BICE CURIGER

NEUE FRAUEN IN EINER ALTEN LANDSCHAFT — EINE FAVORITINNENGESCHICHTE

ESSAY

«Mit dieser meinen Rechten, mit der ich ‘mit dieser meinen Rechten’ schreibe, habe ich 1950 Gene Kelly anfassen dürfen.»

(Urs Widmer, Das Normale und die Sehnsucht,

Zürich 1972.)

Meine ersten weiblichen Leinwandidole waren Minnie Mouse und Daisy Duck. Versteht sich. Dann, das muss Anfangs fünfziger Jahre gewesen sein, merkte ich, dass die erwachsenen Frauen nicht einfach nehmen, was ihnen vorgesetzt wird: Ich verfolgte mit wachsendem Interesse die Gespräche meiner Mutter mit ihren Freundinnen über die Qualitäten und Charakteristiken, die eine Sophia Loren etwa Gina Lollobrigida voraus hatte und umgekehrt. Auf den Bildern glichen sie alle meiner Mutter, fand ich.

Als ich langsam «zum Fräulein heranwuchs», wie es spöttisch und mit signalhafter Neugierde hiess, las ich eines Tages vom Tod der Marilyn Monroe, und es war zu vernehmen, sie sei Opfer eines auf die Spitze getriebenen, gefährlichen Frauenbildes geworden. Das sollte mir nicht passieren! Ich begann, zumindest skeptisch geworden, die Requisiten einer auf Befehl zu lernenden und zu handhabenden «Weiblichkeit» ganz sachte als solche zu spüren: Den Hüftgürtel, den Büstenhalter, den gemässigt gebändigten Gang, das Täschlein, das würdige Sitzen, die toupierten Haare.

Damit nahm eine Art privater Dialog zwischen mir und der Leinwandwelt ihren Anfang. Denn wo die Umwelt zur Unweit wurde und mich misshandelte, gab die Kinowelt, wenn ich sie befragte wie ich es wollte, mir wenigstens recht. So lernte ich aufmerksamer ihre Zeichen und Rufe zu deuten.

Wahrscheinlich hat gerade der Blick durchs Leinwandfenster mir die Frauenfrage, wenn nicht erstmals ins Bewusstsein gehoben, so doch mich intensivst darauf vorbereitet. Wie die Rolling Stones und die Kinks mich Auflehnung gegen den bürgerlichen Mief gelehrt haben in einem Zeitpunkt, in welchem ich es auf einer sprachlich reflektierenden, auf der intellektuellen Ebene nicht mitbekommen hätte.

Es wundert mich manchmal, wie sehr man als Mann oder Frau (von heute) aus dem Kino rauskommen kann, wo man geglaubt hat, als Mensch hineingegangen zu sein. Ich glaube auch, dass dies eine ernst zu nehmende Eigenschaft des Films ist, die dieser etwa im Unterschied zu den anderen Künsten vorzuweisen hat. Dieses Merkmal ist übrigens in der Filmliteratur zu wenig reflektiert worden. So zu sehen selbst bei Kracauer, der ganz eigentlich als Mann erst seitenlang über «das Ergebnis der Schönheit» von Greta Garbo sinniert, um über den Befund «Schönheit schlechthin» hinauszukommen und festzustellen, «dass es bei den Manifestationen der Natur im engeren Sinne nicht sein Bewenden hat.»

Gewiss, Männer geniessen Kinofrauenbilder erstmal auf einer andern Ebene. Frauen hingegen trifft es immer an vitalen Stellen. Dabei genügt die Umschreibung «Identifikation» keineswegs, für das, was passiert, wenn man einer anderen Frau «in die Küche schauen» kann. Soll ich meine persönliche Favoritinnengeschichte erzählen, die zugleich von meinem Dialog mit der Leinwand handelt?

Natürlich ist Greta Garbo auch dabei. Die ersten ihrer Filme sah ich als junges Mädchen, und sie zeigte einmal ganz einfach, dass die Frau stark ist und nicht schwach, wie alle mir immer weismachen wollten, und wie ich mich selber immer wieder fühlte. Sie war hundertmal stärker als die bullige Raquel Welch, die gerade in Mode kam, mit ihren fletschenden Zähnen und ihrem gepanzerten Leib. Denn neben Garbo wurden ohne gezielte Absicht alle Männer zu katastrophalen Schwächlingen, die gefangen, gefesselt sind durch von ihnen selber geschaffene Konventionen. Das Geheimnis der Garbo war, dass sie immer zugunsten einer radikalen Selbstverwirklichung mit brennender Leidenschaft das Absolute forderte; sie spielte die Liebesideologie wirklich bis zum Ende, und regelmässig blieben ihre Partner auf der Strecke und Hessen damit die allgemeine Verlogenheit und Unmöglichkeit hervorscheinen.

Auch Marlene Dietrich zeigte es ihnen! Das Atemberaubende dabei war ihre Bewusstheit; mit ganz gegenteiligen Mitteln erreichte sie ähnliches wie Greta Garbo. Sie Hess sich auf die Spielchen der Männer ein, um, immer überlegen, sich genau das herauszuholen, was sie wollte. Eine Frau, die über sich selber bestimmt! Und da war auch die Faszination ihrer Lässigkeit, ihrer Selbstironie, ihrer nasal dunklen Stimme mit jenem Schuss Preussischakzent, den sie in die Hollywoodsätze dreingab als explosiven Anklang an ihr geheimnisvoll verborgenes Innerpersönlichstes.

Eine Stelle auf einer ihrer Schallplatten hat mich immer besonders entzückt. Marlene kündigt in einem Konzert ein Lied mit den folgenden Worten an: «And now a song from the Blue Angel «(wohlverstanden, mit besonderer Dehnung des Wortes «Angel» — etwas gehoben in der ersten und stark abfallend in der zweiten Silbe), natürlich hört man darauf ein erfreutes Raunen des Publikums: «Ahhhh...» — Marlene geniesst’s ein Weilchen, um dann umso trockener zu bemerken «not that one», We sing that later».

Natürlich schienen solche Frauengestalten erst recht als strahlende exotische Pflanzen in meinen Alltag, weil sie durch nichts an ihn erinnerten. Dafür gab’s andere Favoritinnen, die nicht nur weil sie zeitgenössisch waren, mich direkt auf die Strasse und in den Tumult zogen. Ich erinnere mich, dass Anna Karina in «Bande à part» einen unvergesslich souveränen Ansporn gab, die städtische Realität auf neue Weise zu erfahren und sich darin zu bewegen — als Frau. Zuvor hatte Monica Vitti in Deserto rosso die Weigerung, sich einer von Männern erträumten Maschinenwelt anzupassen, eindrücklich mutig als (verrücktes) Spiel vordemonstriert.

Damit meine Favoritinnen mehr Farbe erhalten, muss ich beschreiben, welche anderen Kinofrauen mir als negative Beispiele galten, an denen ich mit aller Deutlichkeit ablesen konnte, auf was ich keinesfalls hereinfliegen durfte, wenn es in gemässigter, alltäglicher Form auf mich zukam.

Was es mit der «makellosen Schönheit» auf sich hat, die terroristisch mit Hilfe der alten Griechen und ihren mörderischen Harmonien 99 % der Frauen seit Jahrtausenden geisselt und demütigt, das hat mir Catherine Deneuve gezeigt. Im Gegensatz zu ihrer katzenhaften, geheimnisvollen Schwester, die leider verstorbene Françoise Dorléac, schien sie mir immer eher zu stalken als zu gehen. Ich fand heraus, dass dies daher rührte, dass sie uninteressant war wie eine Braut in weiss: Eine Schönheit und Reinheit ohne zu entdeckender Lebenshintergrund, die als Hauptsache herumgetragen wird. Sie symbolisierte das Anti-Abenteuer: Die höhere Tochter, die immer nach allen Regeln des Bürgertums Erfolg hat im Vorweisen und Aneignen aller Tugenden und sich dabei auf nichts Neues, auf jeden Fall auf nichts, was diese in Frage stellen oder relativieren könnte, einlässt. Wenn schon Bürgertum, dann Silvana Mangano, welche die ganze Dämonie ihrer Klasse permanent hervorzüngeln lässt (wenigstens mit Visconti), sagte ich mir.

Dann gab’s noch eine, die meine Gegenkräfte wachrüttelte: Liv Ulmann. Wie mich das ärgerte, diese scheinheilige Natürlichkeit, die vor allem das Vulgäre als das wahre Böse dieser Welt geisselt. Bei ihr liesse sich immerhin studieren, wie sich eine Frau nicht einfach der Requisiten einer «falschen Weiblichkeit» entledigen kann, um rein und wie von Hüllen befreit herauszukommen. Es geht erstmal darum, diese Hüllen mit all ihren unsichtbaren Haken zu sichten und in den Griff zu bekommen.

Um was es dabei wirklich geht, fand ich gerade in Filmen mit Marilyn sozusagen als verdeutlichter Ausgangspunkt. Ich trage seit langem ein Bild in meinem Kopf, es ist ein kurzer Moment aus The Seven Year Itch. Marilyn steht im Treppenhaus, sie kommt vom Einkauf und trägt einen monströsen Sack, aus dem Seifenpulver, Cornflakes und zuoberst noch ein Ventilator herausschauen. Sie lächelt und flirtet lieb mit dem Nachbarn vom Stock unter ihr. Wie hätte sie den Sack sonst herauftragen sollen?

Zwischen Ventilator, Cornflakes und Seifenpulver: Da fand ich zwei Frauen, die sich besonders gut damit umtun. Mae West und Viva. Während Mae West sehr unwirklich, als Person eher ein Artefakt, ein Kunstprodukt von grosser Wahrhaftigkeit ist, stellt Viva das wirklichste, greifbarste dar, das ich auf der Leinwand je gesichtet habe. Schliesslich sind beides auch Filmfrauen, die einem nicht Sätze erzählen, die sie vorgetischt bekamen.

Parfois je m’étonne à quel point on peut sortir d’une salle de cinéma où on pensait vraiment être entrée que comme un être humain en se sentant soudain un homme ou une femme (d’aujourd’hui). D’accord, au cinéma les hommes jouissent pour la première fois de l’image de la femme sur un plan différent. Par contre les femmes sont toujours touchées à des points vitaux. Il ne suffit vraiment pas de parler d’«identification» — lorsqu’on a la possibilité de «regarder dans la cuisine» d’une autre femme. Dois-je raconter l’histoire de mes favorites personnelles, qui expriment en même temps mon dialogue avec l’écran? Car là, où le monde ambiant devenait monde ambiant et me maltraitait, le monde cinématographique me donnait au moins raison lorsque je m’adressais à lui comme je le voulais. C’est ainsi que j’ai appris à interpréter ses signes et ses appels avec plus d’attention. Certainement que Greta Garbo fait partie de mes favorites. J’ai vu ses premiers films quand j’étais une toute jeune fille, et elle a montré le plus simplement du monde que la femme est forte et non pas faible, comme tout le monde cherchait à me le faire croire. A côté de Garbo tous les hommes devenaient des pantins d’une faiblesse catastrophique, prisonniers des conventions qu’ils avaient eux-mêmes créées. Marlène Dletrich, elle aussi, le leur a bien montré. Il est évident que de tels personnages féminins apparaissent encore plus comme des plantes exotiques rayonnantes dans ma vie quotidienne, parce qu’elles ne me la rappelaient en rien. D’autres favorites par contre m’ont attirée dans la rue et le tumulte: par exemple Anna Karina dans Bande à part ou Monica Vitti dans Deserto rosso; elles faisaient allusion à la vie dans un monde de machines rêvé par les hommes.

Entre un ventilateur, des cornflakes et de la poudre de lessive j’ai trouvé deux femmes parfaitement à l’aise. Mae West et Viva. Alors que Mae West est très peu réelle, un produit artistique pourtant bien vraisemblable, Viva représente ce que j’ai jamais vu à l’écran de plus vrai, de plus tangible, de plus palpable. Finalement toutes deux sont des femmes de cinéma qui ne racontent pas des phrases qu’on leur a servies. (AEP)

Bice Curiger
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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