BRUNO JAEGGI

FILMKULTUR UND FILMBUSINESS

CH-FENSTER

Was hat die schweizerische Filmwirtschaft für eine lebendige Filmkultur getan? Wo schränkt sie sie ein, wo wird sie gar verhindert?

Eine schwierige Frage, die in einem weitgefassten Feld von Verordnungen, Praktiken und Wechselwirkungen beantwortet sein will. Sich ihr kritisch nähern, heisst nicht, Verständnis verweigern, heisst nicht den Graben zwischen hartem Kommerz und idealistischer Kultur vertiefen, sondern gegenseitige Durchlässigkeit ermöglichen, Wege finden, die den heutigen Ansprüchen von Film, Kino und zukunftsfähigen Filmkultur entsprechen.

Wer sich an diesen Fragenkomplex heranmacht, wird, zuerst einmal, zwei Kernpunkte untersuchen müssen: das kommerzielle Angebot und die abgesprochene Interessenpolitik von Kino und Verleih einerseits; den weitgehend von diesen Kräften abhängigen Spielraum nicht-kommerzieller, filmkultureller Tätigkeiten von Clubs, Kommunalen Kinos usw. anderseits.

In Kino und Verleih ist der Film, zwangsweise, Ware. Seine Verbreitung und Nichtverbreitung wird bestimmt durch eine Verflechtung von interverbandlichen Verordnungen und dem eidgenössischen Filmgesetz.

Interessenvertrag

Interessenvertrag zwischen dem Schweizerischen Lichtspieltheater-Verband und dem Schweizerischen Filmverleiher-Verband.

Die Entstehung dieses Interessenvertrags (1939), der kurz «Schweizerische Filmmarktordnung» heisst, wurde allgemein dadurch erklärt, dass man mit ihm einer ungesunden Wucherung auf dem Filmmarkt zuvorkommen wollte. Der Grundsatz des Vertrags besteht darin, dass Filme «von Verleihern nur an Verbandstheater abgegeben und von diesen nur bei Verleihern bezogen werden» dürfen (Art. 6.1.).

Dies war aber nur die eine Hafte der Zange, mit der die Situation in den Griff genommen wurde: Die andere Hafte bildete die Verfügung des Bundesrats über die Filmkontingentierung1. Mit dieser Überwachung und Begrenzung der Filmeinfuhr sollte — und konnte — damals primär die deutsche nationalsozialistische Filmschwemme und Unterwanderung des Verleihs gestoppt werden.

Diese Zange war zweifellos von staatspolitischem Interesse. Sie entsprach aber auch der privatwirtschaftlichen Kalkulation jener, die den bereits bestehenden Markt beherrschen wollten2. Das wird noch zu beweisen sein. Vorerst gilt es, die beiden Massnahmen zu würdigen. Denn heute zeigt gerade der Vergleich mit der Bundesrepublik, wie gut beraten die schweizerische Filmwirtschaft war, als sie der unkontrollierten Vermehrung von Film- und Kinoangebot entgegenwirkte: Dadurch wurde der Konkurrenzkampf zu vieler und auf Kosten der Qualität zumindest eingedämmt, während der blindwütige Wettstreit in der Bundesrepublik auf dem tiefstmöglichen Niveau stattfand. So konnte in der Schweiz denn das Kinosterben in erträglichen Grenzen gehalten werden3. Diese Massnahmen kamen auch jenen unabhängigen Verleihern zugute, die konsequent und beharrlich ihren Beitrag für eine echte Filmkultur und deren Kontinuität leisteten und zum Teil bis heute erbringen. Dank der Tätigkeit einiger Verleihfirmen, wie z.B. der Columbus Film AG Zürich, konnte eine gewisse Vielfalt im Kinoangebot erhalten und Interesse für neue künstlerische Ausdrucksformen geweckt werden.

Auch das in den dreissiger Jahren in der deutschen Schweiz durchgekämpfte Bekenntnis zu untertitelten Originalversionen und die Ablehnung von Synchronkopien hat sich bis heute positiv ausgewirkt.

Der Kontingentierungsbeschluss seinerseits schloss eine Lücke, die die Privatwirtschaft niemals hätte überbrücken können: Dadurch wurde die Kino- und Verleihstruktur zusätzlich geschützt; im allerletzten Augenblick konnte so die deutsche Beherrschung des Filmmarkts verhindert werden. Und selbst als, zumindest der Lichtspieltheater-Verband (SLV), in diskutable Kontakte mit der Internationalen Filmkammer (die ein deutsches Kind ist) geriet und als 1941 der Präsident der Schweizerischen Filmkammer an Goebbels’ Propaganda-Konferenz in Berlin teilnahm, wurde Positives ausgehandelt: die Gewährleistung angelsächsischer Filme für die Schweiz, der freie Transport von Genua nach Chiasso.

Filmwirtschaftliche und staatspolitische Ziele wurden, damals, durch die genannten Bestimmungen weitgehend erreicht; nachdem die Bedrohung durch den Nationalsozialismus beendet war, gewannen die filmwirtschaftlichen Interessen die Oberhand. Heute bestimmen weniger Leute denn je das Kinoangebot: Die kommerzielle Warenverbreitung hat ein einseitiges Gesicht.

Zu enges Spektrum

Auch diese genannte Einseitigkeit hat, zumal politisch, eine symptomatische Vorgeschichte. Freddy Buache zeichnet sie in Le Cinema Suisse nach: als zum Teil Selbstbetroffener, der den Boykott der Ostfilme durch Verleih und Kinos zu spüren bekam.

Diese Hexenjagd zeigt eine der Schattenseiten des Interessenvertrags auf: die Möglichkeit der Zensur. Der Beschluss von 1953, wonach die Mitglieder des SLV «keinen einzigen Meter kommunistischen Film» projizieren dürfen, war verbindlich; harte Sanktionen wurden angedroht. Selbst Dokumentar- und Kulturfilme möglicher roter Provenienz waren untersagt, ja sogar jene, die, ohne politische Tendenz, dazu geeignet sein konnten, den weltpolitischen ideologischen Frost aufzutauen. So durfte denn der SLV 1956 befriedigt feststellen, dass in der Schweiz der sowjetische Film dank der privatwirtschaftlichen Organisation des einheimischen Markts nicht die geringste Rolle spiele. Anderseits musste der SLV bis 1958 seine Mitglieder immer wieder, drohend, ermahnen, ja konsequent zu bleiben: Besonders nachdem Kalatosows Wenn die Kraniche ziehen in Cannes die Goldene Palme und dadurch das Zertifikat möglicher Rentabilität erhalten hatte.

Dr. Werner Sautter, Chef des Verleihs Columbus Film AG und langjähriger Vizepräsident des Schweizerischen Filmverleiher-Verbands (SFV), schrieb, seinerseits, 1968 in «Film und Filmwirtschaft in der Schweiz» über die Nachteile der Kartellisierung der Filmwirtschaft:

Sie begünstigt ein gewisses Routinedenken und fördert die Abneigung gegen Neuerungen auf dem Gebiete der Filmproduktion und der Programmierung sowie gegen die bauliche Modernisierung und neuzeitliche Führung der Theater. In dieses Kapitel gehört auch eine gewisse unschlüssige Haltung gegenüber Filmclubs und anderen Besucherorganisationen.

In dieselbe Kerbe schlägt Freddy Buache in Le Cinema Suisse: «Auf der Ebene des Verleihs sind wir ein unterentwickeltes Land, das bloss die kommerzielle Produktion einiger Nationen kennt.»

Sautter und Buache weisen damit auf zwei ganz wesentliche kulturfeindliche Nachteile der Filmmarktordnung hin: Auf ihr Verhältnis zu Filmclubs und auf den extrem engen Blickwinkel, in dem bei uns das kommerzielle Kino betrieben wird.

In der «Tat» vom 31. Juli 1975 untersucht Martin Schlappner die Einseitigkeit des Kinoangebots, und verweist auf das fast völlige Fehlen der Filme aus der Dritten Welt und aus dem arabischen und schwarzen Afrika; auf die Untervertretung der UdSSR und der DDR, von Japan, Iran, Ungarn oder Indien.

Um dieses Bild zu veranschaulichen, folgen eine Übersicht und zwei graphische Darstellungen. Zur Übersicht: Die ersten Prozentzahlen beziehen sich auf die kommerziell eingeführten Filme, also die Filmtitel. Die zweiten Prozentzahlen beziehen sich auf die eingeführten Filmmeter, was besonders aufschlussreich ist, da vor allem die amerikanischen Verleiher von einem einzigen Film gleich mehrere oder viele Kopien auf den Markt zu bringen pflegen.

Das durch die vorangegangenen Darstellungen aufgezeigte Ungleichgewicht wird noch zusätzlich verstärkt: Wenn Filme aus unbekannteren Filmgebieten zu uns kommen, so finden wir darunter etwa die primitiven Karatefilme aus Hongkong oder weisse Südafrika-Produkte. Anderseits sagt das isolierte Auftreten etwa eines iranischen Films (1973: 0,2 % der Titel, 0,09 % der Filmmeter) absolut nichts über die tatsächliche Auswertung dieses Films aus. In Tat und Wahrheit ist er nur ausnahmsweise in einem kommerziellen Kino, sonst aber in Filmclubs oder ähnlichen Veranstaltungen gezeigt worden.

Die amerikanische Hegemonie ihrerseits wird noch dadurch verstärkt, dass heute sehr viele westeuropäische Filme mit amerikanischem Geld finanziert werden. Anderseits entstehen sowohl in Japan wie in Indien mehr als doppelt so viele Filme als in den USA; auch die Sowjetunion verfügt über ein grösseres Produktionsvolumen als die USA. Und schliesslich genügt auch ein Blick auf das französische Filmangebot oder auf das Angebot der Internationalen Filmfestivals (und auf deren Höhepunkte), um sich der skandalösen Einseitigkeit und Beschränktheit unseres Kinoangebots bewusst zu werden.

Vorschläge, wie dieser kulturell unhaltsamen Gewichtsverteilung beizukommen sei, sind heute erst in Vorbereitung, was der Sektion Film des EDI zu verdanken ist: Die erste Studie von insgesamt sechs Beiträgen soll im Frühling 1978 erscheinen, nachdem der Chef der Sektion Film bereits im Bericht von 1974 darauf hingewiesen hat, dass sich «eine Arbeitsgruppe des Wirtschaftsausschusses der Eidg. Filmkommission» mit der Sache befasst. Damals war von der vermehrten Entstehung neuer Kinos und von der Integration des Films ins kulturelle Bewusstsein die Rede. Der Bericht von 1975 forderte: «Der kulturell wertvolle Film hat das Verleihangebot zu prägen.»

Doch von dieser Maxime ist man heute weiter denn je entfernt: Nur fünf Prozent aller Filme geben dem Kino das notwendige Polster fürs Überleben, und unter diesen Kassenrettern gibt es nur selten kulturell wertvolle Filme.

Und: Während in der Zeit von 1973 bis 1976 der Kopienimport leicht zugenommen hat, ist die Einfuhr von Filmen (Titeln) im Normalformat in der gleichen Zeit um über 30 Prozent zurückgegangen. Das Angebot hat sich also nochmals verengt und konzentriert. Auf die Filme von vier amerikanischen Hauptverleihern (CIC, United Artists, Warner, Fox), entfallen allein über 50 Prozent der schweizerischen Kinoeinnahmen! Sie und andere starke Unternehmungen schaffen auch die für die Kinos schädliche Mode, mit gewissen Filmen gleichzeitig in zwei verschiedenen Kinos der Schlüsselstädte zu starten.

Monopole und Abhängigkeit

Die mit anderen Aspekten zwangsläufig verfilzte Filmmarktordnung wäre nicht annähernd gültig dargestellt, würde man nicht auf zumindest zwei weitere Aspekte hinweisen: Zum einen gibt es zwei Monopole im Monopol. In der Kinobranche spricht man vom «Frühstückskartell» und meint damit die Schweizer Filialen der amerikanischen Motion Picture Export Association (CIC, United Artists, Warner, Fox), deren Praxis in Widerspruch stehen könnte mit dem Leitbild K4, das eine Auslegung des Filmgesetzes ist. Diese Verleiher, die, wie gesagt, etwa die Hälfte der gesamtschweizerischen Kinoeinnahmen auf ihre Filme vereinigen, machen in gewissen Fragen, z.B. was die «Staffelung» angeht, d.h. die Festsetzung der Kino- und Verleihanteile an den Einspielergebnissen, gemeinsame Politik. (Leider ist da vieles im Dunkeln; die Kinobesitzer «packen nicht aus», wenigstens nicht öffentlich. Dass sie irgendwelche Sanktionen befürchten, spricht für unsere Thesen.)

Und: Da gibt es den undurchsichtigen Georges-Alain Vuille, der in jüngster Zeit in die (französische) Filmproduktion einzusteigen scheint und in den USA eine Zusammenarbeit mit United Artists suchen soll (für einen Film?); er beherrscht heute — direkt und indirekt — einen beträchtlichen Teil des schweizerischen Verleihs und dazu an die 40 Kinos. Der Anteil an der Kontrolle des Verleih- und Kinomarkts, den die MPEA — Gruppe und Vuille beanspruchen, müsste einmal ganz genau im Lichte der entsprechenden Artikel des Filmgesetzes besehen werden5.

Das andere betrifft den schwelenden Konflikt zwischen dem Verleih und den Kinos, die übersetzte Verleihforderungen bekämpfen: ein Konflikt, der, auch nach Meinung der Sektion Film, die Filmmarktordnung tangieren, resp. verändern dürfte.

Doch auch dies muss, will man sich nicht zu früh auf allfällige Verbesserungen freuen, in einem grösseren Rahmen gesehen werden: Einen ähnlichen Streit gab es schon 1960, als die Filmmietpreise (nach dem Fall Ben Hur) ins Schussfeld der Kritik gerieten.

Der damalige Streit bleibt exemplarisch. Der Schweizerische Verband zur Förderung der Filmkultur und Hans-Ulrich Hug, der Sekretär des Schweizerischen Filmbundes, nahmen in der NZZ vom 17. August 1960 dazu getrennt Stellung. Ihre Einschätzungen haben nichts an Aktualität verloren. So sieht Hug im Trend vorab des amerikanischen Verleihs, 50-Prozent-Verleihanteile zur Regel zu machen, unter anderem eine direkte Benachteiligung jener Organisationen, «die Filmvorführungen zu rein kulturellen Zwecken und ohne kommerziellen Gewinn durchführen». Und er weist — wie auch der Verband zur Förderung der schweizerischen Filmkultur — auf das eigentliche Ziel von Filmartikel und Kontingentierung sowie auf den ursprünglichen Geist der Filmmarktordnung hin: Darin spiegle sich der Wille, dass die «mittelständische und nationale Struktur des schweizerischen Kinogewerbes alle Lichtspieltheater von den Verleihern unabhängig» mache. Der Verband schreibt weiter: «Jeder direkte oder indirekte Betrieb von Kinos durch ausländische Filmgesellschaften wird nicht nur durch die privatwirtschaftliche Filmmarktordnung verpönt, sondern stünde auch im Widerspruch zum Sinn der Einfuhrkontingentierung und zum Willen des Volkes, wie er im Filmartikel der Bundesverfassung seinen Niederschlag gefunden hat.» Er verweist auf die heimliche Möglichkeit der starken Verleiher, «die Laufzeiten der Filme zu bestimmen, die Eintrittspreise festzusetzen, Text und Form der Reklame vorzuschreiben usw.». Dieses Diktat ist heute tägliches Brot nicht nur der amerikanischen Verleiher, sondern all jener, die deren Praxis übernommen haben.

Und Hug bestätigt, dass «das Schweizervolk die Unabhängigkeit des schweizerischen Filmwesens, des Filmverleihs wie des Kinogewerbes, von ausländischen wirtschaftlichen und politischen Einflüssen gewährleistet wissen wollte». In der Vertragspraxis sah er schon damals «eine sehr bequeme Hintertüre, das gewünschte Ziel dennoch zu erreichen». «Denn sollten die ausländischen — bisher durchweg amerikanischen — Trusts durch derartige Verträge die schweizerischen Lichtspieltheater vermehrt unter ihre Kontrolle bekommen, so wäre die Unabhängigkeit des Kinogewerbes und die Freiheit der Filmauswahl in derartigen Kinos nicht mehr gewährleistet.»

Offenbar hat man diese Warnungen damals so wenig ernstgenommen wie den (un?)aufhaltsamen Aufstieg des Georges-Alain Vuille. Die Auspressung vieler Kinos durch starke Verleiher, hat sich inzwischen zu Lasten der wirklich unabhängigen Kino- und Verleihbetriebe derart generalisiert, dass jetzt doch, im Gegensatz zu 1960, eine wesentliche Verbesserung und eine echte Transparenz der Verhältnisse (leise) erhofft werden kann6.

Jedenfalls soll hier nicht bloss die Praxis der (ferngelenkten) amerikanischen Verleiher kritisiert werden, sondern auch die Praxis jener Unternehmungen (und selbst der jüngsten darunter), die entsprechende Diktate kopieren und härter anwenden. In das gleiche Kapitel gehörte der Abschluss ganzer Filmpakete beim gleichen Kino, das Blind- und Blockbuchen, das, langfristig gesehen, nicht nur kulturell, sondern auch kommerziell schädlich ist.

Kommerz und nicht-Kommerzielle

1968 schreibt Fürsprech Manfred Fink als Sekretär des SLV in «Film und Filmwirtschaft» in der Schweiz:

Die Bedeutung der filmkulturellen Organisationen aller Sparten für die Filmwirtschaft steht ausser jedem Zweifel. Es war eine glückliche Idee und weitsichtige Politk des Schweizerischen Lichtspieltheater-Verbandes, neben den auf Erwerb gerichteten Kinobetrieben in einer besonderen Abteilung auch die filmkulturellen Institutionen zu organisieren und zu integrieren.

Damit ist das Wesentliche schon gesagt: der SLV sowie die mit dem SFV getroffene Filmmarktordnung übertragen das auf dem kommerziellen Gebiet erworbene Monopol auch auf den nicht-kommerziellen Sektor. Mit anderen Worten: Jene Filme, die dem Business grundsätzlich als völlig uninteressant erscheinen, interessieren es dann, wenn sie von nichtkommerziellen kulturellen Organisationen gespielt werden.

Nachdem die in den dreissiger Jahren erwirkten, aus der gegebenen politischen Not heraus entstandenen Massnahmen einseitig geblieben sind und nachdem diese die lebendige Filmkultur, ohne die es für das Kino keine Zukunft geben kann, in arger Weise eingeschränkt haben, verstärken SLV und SVF nunmehr die Aufsicht und Kontrolle über den nichtkommerziellen Sektor noch zusätzlich.

Bedenklich ist schon der Art. 2 der Marktordnung, wo die nicht dem SLV als ordentliche Mitglieder angehörenden Spielstellen klassifiziert werden: Diese haben sich entweder dem SLV als ausserordentliche Mitglieder anzuschliessen und somit die Statuten dieses kommerziellen Kartells einzuhalten. Oder aber sie gelten als «dissident» und dürfen generell keine Filme aus dem normalen Verleih spielen. Das heisst: Wer sich nicht unterwirft, wird boykottiert. SLV- und SFV-Mitgliedern, die diese Bestimmungen nicht einhalten, wird mit der Suspendierung ihrer Mitgliedschaft gedroht.

Der SLV-Generalversammlungsbeschluss vom 3. Juni 1975 über Drittveranstalter (also just über nicht-kommerzielle Organisationen) schreibt denn auch für jene Filme, die nicht von Filmverleihern stammen und in Kinos gezeigt werden sollen, eine Ausnahmebewilligung vor, und zwar auch für Filme im Schmalformat! Ausgenommen sind hier nicht einmal schweizerische Produktionen7. Die Aussenseiter werden also gepackt oder ins Ghetto getrieben: Wenn sie nämlich «geschlossene Filmvorführungen» veranstalten, zu denen «nur ein bestimmter, eng begrenzter Kreis von Personen» Zutritt hat und wenn «keine öffentliche Publikation» erfolgt — ja, dann dürfen sie elitäre Filme für elitäres Publikum spielen. Welchen Missbrauch diese Ausweitung des kommerziellen Monopols auf den kulturellen Bereich zeitigen kann, hat, unter anderem, das Beispiel Basel verdeutlicht, wo der Filmklub Le Bon Film, zeitweise völlig kaltgestellt wurde und nachher nur in engstem Umfang und Wirkungskreis für die kulturelle Aktivität der Filmszene Basel agieren durfte und konnte8.

Diese und andere Einengungen sind weder mit der freien Marktwirtschaft noch mit staatspolitischen und kulturellen Interessen zu vereinbaren. Sie verhindern eine lebendige, Neuland erschliessende Filmkultur, von der — wie dies heute etwa die Bundesrepublik Deutschland zeigt — durchaus auch die kommerziellen Kinos profitieren (könnten). Diese Bestimmungen liegen auch nicht im Sinn unabhängiger, um die Filmkultur besorgter Verleiher, die ihre schwierigeren Filme bereits in mittleren Städten oft nur in Filmclubs spielen können.

Die durch den SLV-Beschluss von 1975 verlangten «Ausnahmebewilligungen» ihrerseits zementieren bloss für die kulturellen Veranstalter den Anerkennungszwang der kommerziellen Oberherrschaft auch über den nicht-kommerziellen Film; diese erzwungene Hegemonie lähmt im vornherein die Aktivität und erst recht die wirksame Verbreitung eines alternativen Kinos, das auch jene Filmnationen und Autoren bekanntmachen möchte, die vom oft lieblosen, kenntnisarmen Verleih und Kinosektor vernachlässigt oder ganz ignoriert werden.

Ausbeutung, dann Filmwüste?

Weitere Fragen zum Verhältnis zwischen Filmkultur und Kommerz betreffen sowohl nichtkommerzielle Organisationen wie auch all jene wirklich unabhängigen Verleiher und Studiokinos, die am kulturellen und alternativen Film interessiert sind, wobei ich unter alternativ all jene erfasse, die von der phantasielosen und rückwärtsorientierten Gleichförmigkeit des normalen Kinoangebots abweichen. Denn diese Kreise haben es ermöglicht, dass Autoren wie Taviani und Losey, Tanner, Soutter und Goretta, Resnais, Bergman, Kazan, Forman, Bunuel, Bertolucci, Antonioni usw. im Bewusstsein der Filminteressierten Fuss gefasst haben. Aber ob Verleih, Studiokino oder nicht-kommerzielle Organisation: Ihr Schicksal ist von dem Augenblick an dasselbe, wo die durch filmkulturelle Bemühungen bekanntgemachten Autoren Gewinn versprechen: Dann machen sie sich nämlich selbst überflüssig. Selbst ein Verleih wie Citel Films, der einst von einigen als kulturell ambitioniert betrachtet wurde, tut im Grunde nichts anderes, als von dem, was andere mühsam aufgebaut haben, zu profitieren. Die meisten Verleiher pressen anderswo Gereiftes mit nicht über alle Zweifel erhabener Methode aus, ohne nur im Geringsten den Mut zum Neuen und zu eigenen Leistungen erkennen zu lassen. Sie gehen denn auch, von Ausnahmen abgesehen, mit diesen Filmen in jene Kinos oder Kinoketten, die selbst nur das Arrivierte und Sichere spielen. Kinos, die früher die Tavianis oder einen Bergman mit Empörung abgewiesen hätten und die Schweizer Filme mit Spott und Verleumdung bedacht haben, spielen nun die erfolgversprechenden Filme dieser und anderer Autoren. Mitunter spielen sie sie auch gekürzt und schlecht. Ein eigener Einsatz erübrigt sich.

Das hat Folgen: Zum einen werden die an einer Filmkultur systematisch interessierten Verleiher und Kinos um die Früchte ihrer eigenen (Vor-) Leistungen gebracht und langfristig in ihrer Existenz unmittelbar bedroht. Doch wenn es diese nicht mehr gibt und wenn nicht-kommerzielle Organisationen weiterhin unterdrückt werden, so wird in Kürze just jene Arbeit fehlen, von der nun die «Grossen» kurzfristig profitieren. Man beutet jene, die das Grundwasser zutage fördern, aus, geht mit dem Wasser verschwenderisch um, legt die Quellen allmählich trocken und schafft so, in Unkenntnis der wahren «geologischen» Zusammenhänge, die Wüste aller.

Und zum andern: Sobald die momentan von den «Ausbeutern» kommerziell ausgewerteten Regisseure oder Filmrichtungen für einmal keinen renommierten Festivalpreis und auch sonst kein dickes Geschäft versprechen, lässt man sie fallen und in Vergessenheit geraten. Ich will nicht gleich exakte Parallelen ziehen mit der Pleite des Constantin-Verleihs in der B.D.R., der es im Jahr 1974 auf 60 Millionen DM Schulden gebracht hat, nachdem er, ohne künstlerisches Konzept, immer nur auf den schnellen Kassenerfolg gezielt hatte. Wenn aber der Eindruck aufkommt, dass die amerikanischen Verleiher und, mehr noch als sie, die umfassend verflochtenen anderen Verleih- und Kinoketten die grossen Verhinderer der Filmkultur sind und dazu auch die Marktordnung gebrauchen, so muss man daraus schliessen, dass Unternehmungen, die den schnellen Gewinn anpeilen, langfristig nicht an der Ware Film, sondern an begrenzten Geschäften auf Kosten des Films interessiert sind.

Der Gefahr einer Verwüstung der Filmlandschaft wird auch mit den oft und sicher nicht zu Unrecht geforderten staatlichen Massnahmen zur Förderung der Kino-Filmkultur allein nicht beizukommen sein. Es bedarf sicherlich auch einer effizienten Umsetzung jener Vorschläge, die (etwa vom Filmzentrum) zur nicht-kommerziellen Distribution ausgearbeitet worden sind. Auch die langfristig geplante Revision des Filmgesetzes wird spät kommen und nicht alles regeln können. Das Leitbild I9 sowie die damit zusammenhängenden Kontakte mit Kantonen und Gemeinden (und Produktion) werden ebenfalls nicht genügen. All diese Massnahmen können erst zusammen und nur bei starker Konzentrierung auf die kulturellen Aspekte Erfolge bringen. Für viele wird es dann aber bereits zu spät sein.

Aber es genügt auch nicht die kurzfristige und kaltschnäuzige Geschäftspraxis von scheinbar aufgeschlossenen, scheinbar unabhängigen Verleihern anzuprangern. Auch hier gut es den weiteren Rahmen anzutönen, in dem Kino und Verleih Filmkultur untergraben und sich damit letztlich selbst die Grundlage rauben. Es kann ja kein Zufall sein, dass die wenigen sowohl qualitativ wie finanziell interessanten Filme der letzten Zeit klassisch, formal rückwärtsgewandt sind. Es kann auch kein Zufall sein, dass es eine Phallanx aus Sex und Gewalt, eine Union von Bond, Spencer, Beizebub, Emmanuelle und Katastrophenfeger sind, die die gesamte Kinobilanz etwas verschönern, wobei hier ja nur die einen wenigen Riesengewinne einstreichen und die anderen vielen in den roten Zahlen bleiben. Von dieser extrem ungleichen Verteilung der Kinoerfolge ist es zweitrangig, ob eine Stadt wie Basel in einem Jahr (1976) 370 000 Zuschauer verliert oder ob sie, 1977, etwa beim (tiefen) Stand von 1976 bleibt. Denn selbst die Bond-, Spencer- und Sexerfolge der wenigen lassen sich nicht ewig wiederholen. Was dann? Und was geschieht mit dem Publikum, das mit diesem Kinoangebot kinomüde oder -feindlich gemacht worden ist?

Versuch einer Synthese

Hier laufen die wichtigsten Fäden jenes Netzes zusammen, in dem Film und Kino gefangen sind, ausgesaugt werden, zum Nachteil aller. Das Kino zehrt heute noch von den Rezepten vergangener Jahrzehnte, zurückgekoppelt bis zur Produktion. Das Publikum kennt diese Geschichten, diese Formen, diese Figuren bis zum Überdruss. Es bekommt sie am TV-Bildschirm zudem oft in besseren Beispielen dargeboten. Das Altbewährte kommt nur dann ausnahmsweise an, wenn es mit grosskalibrigen Kanonen auf den Markt geschleudert wird. Aber bereits Wiederholungen machen oft Pleite: Man denke nur an Filme wie Exorcist II oder The Deep.

Gleichzeitig verhindert aber das Kino die Blutauffrischung, die nur sich kulturell vortastende Organisationen oder Spielstellen erwirken können. Die Erschliessung anderer Kulturkreise und Ausdrucksformen würde auch jenes Publikum zurückgewinnen, das zwar an Kultur und Leben, nicht mehr aber am Kino interessiert ist. Aber anstatt diese Zukunft fachmännisch zu ermöglichen, unternehmen die meisten Vertreter des Filmbusiness alles, um die dazu notwendigen Kräfte einzuengen. Auch hier wäre der Blick nach Deutschland sinnvoll: Dort wurde früher genau dieselbe Tendenz befolgt, nur noch extremer, mit dem Resultat einer ungeheur grossen Film- und Kinokrise.

Und es ist just den kommunalen (nicht-kommerziellen) Kinos zu verdanken, dass in der Bundesrepublik heute auch wieder wertvolle Filme ins normale Kino gelangen. Walter Schobert, der Leiter des Kommunalen Kinos Frankfurt:

Wenn man das Verhältnis zu den Kommerziellen Lichtspieltheatern anschaut von Anfang, seit der Gründung des Kommunalen Kinos bis jetzt, muss man feststellen, dass beide Seiten viel dazugelernt haben (...). In Frankfurt ist die Konfrontation, die früher da war und die in einem Prozess vor dem Verwaltungsgericht den Höhepunkt gefunden hatte, längst abgebaut worden. (...) In Frankfurt ist es angenehm geworden: durch die Arbeit hier hat sich nicht nur das Kommunale Kino durchgesetzt, sondern insgesamt die Filmsituation am Ort verbessert: es gibt plötzlich seit vier bis fünf Monaten vier neue Kinos, ein Kino, das den Off-Kinos in Berlin entspricht, aber auch eins, das ein grosser Konzern in einem Kino mit Normalprogramm zu Nachtvorstellungszeiten macht mit einem ausgewählt guten Programm, und es gibt zwei kleine neue Kinos, die sich auf Kunstfilme und auch auf den jungen deutschen Film spezialisiert haben. Alle in dieser Stadt, die sich bemühen, Filme von einigem Anspruch zu zeigen, sind bereit zuzugeben, dass das durch unsere Vorarbeit möglich geworden ist und dass sie zumindest den Mut gekriegt haben, so etwas zu tun. (Film-Korrespondenz 11, 2. November 1977)

In der Bundesrepublik sind kommerzielle und nicht-kommerzielle Filmverbreitung wesentlich durchlässiger; es gelangen mitunter sogar Filme des nicht-kommerziellen Verleihs (Freunde der deutschen Kinemathek) ins ordentliche Kino! Viele dieser Filme, die neuerdings in deutschen Kinos laufen, bleiben bei uns Wunschtraum.

Eine analoge Erhöhung des Niveaus wird bei uns just von Leuten verbaut, die Pas si méchant que ça als «Bonnie und Clyde im Waadtländer Jura» und L’Eclisse als harten Kriminalfilm anpreisen und die mit Programmation, Reklame, falschen Versprechungen usw. das wählerisch gewordene Publikum verunsichern, kopfscheu machen und enttäuschen.

Auch die französische Vereinigung der Filmautoren weist in diese (kritische) Richtung, wo sie schreibt: «Ein neues Publikum ist geboren, ein Publikum, das seine Filme auswählen will, das den Film als eine Sprache betrachtet, das wünscht, dass man zu ihm spricht, dass man den Dialog mit ihm aufnimmt. Dieses Publikum ist sehr viel bedeutsamer, als man glaubt. Aber seine Bedeutung ist im Augenblick noch potentiell, denn man hat es noch gar nicht gesucht.» Und: «Was man gemeinhin die Krise des Kinos nennt, ist vor allem eine Krise der Auswertung. (...) So lange man keine Lösung für die Flucht des Publikums gefunden hat, für die Untreue der Zuschauer dem Kino gegenüber, so lange wird der Film seine Rolle im kulturellen Leben des Landes nicht einnehmen können.»

Das ist eine alte Einsicht: Fürsprech Fink hat sie im Wesentlichen bereits 1968 und seither immer wieder neu den Kinobesitzern einzuschärfen versucht. Es hat bisher nichts gefruchtet. Erst ein alle Ebenen erfassender Umbruch wird das seit langem beklagte Malaise, das sich seit 1968 nur verschärft hat, beseitigen können. Hier geht der Appell an Bund, Kantone und Gemeinden. Und es steht zweifellos fest, dass in diesem Zusammenspiel und in der Förderung einer gesamtschweizerischen Filmkultur der Bund bisher wenig geleistet hat. Gewiss, das hat Gründe, die entschuldigend wirken; sie ändern nichts an der Tatsache, dass hier noch ein grosses Arbeitsfeld offenliegt, für das möglicherweise neue Leute zusätzlich gefunden werden müssen. Zudem sind mindestens drei der vier Ziele der Kontingentierung, wie sie im Leitbild K vom 8. 8. 1977 bekräftigt werden, nicht erreicht worden. Sie heissen (Abs. 131-134):

– Unabhängigkeit des schweizerischen Filmwesens gegenüber dem Ausland.

– Vielfältiges und aktuelles Filmangebot, das kulturelle Qualitäten aufweist.

– Pluralistische, von Monopolen freie Verleihstruktur.

– Wirtschaftlich gesunde Verleihbetriebe.

Weitere Forderungen müssten auch die strengere Ahndung des Block- und Blindbuchens umfassen. Es wäre zu untersuchen, ob das Kartell SLV-SFV nicht zum Schaden der Filmkultur ein Monopol missbraucht. Das Filmgesetz ist so zu korrigieren, dass die bisher zu sehr auf wirtschaftliche Ziele ausgerichtete Optik den filmkulturellen Aspekten und Aktivitäten mehr Gewicht und Freiraum gibt und so ein Beispiel für Kantone und Gemeinden wird. Es muss geprüft werden, inwieweit Gemeinden und Kantone Qualität honorieren und den Schweizer Film fördern können und zu diesem Zweck die Billettsteuer flexibler handhaben oder (teilweise) gezielt verwenden sollen. Publikum und Kinobesitzer sollten endlich filmkulturell (weiter)gebildet werden. Eine derartige Arbeit muss, will sie wirksam sein, gleichzeitig Schulen, Publikum und Kinobesitzer ergreifen, damit der Graben zwischen den Ansprüchen nicht noch tiefer wird.

Das Eidgenössische Filmgesetz in der heute gültigen Fassung bestimmt, dass die Einfuhr von Spielfilmen durch die Zuteilung von Kontingenten geregelt wird, d.h. durch die amtliche Zusprechung des Rechts, eine bestimmte Anzahl von Spielfilmen einzuführen (Art. 11). Unter Spielfilm ist dabei jeder Film mit Spielhandlung zu verstehen, der eine Breite von mindestens 16 mm und eine Laufzeit von mindestens 60 Minuten hat (Art. 1 der Vollziehungsverordnung II zum Filmgesetz). Kontingente werden von Jahr zu Jahr den Verleihern individuell auf Grund ihrer Tätigkeit erteilt (Art. 12). Neben den Kontingenten für kommerzielle Verleiher sieht die Vollziehungsverordnung auch Ausserordentliche Kontingente für gemeinnützige Organisationen sowie Institutionen zur Förderung der Filmkultur vor (VO II, Art. 20). Die Einfuhr von Filmen auf ausserordentlichen Kontingenten unterliegt in der Regel Auflagen, die sicherzustellen haben, dass diese Filme nicht kommerziell genutzt werden. Somit wird von Gesetzes wegen bereits bei der Einfuhr eine Teilung geschaffen: einerseits gibt es von den kommerziellen Verleihern eingeführte Spielfilme, die unbeschränkt vorgeführt werden können, anderseits die auf ausserordentlichen Kontingenten eingeführten, die nur bestimmten, eng umschriebenen Kreisen, niemals aber den kommerziellen Kinos zur Verfügung stehen. Eine gewisse Durchlässigkeit von der filmkulturellen zur filmwirtschaftlichen Seite hin, wie sie z.B. in der BRD besteht, wird damit von vornherein ausgeschlossen.

Die Filmmarktordnung wurde am 31. März 1939 abgeschlossen und am 2. Februar 1962 revidiert. Die Kontingentierung wurde am 26. September 1938 verfügt und am 28. Dezember 1962 ins Filmgesetz aufgenommen. Beide Massnahmen haben ihre Vorgeschichte: So stützte sich die Kontingentierung auf die 1933 geforderte Prüfung der schweizerischen filmwirtschaftlichen Situation und namentlich auf den Bundesbeschluss vom 14. Oktober 1933 sowie auf die dadurch möglich gewordene Gründung der Schweizerischen Filmkammer, für die der verbindliche Bundes-ratsbeschluss am 28. April 1938 in Kraft gesetzt wurde. Der Interessen- und Schutzvertrag seinerseits geht auf den 1. Juli 1935 zurück, wobei es nicht ohne Bedeutung ist, dass ein erster Vorläufer zum Schutz der eigenen Marktinteressen von Kino und Verleih bereits im Jahr 1916 entstanden ist!

Das Bundesgesetz über das Filmwesen regelt in den Artikeln 18 bis 20 die Grundsätze der Bewilligungspflicht für die Eröffnung und Umwandlung von Betrieben der Filmvorführung, gemäss Art. 27ter der Bundesverfassung sind jedoch die Kantone für die Bewilligungserteilung zuständig. Das Filmgesetz räumt in diesem Bereich ausdrücklich den Berufsverbänden des Filmwesens ein Beschwerderecht gegen die kantonalen Entscheidungen ein. Nicht zuletzt deshalb pflegen die Kantone in der Praxis vielfach die interessierten Berufsverbände anzuhören, bevor sie ihre Entscheide fällen, und sind in der Erteilung von Bewilligungen bei negativen Stellungnahmen der Verbände zurückhaltend. Die Konkurrenzierung bestehender Betriebe darf jedoch «für die Ablehnung eines Bewilligungsgesuchs nicht ausschliesslich massgeblich sein» (Filmgesetz Art. 18).

Im «Leitbild K» sind die für die Kontingentserteilung, -erneuerung, -erhöhung und für den Kontingentsentzug massgeblichen Vorschriften von Filmgesetz und Vollziehungsverordnung sowie die bei seiner konkreten Anwendung massgeblichen Kriterien zusammengefasst. Artikel 222.1 stipuliert unter Berufung auf Art. 12, Abs. 3 des Filmgesetzes eine autonome Ausübung der Verleihtätigkeit als Voraussetzung für die Kontingentserteilung und beschränkt ausdrücklich das Recht zur Zusammenarbeit mit anderen Verleihern auf den rein technischen Bereich.

Art. 12, Absatz 3, Filmgesetz lautet: «Die Bewilligungsbehörden haben darauf zu achten, dass keine Monopole entstehen, die den öffentlichen Interessen zuwiderlaufen.» Seiner Anwendung steht bis anhin entgegen, dass nie genau abgeklärt wurde, welches im Bereich der Filmeinfuhr und -Vorführung die öffentlichen Interessen sind.

Dass die Filmmieten, die besonders die amerikanischen Grossverleiher und nach ihrem Vorbild mehr und mehr auch andere Verleihfirmen fordern, oftmals übersetzt sind, belegt allein schon die Tatsache, dass die Fakturen vielfach unter den vertraglich vereinbarten Konditionen liegen. So erfreulich dieses Entgegenkommen im Einzelfall für den betroffenen Kinobesitzer ist, so gefährlich ist die Praxis überhöhter Vertragsabmachungen auf die Dauer: sie schafft neue Abhängigkeiten, da die Kinobesitzer bei mangelnder Bereitschaft zum «Wohlverhalten» im Sinne des Verleihers die strikte Anwendung der vertraglich vereinbarten Tarife zu gewärtigen hätten.

Auch auf Schweizer Filme findet der Grundsatz der Filmmarktordnung Anwendung, dass die Mitglieder des Lichtspieltheater-Verbands (darunter auch seine ausserordentlichen, filmkulturellen Mitglieder) Filme nur von Mitgliedern Verleiher-Verbandes beziehen dürfen Der Verband Schweizerischer Filmgestalter hat jahrelang versucht, in Verhandlungen zu einem für seine Mitglieder befriedigenden Arrangement zu kommen für den Kino-Vertrieb jener Filme, die keinen kommerziellen Verleih finden. Eine während Jahren angewendete Kompromissformel hatte die Schweizer Filme in der Auswertung beträchtlich benachteiligt. Daher hat der Filmgestalter-Verband einen Prozess gegen den Verleiher-Verband angestrengt, der zurzeit noch hängig ist.

Dabei hat Le Bon Film jahrelang das Kinogewerbe dort stets unterstützt, wo dieses wertvolle Filme auf dem Programm hatte. Anderseits ist es wohl kein Zufall, dass just Basel, wo man die Filmkultur derart zu unterdrücken versucht(e), als der mieseste Kinoplatz mit dem grössten Publikumsschwund gilt I

Das «Leitbild I» ist ein Katalog der Massnahmen des Bundes zur ideellen Förderung des Films.

Bruno Jaeggi
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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