ANGEL MARIA REY

EINEN BEZUG ZUR REALITÄT SCHAFFEN — DER PRODUZENT ELIAS QUEREJETA

ESSAY

1968 — das Jahr der jugendlichen Sehnsüchte nach einem neuen Weg für das alte Europa. Venedig. Der Preis der «Mostra» wird dem Spanier Elias Querejeta «aufgrund seiner Entschlossenheit und seiner Stetigkeit im Bemühen um Unabhängigkeit in der Filmproduktion» verliehen.

Elias Querejetas Lebenslauf ist aussergewöhnlich. Beim Betrachten seines Werkes fällt zunächst sein Erfolg auf. Es gibt wohl kaum einen Produzenten, der in 13 Jahren so oft ausgezeichnet wurde wie Elias Querejeta (solange ist er im Filmgeschäft). Er erhielt internationale Preise in Berlin, Cannes, San Sebastian, Chicago, San Francisco, London und New York — nur drei der in Spanien gedrehten Filme wurden nicht ausgezeichnet.

Die kleine Freiheit

Querejeta besteht bei jeder Gelegenheit darauf, dass er Filmfachmann ist, dass er sich überhaupt nicht mit dem gewöhnlichen Produzenten identifiziere, der fieberhaft nach dem wirtschaftlichen Erfolg seiner Filme trachte. Tatsächlich hat er, trotz zahlloser Möglichkeiten, auf die Erweiterung seiner Firma verzichtet, da eine Expansion seinen Idealen nicht entspricht. Er dreht einen oder zwei, höchstens drei Filme pro Jahr. Manchmal sah er sich gezwungen, untätig zu sein (zur Zeit des Ministers Sanchez-Bella beinahe drei Jahre), da er weder das gewünschte Minimum an Meinungs-, noch an schöpferischer Freiheit zugestanden bekam. Seine Auffassung von Film (Kunst - Kultur - Kommunikation) bedingt finanzielle Einengungen, was fast immer den Wert des Films beeinträchtigt. Deshalb versucht er, mit seinen Mitarbeitern Verträge auf freundschaftlicher Ebene zu schliessen, «was bis heute zur allgemeinen Zufriedenheit und auf möglichst gerechter Basis geschah.» (Abgesehen von dem von der spanischen Presse breitgeschlagenen Prozess mit der Familie Panero, die unzufrieden und enttäuscht über das Honorar für ihre Rolle im Film El Desencanto1 war.)

Die beschränkten finanziellen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, zwingen ihn, einen genauen Kostenvoranschlag aufzustellen. Seine Filme werden in einem sehr einfachen Studio gedreht, die Equipe ist meistens klein, wobei die Darsteller häufig auch als Techniker mitarbeiten. Unter diesen Bedingungen ergibt sich eine optimale Zusammenarbeit. Die Kosten seiner letzten Filme liegen darum unter dem spanischen Durchschnitt. Ein Film von Querejeta kostet ca. 20 Mio. Peseten (ca. 600 000 Franken). Der teuerste Film war Los ojos vendados von Carlos Saura, der auf 30 Mio. zu stehen kam. Niemals aber hat Querejeta die Dreharbeiten verkürzen oder beschleunigen müssen, finanzielle oder ideologische Schwierigkeiten versuchte er von vornherein auszuschalten. Kompromisse ging er nicht ein — als er mit dem Filmverlag der Autoren (München) nicht mehr einig war, zog er seine Ideen übers Filme Produzieren den finanziellen Vorteilen einer Koproduktion und der internationalen Verbreitung seiner Filme vor. Er war seinen Ideen immer treuer als seinem Portemonnaie.

Freunde sind zum Filmemachen da

Es sind nicht irgendwelche Freunde, mit denen er zusammenarbeitet, sondern solche, die seine Träume und Visionen teilen. Wenn Querejeta von ihnen spricht, bedient er sich nicht der Ausdrücke aus dem Bereich des formellen Arbeitsverhältnisses. Soviel ich weiss, gibt es in seiner Firma keine üblichen Arbeitgeber-Arbeitnehmerverhältnisse. Unter seinen Mitarbeitern befinden sich sein Jugendfreund Antonio Eceiza2 und natürlich Carlos Saura, sein wohl bester Freund. Weiter, seit 1968, Jaime Chávarris und Emilio Martinez Läzaro4, dessen erster Film Circunstancia de un milagro (1968) Querejeta tief beeindruckt hat. Schliesslich der leidgeprüfte spanische Meister der Fotografie, Luis Cuadrado5, der bis zum vollkommenen Erblinden die meisten Preise bekommen hat; der aussergewöhnliche Musiker Luis de Pablo6; Teo Escamilla7 und andere, die, wenn auch weniger bekannt, nicht unbedeutend sind, wie z.B. alle Mitarbeiter bis zur Cutterin, die ebenso mithalfen, den «Querejeta-Film» zu prägen.

Politik und Macht

Scheinbar besteht dieses Team aus Intellektuellen, denen die Interessen und Bedürfnisse des einfachen Volkes meist fremd sind. Trotz dem Erfolg einiger seiner Filme im Ausland (Cria Cuervos) ist die grosse Masse des spanischen Durchschnittspublikums — was für ein furchtbarer Ausdruck — von seinen Filmen nicht mitgerissen worden. Eine Ausnahme bildet vielleicht La prima Angelina. Ich verfüge leider über keine genauen Zahlen. Beinahe alle seine Werke liefen in kleinen Kinos, die vor allem ausländische Filme in Originalversion und Avantgardefilme zeigen. Genügt das? Meiner Meinung nach ja, denn die Bedeutung Querejetas — dies besonders während der Franco-Zeit — hat weniger mit dem Vertrieb im eigenen Land, sondern mehr mit dem Ansehen seiner Produkte im Ausland und auch in der spanischen Filmkritik zu tun. Das ehemalige Ministerium für Information und Tourismus, heute Kulturministerium, hob immer wieder die «filmische Bedeutung» seiner Werke hervor. Einerseits kostete das das Ministerium keinen Pfennig, und andererseits begnügte sich das Volk doch weiterhin mit irrealen und plumpen Filmen und nahm diese sensationssüchtigen und pseudohistorischen Dramen für Kultur. Auch das Schauspielersyndikat, das vom Staat abhing und sich nach Francos politischer Linie richtete, zeichnete seine Filme Jahr für Jahr (mit viel Geld) aus. Dahinter standen politische Überlegungen, man wollte so die Opposition beruhigen. Aber diese Auszeichnungen führten auch dazu, dass die Filme zu ausländischen Festivals eingeladen wurden. Und dort ging die Rechnung der Franco-Treuen nicht mehr auf. Querejeta:

Ich glaube nicht, dass meine Filme dem Franco-Regime Ansehen verliehen haben, da sie an den Filmfestivals nicht als Produkte der Regierung, sondern als Produkte der Opposition gezeigt wurden.

Querejeta war das «enfant terrible» des spanischen Films, das zwar noch und noch gestraft und doch gleichzeitig toleriert wurde, das zwar störend war, aber doch nicht gefürchtet wurde.

Querejeta gehört keiner politischen Partei an — dies beweist seine Selbstständigkeit — und doch behauptet er, ein undogmatischer Marxist und «links der Spanischen Kommunistischen Partei» zu sein. Tatsache ist, dass er aktiv an linksextremistischen Zusammenkünften und Versammlungen teilnimmt und sich mutig mit diesen fordernden Gruppen solidarisiert, obwohl es ihm einen Verlust an Prestige und Geld einbringt. Dennoch glaubt Querejeta nicht an den «politischen Film». Seiner Meinung nach ist der kämpferische, parteiische Film tendenziös, einseitig und richtet sich nicht an alle Menschen.

Ästhetizismus

Einige Kritiker haben die Werke der Querejeta-Produktion als an der kulturellen Realität des Mittelstandes uninteressierte, politisch schwache und letztlich bürgerliche Filme bezeichnet. Sie seien schöngeistig, intim, symbolisch und zu intellektuell. Bei einem Gespräch, dass ich kürzlich mit ihm in seinem Büro über dieses Thema führte, bestand er darauf, dass die Bedeutung dieser Begriffe genauer definiert werden müsste. Denn viele von ihnen könnten von einem bestimmten Standpunkt aus gesehen auch als Lob ausgelegt werden. «Intim», «intellektuell» und «symbolisch» sind keine negativen Begriffe. Jeder Film hat psychologisch tiefe Aspekte und wird als intellektuelle Übung durchexerziert. Die Symbole sind oft die Kehrseite der Realität und verdeutlichen nur deren Bedeutung. «Meine Filme sind nicht für Menschen bestimmt, die kaum einen Bezug zur Realität und überhaupt keinen Lebensinhalt haben», sagt Querejeta. «Ich weiss nicht, woher die Idee kommt, man müsse einen besonderen Film für die Arbeiter schaffen, so als wären sie zu dumm für unsere Filme. Vielleicht vertreten andere diese Meinung, ich jedenfalls nicht.»

Auch jetzt, wo einige junge spanische Regisseure den «Kult des Hässlichen» einführen wollen, bleibt Querejeta bei seiner alten Vorliebe für den «Ästhetizismus». Seine Bemühungen konzentrieren sich besonders auf die Kunst und das Schöne an und für sich. Daher seine hohen Ansprüche bei der Auswahl der Techniker, die dem Publikum eine formell schöne Arbeit bieten sollen.

Was man der Querejeta-Produktion zu Recht vorhalten kann, ist die Wiederholung der Themen; hier ist die Entwicklung stehengeblieben. Und seine Verdienste? Zusammenfassend sind das: Anklage und Analyse einer Klasse — der Bourgeoisie und aristokratischen Überbleibsel — der politischen und kulturellen Situation Spaniens und gleichzeitig die Behandlung der Problematik des heutigen Menschen.

Jaime Chavarri: Drehbuchmitarbeit: Un, dos tres... al escondite ingles, 1969, Ivan Zulueta; Regie: Los viajes escolares, 1974; El desencanto, 1976; A un dios desconocido, 1977. Bei der Familie in El Desencanto handelt es sich um eine verbürgerlichte Künstlerfamilie, die sich weitgehend selbst darstellt. Die Mutter und zwei Söhne geben Zeugnis über den verstorbenen Vater und Schriftsteller.

Antonio Eceiza: Filmkritiker bei Nuestro Ciné; Drehbuch und Regieassistenz bei Bardems Los inocentes; Co-Regie bei zwei Dokumentarfilmen mit Elias Querejeta. Regie u.a.: El proximo otono, 1963; Ultimo incuentro, 1967; Mina, viento de libertad, 1972; Ging 1973 ins Exil nach Lateinamerika.

a.a.O.

Emilio Martinez Lazaro: TV-Reportagen 1973-76; Drehbuchmitarbeit bei Pascual Duarte, 1976, Ricardo Franco; Regie: Las palabras de Max, 1977.

Luis Cuadrado: Kamera u.a. bei: Saura ab La caza, 1965; Furtivos, 1975, José Luis Borau; La casa sin fronteras, 1972, Pedro Olea; Habla, mudita, 1973, Manuel Gutierrez Aragon; El espiritu de la colmena, 1973, Victor Erice; Pascual Duarte, 1976, Ricardo Franco.

Luis de Pablo: Musik bei diversen Saura-Werken.

Teodoro Escamilia: langjähriger Kameraassistent bei Cuadrado (bei allen Saura-Cuadrado-Filmen); Kamera u.a. bei: Saura ab Cria cuervos, 1976; El Desencanto, 1976, Jaime Chavarri; Sonambulos, 1978, Manuel Gutierrez Aragon. La portentosa vida del padre Vicente, 1978, Carles Mira; Teodoros Bruder Antonio Escamilia ist ebenfalls Kameramann: Un Maestro 1978, Cayetano del Real.

Der Aufsatz, der von Gabriela Königer übersetzt und von der Redaktion überarbeitet wurde, erscheint hier gekürzt.

Die Filme des Hauses «Querejeta-Produktion»

1962

NOCHE DE VERANO (Jorge Grau)

1964

EL PROXIMO OTONO (Antonio Eceiza)

1965

DE CUERPO PRESENTE (Antonio Eceiza)

1965

LA CAZA (Carlos Saura)

1967

ULTIMO ENCUENTRO (Antonio Eceiza)

1967

PEPPERMINT FRAPPE (Carlos Saura)

1967

STRESS ES TRES, TRES (Carlos Saura)

Sl VOLVEMOS A VERNOS (Antonio Eceiza)

LOS DESAFIOS (José Luis Egea/Claudio Guerin/Victor Erice)

LA MADRIGUERA (Carlos Saura)

1969

LAS SECRETAS INTENCIONES (Antonio Eceiza)

1969

EL JARDIN DE LAS DELICIAS (Carlos Saura)

CARTA DE AMOR DE UN ASESINO (Francisco Regueiro)

ANA Y LOS LOBOS (Carlos Saura)

1972

EL ESPIRITU DE LA COLMENA (Victor Erice)

1973

HABLA, MUDITA (Manuel Guiterrez Aragon)

1973

LA PRIMA ANGELICA (Carlos Saura)

1975

CRIA CUERVOS (Carlos Saura)

PASCUAL DUARTE (Ricardo Franco)

EL DESENCANTO (Jaime Chavarri)

1977

A UN DIOS DESCNOCIDO (Jaime Chavarri)

1977

ELISA, VIDA MIA (Carlos Saura)

LAS PALABLAS DE MAX (Emilio Martinez Lazaro)

LOS OJOS VENDADOS (Carlos Saura)

Angel Maria Rey
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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