PIERRE LACHAT

DIE FALLE AM MORGARTEN

CH-FENSTER

Wir haben es hier nicht mit einem Schweizer Film zu tun. Erich Langjahr und Beni Müller machen vielmehr klar, dass es sich um einen «Schweizerfilm» handelt. Sie ziehen die präraphaelitische Schreibweise, die an heldisch-helvetische Sonderorthographien wie «Schweizerland» oder «Schweizervolk» (ffolkk) aus den wilden Sturm- und Drangzeiten des sogenannten Reduit anlehnt, aus einem bestimmten Grund vor. Sie weist zurück auf einen ersten Morgarienfllm, den die Schweiz hervorgebracht hat, nämlich das in eben jener bewegten Epoche, 1941, entstandene Epos Landammann Stauffacher, aus dem Langjahr und Müller in ihrem eigenen zweiten auch einen besonders kernigen Ausschnitt zeigen.

Leopold Lindtbergs Stauffachetfllm zeichnete sich vor allem auch dadurch aus, dass dem Produzenten Lazar Wechsler von der «Präsens» - grad einer von denen, die immer «Schweizerfilm» schrieben - in einem bestimmten Moment das Geld ausging. Er vermochte nicht mehr, entgegen dem ursprünglichen Plan, die Schlacht von 1315 gegen die erzfeindlichen habsburgischen Imperialisten vor der Kamera nachzustellen. Er musste sich mit einer blossen Schrifttafel begnügen, die am Schluss bekanntgab, die Schlacht habe dann siegreich stattgefunden und somit die ganze vorgängige Argumentation des Films bestätigte. Ein Umstand, der den Film auf höchst merkwürdige Weise seines eigentlichen dramatischen Höhe- und Schlusspunkts beraubte – was aber in einer bestimmten andern Hinsicht auch wieder vielsagend war, denn grad so wie im Film redete damals in der Schweiz alles vom Krieg, aber niemand kämpfte wirklich. «Morgarten kann nicht stattfinden» lautete in den sechziger Jahren, entsprechend diesem Vorfall, der Titel eines Buches über Wechsler. «Morgarten findet statt» ist jetzt natürlich, sozusagen kontrapunktisch, die Antwort auf jene berühmte Pleite: ironisch zu verstehen selbstredend, wie so manches andere bei Langjahr und Müller. Lies: dass hierzulande so angestrengt der alten Kriege gedacht wird, steht in einem seltsamen Gegensatz zur überwältigenden Friedfertigkeit der modernen Eidgenossen, die sich aus bewaffneten Konflikten noch und noch herausgehalten haben, bis zu dem Punkt, wo die Militärs unvermeidlicherweise Minderwertigkeitskomplexe bekamen.

Indem sie gründlichst eine der alljährlichen Morgarten-Gedenkfeiern mit allem Drum und Dran abfilmten, sind Langjahr und Müller also vornehmlich drauf aus zu zeigen, dass sich das Unwirkliche um die denkwürdige Begebenheit, das schon in den Umständen des Stauffacherfilms seinen sprechenden Niederschlagfand, im Bewusstsein der Feiernden ungebrochen spiegelt. Wie da jener entlegene Tag beharrlich begangen wird, mit Reden, Aufmärschen, Absegnungen, Banketten, Wettschiessen und dergleichen mehr, nimmt sich aus, als ob es dann am Ende gar nicht mehr so sicher wäre, ob es ihn je wirklich gegeben hat. Die Feiern genügen längst sich selber, ihr Anlass ist endgültig ausser Sicht geraten. Sie dokumentieren nicht ein historisches Bewusstsein, ein Bemühen um lebendige Erinnerung ans Gestern, sondern das gerade Gegenteil davon: sie stellen sicher, dass das Vergangene vergangen und beerdigt bleibt und nur ja nicht etwa wieder hervorgeholt und mit dem widersprüchlichen Heute verglichen werde. Morgarten gibt es in Wahrheit nicht mehr, es findet auch diesmal wieder nicht statt. Es gibt nur solche, die so tun als ob.

Langjahr und Müller hatten sicher keinen Anlass, sie zu schonen. Aber sie gehen sehr weit in die andere Richtung. Nicht, dass sie vorsätzlich entlarvten, aber sie lassen die Morgärtner genüsslich und mehr als einmal auch ziemlich niederträchtig ins offene Messer einer unerbittlichen Kamera und einer grellen und hämischen, wissenden Montage laufen, die einem das Thema so richtig um die Ohren knallt. Ihr Film gleicht einer Falle - die alten Eidgenossen stellten am Morgarten den Österreichem auch eine Falle.

Gewiss, der Deutschschweizer Dokumentarfilm hat sich in den siebziger Jahren so gründlich und erfolgreich darum bemüht, allen gefilmten Menschen gegenüber fair zu sein, dass er hie und da eine schon wieder betuliche Diskretion erreicht hat. Da liegt es nahe, dass nachwachsende Autoren wie Langjahr und Müller wieder etwas von der gepfefferten Angriffigkeit der frühen Agitationsfilme zurückgewinnen möchten, zumal ja derlei Bewegungen stets notwendig nach dem Pendelprinzip verlaufen und es sozusagen die Pflicht und Schuldigkeit jedes «Neuen» ist, der etwas auf sich hält, immer wieder ein bisschen das Gegenteil von dem zu tun, was die «Alten» vorgemacht haben und noch immer vormachen. Aber mir persönlich treiben es die beiden denn doch etwas gar bunt. Sie erreichen immer wieder den Punkt, wo es ihnen allzu offensichtlich nur noch ums Fertigmachen zu tun ist und nur noch am Rande darum, falsches Bewusstsein auch als solches noch, auch dort, wo es lächerlich falsch wird, sich pathetisch aufbläst, verständlich zu machen. Ich hätte gern mehr darüber aus dem Film erfahren, warum die Morgärtner sich so gehaben, wie sie es nun einmal tun, als er mir mitteilt.

Morgarten findet statt. P: Erich Langjahr; Buch, R und Schnitt: Langjahr und Beni Müller; Ass.: Mireille Eigner, Su Meili; Recherchen: Hartwig Thomas. K: Langjahr, Otmar Schmid, Johann Gfeller, Werner Meier; Ton: Roger Bonnot, Hanspeter Fischer, Justice Olsson, Andre Pinkus, Reiner Stahel; D: Bevölkerung von Sattel SZ, Kavallerieverein Schwyz, Schulkinder 16 mm, Farbe, 94 Minuten

Pierre Lachat
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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