951) zeigt weniger den Revolutionär Zapata, weniger die Ursachen seines Handelns als das Einzelschicksal des Aufsteigers, den die Macht zu korrumpieren droht. Bedenklich, dass das Filmfragment Que viva Mexico! (1931/32) des Russen Sergej M. Eisenstein alle amerikanischen Versuche, der mexikanischen Revolution gerecht zu werden, übertrifft. Eisenstein informiert über die indianischen und spanischen Quellen der mexikanischen Kultur und erzählt in der «Maguey» betitelten Episode vom Aufbegehren eines Leibeigenen gegen seinen Feudalherren zur Zeit von Porfirio Díaz. Der Hazendero lässt den Unbotmässigen bis zum Hals eingraben und von Pferden zu Tode trampeln. Die Revolutionäre Villa und Zapata kommen erst in der letzten, «Soldatera» überschriebenen Episode vor. — Es ist nur bezeichnend, wenn immer wieder behauptet wurde, die besten Stellen aus Hawks Viva Villa! stammten aus Eisensteins Mexico-Material. Sicher ist, dass einige Motive Eisensteins hollywoodsche Western-sequenzen geprägt haben.

Sam Peckinpah verrät seine Kenntnis Eisensteinscher Bildsprache allein schon in der Anwendung der Tiersymbolik in The Wild Bunch (1969) und The Bailad of Cable Hogue (1970).

Aus Que viva Mexico! wird jedenfalls zitiert im Italo-Western, der sich fast ausschliesslich an der Südwestgrenze der USA abspielt und immer wieder mexikanische Sozial-Banditentum und Revolutionsthematik vorführt: dies vor allem auch deshalb, weil italienische, jugoslawische und spanische Drehorte eher für mittelamerikanische Schauplätze gehalten werden und die Statisten der Cinecittà sich am besten als Mexikaner ausgeben lassen. Giulio Petroni übernimmt in Da Uomo a Uomo (1967) Eisensteins Folterszene auf der Hacienda. Auch hier das Eingraben und Niederreiten. Petroni sucht sogar wie schon Eisenstein, in dieser Einstellungsfolge an christliche Bildtradition anzuknüpfen. Auch bei ihm beugt sich wie auf Pietà-Darstellungen eine Frau über den Kopf eines Gemarterten. Der italienische Western geht in seinen interessanteren Beispielen überhaupt vorsichtiger um mit den Mexikanern und der mexikanischen Geschichte. Manchmal geschieht es hier, dass das Kostüm des Westerns und dessen Klischee als Parabel genommen werden. Damiano Damiani nutzt in Quien sabe? (1966) die Motive der mexikanischen Revolution, um das heutige Verhältnis der USA zur dritten Welt zu kritisieren. Sein nordamerikanischer Killer (Lou Castel) steht für die Aktivitäten der CIA-Agenten in Lateinamerika. Er macht als Gringo bei den Waffengeschäften des Rebellen El Chuncho (Gian Maria Volonte) mit, um an einen Revolutionsgeneral heranzukommen und diesen für eine ausgesetzte Prämie zu erschiessen.

Manchmal wird im Italo-Western und in seinen Protagonisten das Nord-Süd-Gefälle, die Spannung zwischen dem reichen italienischen Norden und dem armen Süden, angetippt. In den Gringos ist der reiche und überhebliche Norditaliener zu sehen, im Mexikaner steht ihm der arme Süditaliener gegenüber. Tomas Milian, Hauptdarsteller in vielen dieser Filme, ist sich dessen bewusst und meint, er spiele gern «die Rolle des Mexikaners, weil ich Kubaner bin und weiss, was es heisst, ein Südamerikaner zu sein — das bedeutet so viel wie: Neger im amerikanischen Süden, Jude in Ägypten, Sizilianer in Mailand oder — wasweissich, wer in Deutschland diskriminiert wird...»

Doch die Viva-la-Revolucion-Rufe verhallen auch im europäischen Polit-Western, denn das Kostüm und die lange Geschichte des Westerns (1903: The Great Train Robbery) sind eine Realität für sich und nicht etwa nur die Widerspiegelung eines Stücks amerikanischer Geschichte und deren zeitgenössischer Rezeption. Vielleicht hat Friedemann Hahn, der dem Italo-Western 1973 eine seltsam wirre Huldigung schrieb, die begrenzten Möglichkeiten des Mexikaners im Western getroffen, wenn er zum Schluss erzählt:

Auf einmal hatte ich von diesen Wild-West-Filmen die Nase voll. Ich sah auf die Uhr; es waren schon sieben oder acht Stunden herum. Ich nahm meinen Mantel und ging hinaus. Jetzt stand ich vor dem Bahnhof und wartete. Dieser Kerl war noch immer nicht gekommen. Ein Haufen Irrer rannte durch die Gegend. Wer waren diese Leute? Warum humpelten sie so herum? Wenn mich nicht alles täuschte, drehten sie einen Film. Auf dem Kirchturm stand ein uralter Mexikaner und läutete die Glocken. Er sah aus wie eine Kreuzung zwischen dem Commandante und Anarcho. Die Leute rannten mit Kameras und Scheinwerfern um die Kirche herum. Sie wollten ein paar gute Bilder von dem Alten schiessen. Er schrie etwas, das man bei dem Krach der Glocken nicht verstehen konnte. Aber ich wusste, was es bedeutete: VENCEREMOS!*

* Friedemann Hahn, Der Italo-Western — eine szenische Dokumentation, im Verlag Klaus Bär, Berlin 1973, S. 54 f.

Les Mexicains font partie du personnel du western, de l’américain aussi bien que de l’italien. Une séquence tirée de Red River de Howard Hawke illustre très clairement le rôle attribué au «chicano» dans le western. En l’an 1839, donc à une époque ou le Texas faisait encore partie du Mexique, John Wayne alias Tom Dunson s’approprie des terres mexicaines. Lorsque deux Mexicains le somment de disparaître, il abat le premier et chasse l’autre comme un chien.

La culture des métisses mexicains qui se sont installés dans le sud-ouest des Etats-Unis dès le XVie siècle, n’a pas seulement été méprisée dans la réalité historique (c’est-à-dire la guerre mexico-américaine de 1846 à 48), mais encore de nos jours dans l’historiographie anglo-américaine. Le souvenir du Mexicain qui, au cours du siècle passé, se défendait parfois avec des moyens ultra-primitifs tels que machettes ou couteaux contre le coït 45 des Anglos, survit dans les films qui montrent le Mexicain comme un fourbe chroniquement saoulé au Tequila.

Et c’est précisément un Russe, Sergej Eisenstein, qui a réussi à rendre justice à la culture mexicaine qui, dans le cinéma américain, était tout au plus pittoresque. Eisenstein informe sur les sources indiennes et espagnoles de la culture mexicaine et raconte dans l’épisode de Que Viva Mexico (resté un fragment) portant le titre de Maguey ia révolte d’un serf contre son maître. Le haciendero fait enterrer le rebelle jusqu’au cou et le fait piétiner à mort par les chevaux lancés au galop. Une scène qui, du reste, a fait école dans le western.

En général le western italien est plus conscient de l’histoire. Dans les meilleurs exemples, la représentation de Mexicains exploités par des blancs sert de parabole pour la situation italienne avec le nord très riche et le sud extrêmement pauvre. Damiano Damiani utilise dans Quien sabe? les motifs de la révolution mexicaine pour critiquer les rapports actuels des Etats-Unis avec le Tiers-monde. Son tueur, un Américain du nord (Lou Castei) représente les activités de la CIA en Amérique latine. Il participe comme gringo au traffic d’armes du rebelle El Chuncho pour pouvoir s’approcher d’un général révolutionnaire et le supprimer pour toucher la prime promise. (AEP)

Werner Jehle
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(Stand: 2020)
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