CORINNE SCHELBERT

REBELLEN, DULDER UND FRÖHLICHE ANPASSER — IF YOU CAN’T BEAT THEM, JOIN THEM

ESSAY

Es wäre eine Illusion zu meinen, dass wir noch unbelastet an die amerikanische Kultur und insbesondere an Hollywood herangehen könnten. Eine Diskussion über Hollywood wird notgedrungen auch immer zu einer Diskussion um «Hollywood in uns», zu einer Reflexion über das problematische Verhältnis des Kolonisierten zu seinem Kolonialherrn. In die Bewunderung mischt sich Schadenfreude - «Schon wieder so ein kommerzieller Quark!» -, in die Schadenfreude mischt sich Ärger darüber, dass die etablierten amerikanischen Filmemacher ihre Anpassung ans System so fröhlich und scheinbar ohne moralische Skrupel oder Ressentiments betreiben. Es sieht so aus, als hätten sie eine besondere Technik entwickelt, sich zu prostituieren, ohne dabei Würde und Selbstachtung zu verlieren. Ihre Abwehrmechanismen -wenn es solche sind - scheinen besser zu funktionieren als diejenigen ihrer europäischen Kollegen. «If you can’t beat them, join them» ist in Amerika kein schmutziges Motto.

Die Reaktion der nunmehr Arrivierten auf die einstigen Rebellen von 1971 mit ihren unsystematischen, experimentellen und persönlichen Ausflipperfilmen ist bezeichnend und gibt zu denken. Friedkin hat erklärt, dass er kein Interesse habe, in seinen Filmen persönliche Statements abzugeben, dass er einfach eine riesige Menge von Leuten unterhalten wolle. Paul Schröder sogar meinte: Easy Rider war ebenso verheerend wie The Sound of Music, weil er die jungen Künstler vom grundlegenden Dollarprinzip abgebracht hatte. Wir hingegen werden es schaffen, weil wir die Industrie mit ihren eigenen Waffen schlagen - indem wir Filme machen, die Geld einbringen und unterhalten.»

Die Botschaft in Hollywood ist noch immer Unterhaltung um jeden Preis, aber die «neue Unterhaltung» - das muss man ihren Machern lassen - weist ein beträchtliches Raffinement und Intelligenz auf.

Und so schlagen wir Europäer uns immer noch mit dem Malaise herum, von Filmen fasziniert zu sein, die sich ganz offen den Marktanforderungen unterwerfen, das Spiel mitspielen, ohne an künstlerischen Kompromissen zugrunde zugehen. Es ist gar nicht so einfach, The French Connection oder Jaws zu mögen; weil sie uns so oder so aufgedrängt werden. Auch wenn wir noch bereit wären, sie als Autorenfilme zu deklarieren, so verdirbt uns ihr Millionenappeal und ihre aggressive Werbung den Genuss. Es ist die Wut des Wehrlosen gegen seinen attraktiven Vergewaltiger: «Ich wäre ja gar nicht abgeneigt, aber wenn es mir mit Gewalt aufgedrängt wird, vergeht mir die Lust.» Und so werden wir zu einer Kehrtwendung gezwungen (die wir in Rockkonzerten allerdings schon lange freiwillig gemacht haben): Wir akzeptieren die Massenunterhaltung und damit uns als Teil der Masse. Wir lassen uns mit offenen Augen manipulieren und versuchen, dennoch daran Gefallen zu finden.

Unsere Schwierigkeit mit New Hollywood rührt vor allem daher, dass sich seine Vertreter nie um eine Theorie bemüht haben, kein verbindliches Konzept geschaffen haben, an das sich der thesenfreudige Europäer hätte halten können. Sie haben sich auch - schlimmste aller Sünden! - nie politisch artikuliert oder untereinander solidarisiert. Der Nonkonformismus war ihr einziges Credo, die Masse ihr Zielpublikum. Hätten sie wenigstens die Forderung nach Massenunterhaltung in demokratische Formeln verpackt, hätten sie uns vielleicht etwas besänftigen können, und wir hätten ihnen mehr durchgelassen. Aber da sie sich jedes Kommentars enthielten, haben sie es den Industriellen überlassen, Massenunterhaltung automatisch mit höherem Profit gleichzusetzen.

Ein Kulturbetrieb ohne Märtyrer

Das alte New Hollywood hat keine Opfer, keine Märtyrer. Seine Erneuerer und Experimentatoren wie Dennis Hopper, Henry Jaglom, Bob Rafelson u. a. traten mehr oder weniger abrupt von der Bühne ab (oder besser, wurden abgetreten), aber keiner hat sich in der Öffentlichkeit über die Schwierigkeiten in der Industrie und filmsoziale Missstände beklagt. Um dieses Phänomen zu begreifen, muss man vielleicht etwas weiter ausholen. Die Amerikaner haben nun mal kein Talent zum Märtyrertum. Sie sind - man kann das in allen Medien beobachten - Stehaufmännchen und Pragmatiker, und die «Underachievers», die Versager, versuchen lieber, sich anderswo durchzusetzen als mit Groll im Herzen ihren einstigen Erfolgen nachzutrauern. Das Zufallkommen, von einem höheren Posten in einen tieferen katapultiert zu werden, ist in Amerika keine besondere Tragödie. Die erfolgreichen Regisseure von heute sind sich auch bewusst, dass sie nur solange an der Macht bleiben, solange sie Geld einbringen. Ein paar erfolglose Filme hintereinander, und sie werden ohne Umstände hinauskomplimentiert. Paul Mazursky etwa, der sich mit seinem originellen, aber sehr erfolgreichen Erstling Bob & Carol & Ted & Alice die Dankbarkeit der Studios gesichert hatte und sich somit auch zwei, drei «Flops» leisten konnte, gibt zu, dass er bewusst billige Filme macht, um sich seinen Kredit nicht zu verscherzen. Sein erster Film hatte ihm Geld eingebracht und er war klug genug, vorsichtig damit umzugehen. Dank seiner Vorsicht konnte er bis heute ziemlich autonom arbeiten und profitable Filme machen, die sehr wohl als Autorenfilme bezeichnet werden können.

Das Ärgernis liegt wohl einfach darin, dass in Hollywood doch einiges möglich ist, dass Gutes und Schlechtes - dasselbe gilt übrigens auch fürs Fernsehen - friedlich nebeneinander existieren kann. Eine Grossproduktion kann so dumm sein wie Grease oder so intelligent wie The Godfather. Hollywood hat das Schlechteste und das Beste hervorgebracht; es hat die ausbeuterischen Gewaltfilme auf dem Gewissen, aber auch unkonventionelle, subversive Filme ermöglicht. (Paramount hat, auch wenn es nicht als Produzent auftrat, immerhin Haskeil Wexlers Medium Cool vertrieben.)

Aber das Wort «Anpassung» hat in Amerika einfach keinen so schlechten Beigeschmack wie bei uns. Die Amerikaner sind rebellisch, aufbegehrend, systemkritisch, aber selten von profundem Pessimismus heimgesucht. Auch der schlimmste Radikale kann nach einer feurigen Attacke gegen die US-Politik noch mit den Worten enden: «I believe in America» oder «We are a great nation». Selten wird das System, sondern immer nur einzelne Übeltäter angegriffen, obwohl es doch das System war, das die kriminellen Umtriebe (Vietnam, Watergate) erst ermöglichte.

Jane Fonda kann militant gegen den Krieg auftreten und von Hanoi aus ihr Vaterland denunzieren, aber wenn sie dann Jahre später die Oscar-Verleihung, eine regelrechte «Betriebsveranstaltung», präsidiert, hat man ihr auch schon verziehen. Marlon Brando kann seinen Preis von einer Indianerin entgegennehmen lassen, die die Festlichkeiten dann auch noch zu einem politischen Appell benützt, und man nimmt es ihm nicht übel. Oder besser, man nimmt es ihm nur solange übel, bis man ihn wieder braucht und ihm dann ein paar Millionen für einen 10-Minuten-Auftritt in Superman hinschmeisst. Die USA besitzen eine perfekte Medienmaschinerie, die alles Divergierende und Auflüpfische sogleich als «media hype» integrieren und damit entschärfen kann.

Freiwillige Anpassung oder Unterwerfung?

Trotz aller Klagen um den Untergang und Ausverkauf des New Hollywood können sich dort immer noch neue Talente entfalten, vorausgesetzt, dass sie sich anständig aufführen und es mit künstlerischen Experimenten nicht zu weit treiben. Eine Art subversiver Tätigkeit ist auch, die Filme einigermassen unabhängig zu produzieren und dann eine der grossen Verleihgesellschaften in den Vertrieb zu tricksen. Da die Studiobosse oft unsicher sind, geschehen immer wieder «Fehlleistungen», die dann dem Publikum zugutekommen. Aber dass es eine undeklarierte Zensur gibt - die berühmten Marktgesetze eben - würde wohl niemand bestreiten. Und dass die wirtschaftliche Zensurierung vernichtender sein kann als eine offen politische, ist ebenso klar. Die Frage ist einfach, ob sich die heutigen Filmemacher, wenn sie sich einem Millionenpublikum zuwenden und damit dem Eskapismus verschreiben, bewusst oder unbewusst dieser Zensur unterworfen haben oder ob ihre Produkte in der Tat ihren Neigungen und Überzeugungen entsprechen. Eine Frage, die nur spekulativ beantwortet werden kann. Aber man darf doch annehmen, dass es in diesem Business einige versteckte Märtyrer gibt. Was bedeutet es für einen Philip Kaufman (Invasion of the Body Snatchers) oder John Korty (Oliver’s Story), die über viele Jahre hindurch hartnäckig interessante, persönliche und abseits liegende Filme gemacht haben, nun auf einmal zum Hollywood Establishment zu gehören? Empfindet es Korty nicht als schmählich, für eine dumme Fortsetzung von Love Story angeheuert zu werden, bei der er bestimmt nichts Eigenes hineinbringen kann? Und wie steht Michael Ritchie zu seinem plötzlichen Erfolg mit harmlosen, publikumswirksamen Filmen wie Bad News Bears und Semi-Tough, nachdem Prime Cut und Smile, wohl die satirischsten und vernichtendsten Angriffe auf den amerikanischen Lebensstil, in der Versenkung verschwunden sind? Und wie muss es Dick Richards, der mit Rafferty and the Gold Dust Twins einen der schönsten Roadfilme der 70er Jahre gemacht hat, der ebenfalls kläglich unterging, zumute sein, nachdem er sich erst mit angepassten Hollywoodprodukten einen Namen gemacht hat?

Manchmal hat man den Eindruck, dass wir mit den Autoren des New Hollywood viel nachsichtiger wären, wenn sich die «Versager» artikuliert hätten, eine Theorie um ihren kommerziellen Misserfolg (der wirklich gegen die Industrie und das von ihnen manipulierte Publikum spricht) entwickelt hätten. Es besteht bei uns eine Tendenz, schwierigen, d. h. publikumsunwirksamen Filmen a priori einen gewissen Kredit einzuräumen. Die Umkehrung des Hollywood-Prinzips «Was Erfolg hat, ist auch gut» wäre bei uns «Was vom Publikum ignoriert wird, muss schon irgendwie tief sein». Kein Kritiker würde bei uns schwierigen Spielfilmregisseuren vorwerfen, undemokratisch und elitär vorgegangen zu sein, im Gegenteil, die Unverdaulichkeit gewisser Filme bürgt schon für Qualität.

Realismus als Stilprinzip

Dass Hollywood keine formalen Prinzipien ausser dem konventionellen «Storytelling» und einem Minimum an Spannungsaufbau hat, ist schon zur Genüge beklagt worden. Stil definiert sich im amerikanischen Film als der Rest, der nach Action, Personen, Schauplätzen und Ideen irgendwann noch übrigbleibt. Die neue New-Hollywood-Generation hat für die stilistischen Experimente der Früh-New-Hollywoodianer nur noch Verachtung übrig. Heute schimpft man sie prätentiös, gedankenlos, elitär, pseudo-links, moralistisch und predigerhaft. Dabei kommt die alte Xenophobie wieder zum Ausdruck, wenn ein berühmter Drehbuchautor meinte, Filme mit Untertiteln würden ihm schon prinzipiell auf den Wecker gehen. Kein Wunder, dass da jeder europäische Einfluss negativ beurteilt wird.

Einen Stil - auch wenn er nie als solcher propagiert wurde -haben sie allerdings: den Realismus. Ein Stil, der übrigens auch in der Literatur vorherrschend ist und in Europa immer wieder zu Missverständnissen führt. Eine Geschichte ordentlich zu Ende erzählen zu können, mit Anfang und Ende und allem Drum und Dran, mit Personen, die geradewegs von der Strasse zu kommen scheinen, mit Dialogen, die dem Leben abgehört scheinen - dies ist nun einmal spezifisch amerikanische Tugend, die den Massstab für künstlerische Qualität setzt. Vielleicht mischt sich in unsere Kritik an der «Banalität» auch manchmal etwas Neid über die Selbstverständlichkeit, mit der Regisseure mit dem Alltag umgehen können und von einem Arsenal von Drehbuchautoren und Schauspielern, denen «real dialogues» und «real people» keine Mühe bereiten, unterstützt werden.

Realismus ist etwas, das diesen Autoren leichtfällt, von dem sie sich aber auch abwenden können, um etwas Neues auszuprobieren - das Fantastische etwa und das Märchenhafte und was sonst noch zum sogenannten «Eskapismus» gehört. Charakteristisch dafür ist eine Bemerkung Sidney Lumets:

In Dog Day Afternoon bin ich mit dem Realismus soweit gegangen, wie es überhaupt möglich ist. Der nächste Schritt wäre dann ein Dokumentarfilm gewesen... Mehr als die Hälfte des Films war improvisiert. Die Absicht war, diesen Film auch einem Lastwagenfahrer aus Brooklyn, der Samstagabends mit ein paar Bierflaschen im Kino sitzt, schmackhaft zu machen. So musste ich eben ehrlich, natürlich und wirklichkeitsgetreu sein. Aber nach diesem Film konnte ich nicht mehr weitergehen - es sei denn, ich hätte mich mit der Kamera an die 42nd Street gestellt und auf einen Verkehrsunfall gewartet.

Die Leute so zu zeigen, wie sie sind und keine Idealfiguren und Lebensentwürfe zu bieten, ist die Stärke, aber auch die Schwäche des neuen Hollywoodfilms. Die Stärke ist starke Identifizierungsmöglichkeit, die Schwäche ist, dass es kein Prinzip Hoffnung gibt, es sei denn ein romantisch-verkitschtes. Für Modellfilme, für exemplarische, das Medium selbst reflektierende Filme haben die Amerikaner (sieht man einmal vom Underground-Film ab), noch nie was übriggehabt.

Kino als Korruptionsapparat

Und doch, beklagt man den Niedergang des innovatorischen, experimentierfreudigen New-Hollywood-Kinos, darf man nicht vergessen, dass noch jede «neue Welle» auf der ganzen Welt kläglich verebbt ist. Die Progressiven von gestern sind noch allemal die Konservativen von morgen. Was für einen Truffaut gilt, gilt auch für einen Scorsese oder Ritchie. Schaut man sich um, wo die Grossen in Europa heute gelandet sind, könnte man auch traurig werden. Sogar der neue deutsche Film, politisch bestimmt der radikalste, ist in die harmlosen Jahre gekommen; Hauffs Messer im Kopf hat denselben liberal-verharmlosenden Action-Beigeschmack wie etwa Pakulas All the President’s Men. Das Kino scheint nun mal mehr als andere Medien den Abschlaffungsprozess zu beschleunigen und die künstlerische Integrität auf harte Proben zu stellen. Grosse Budgets haben noch kaum je einem Filmemacher gutgetan.

Was nicht heissen soll, dass der neue Optimismus und die heitere Unterordnung an eine immer schärfer und rücksichtsloser kalkulierende Industrie, nicht an und für sich ein Ärgernis ist. Dass niemand von den neuen Steilstartern auch nur das geringste Unbehagen äussert, sondern im Gegenteil immer wieder versichert, wie er genau das machen könne, was er wolle (diese Äusserungen erinnern manchmal an die «glücklichen» Sozialismusbekenntnisse aus der DDR und UdSSR), gibt schon zu denken. Das selbstbewusste Auftreten der sachlichen und zielstrebigen Business-Künstler, die so genau wissen, was das Publikum will (ob es das wirklich will oder nur dazu verführt wird, diese Frage scheint sich dort niemand zu stellen), kann einem schon Angst machen. Der neue Slogan ist nun, wieder solche Filme zu machen, wie man sie als Kind schon gern gesehen hat. Regisseure wie Milius, Bogdanovich und Schrader geben ganz offen zu, dass sie berechnend und nicht auf Abenteuer aus sind. Sie machen kein Geheimnis daraus, dass sie alte Formeln verwenden, auf bewährte Muster zurückgreifen und alte Genres wieder aufwärmen.

Paul Schrader - eine exemplarische Karriere

Der rasche Aufstieg von Paul Schrader vom hochbezahlten Drehbuchautor zum Regisseur, der nach zwei nicht einmal besonders erfolgreichen Filmen nun so ziemlich alles machen kann, was er will, ist charakteristisch für die neuste Generation in New Hollywood. Charakteristisch ist auch seine Art, Widerspräche zu interiorisieren und die Anpassungsfreudigkeit als besonderen Geschäftssinn auszugeben. Zu seinem ersten Drehbuch Pipeliner, das er in der Schublade verschwinden Hess, meinte er:

Mein Plan ist, den Sprung in die Regie zu machen, und aus diesem Grund habe ich Pipeliner aufgegeben, und versuche nun, mir auf andere Art eine Machtposition zu verschaffen. Hätte ich dieses Script inszeniert, dann wäre ich nun als intellektueller, sensibler Kunstfilmer und Filmhochschulabsolvent abgestempelt... Ein Film mit diesem Thema würde kein Geld einbringen und ich würde dabei meine ganze Energie verbrauchen. Und so denke ich auf ziemlich unfeine Art, ich muss einen Weg finden, um einen Film inszenieren zu können, der einen Haufen Leute ins Kino lockt und beweist, dass ich Kinounterhaltung machen kann. Wenn ich das bewiesen habe, kann ich mir diese ganze Macht einverleiben.

Schrader gehört zur neuen Generation von Drehbuchautoren, die das Schreiben als Sprungbrett zur Regie benutzen. Seine Gagen sind bereits legendär: Sein drittes Drehbuch verkaufte er für 300 000 Dollar. Taxi Driver war wesentlich billiger, weil er mit Scorsese (Regisseur) und Robert De Niro (Hauptdarsteller) als Team auftrat und so dem Studio ein Paket verkaufte. Dies ist die neue Art, ins Geschäft zu kommen. Man nennt dies «pay-or-play-deal», d. h. entweder man bekommt eine hohe Summe für das Drehbuch oder man bekommt etwas weniger, und darf dafür Regie führen (oder seinen Regisseur wählen). Sylvester Stallone war einer der ersten, der diese Verkaufsstrategie mit seinem Rocky, mit dem er sich zugleich auch die Hauptrolle erhandelte, angewandt hat.

Drehbuchautoren sind in New Hollywood zu neuem Ruhm gekommen. In der Vergangenheit waren sie Studioangestellte, die täglich ihre 8 Stunden absitzen und eine vertraglich festgelegte Anzahl von Seiten liefern mussten. Sie waren keine kreativen Schreiber, sondern lediglich Adaptoren von Fremdmaterial, das ihnen dann erst noch ein paarmal umgeschrieben wurde. Sie waren namenlose Handwerker, deren Qualität nicht in der Originalität, sondern im zuverlässigen und regelmässigen Produzieren von «brauchbaren» Drehvorlagen lag. Sie wurden instruiert, auf keinen Fall kreativ zu sein, denn Alt-Hollywood verliess sich in der Regel auf in Literatur und Theater schon erprobte Stoffe. Sie holten sich zum Prestige auch literarische Grössen, und die Klagen von Leuten wie Faulkner, Scott Fitzgerald, Ben Hecht, Lillian Hellman und Raymond Chandler, die sich dem System unterwerfen mussten, sind bekannt.

Heute ist «Originaldrehbuch» das Zauberwort. Obgleich die sogenannten Originaldrehbücher so original nun auch wieder nicht sind. Auch Paul Schrader inspirierte sich an vorhandenen Stoffen: Obsession orientiert sich an Vertigo und Hardcore an John Fords The Searchers, Taxi Driver benutzt Elemente aus Pickpocket, Blue Collar basiert auf einer Geschichte, die ihm erzählt wurde (und dessen Autor er dann auch auszahlen und im Vorspann erwähnen musste - «Quellenmaterial» nennt sich das), und The Yakuza schliesslich arbeitet nach dem Muster der japanischen Gangsterfilme.

In der neuen Hollywoodindustrie, die sich vermehrt Talente ausserhalb des Systems heranholt, ist der Drehbuchautor ein Star, der nun nicht mehr den langen Weg durch die Institutionen machen muss, sondern ohne vorherige Erfahrung und Referenzen ein Script präsentieren kann. Drehbücher werden nicht mehr einfach an den Erstbesten verkauft, sondern der Autor nimmt sich einen Agenten, der das Buch rundum anbietet und regelrecht versteigert. Bei den gegenwärtigen Honoraren ist es auch nicht mehr so tragisch, wenn das Drehbuch von den Käufern dann noch verändert wird. Auch Schrader hat da seine bitteren Erfahrungen machen müssen. Ausser bei Taxi Driver und den Drehbüchern, die er selber verfilmt hat (Blue Collar und Hardcore) wurden seine Arbeiten (nach seinen Aussagen) ziemlich verunstaltet. Aber er meinte - Schrader, der süperbe Realist!: «Wenn man 300000 Dollar für ein Drehbuch kassiert, dann rennt man natürlich nicht herum und klagt, wie es einem versaut wurde.»

Zu den neuen Drehbuchstars gehören weiterhin Robert Towne (Chinatown und The Last Detail), der immer gerufen wird, wenn es noch etwas zu retten gilt, John Milius, der für The Life and Times of Judge Roy Bean ebenfalls 300000 Dollar kassierte und sich später mit Dillinger einen Regiejob angelte, Willard Huyck und Gloria Katz, die zusammen wiederum 300000 Dollar für Lucky Lady bekamen sowie William Goldman mit 400 000 Dollar für Butch Cassidy and the Sundance Kid. Eine Gewinnbeteiligung kommt in den meisten Fällen noch dazu. So stattlich diese Preise sind, darf man nicht vergessen, dass für die Rechte von My Fair Lady seinerzeit mehr als 5 Millionen gezahlt wurden.

Schrader, ein ehemaliger Filmkritiker und Filmhochschulabsolvent, der in einem streng religiösen Milieu aufgewachsen war, bis zum 17. Altersjahr keinen Film gesehen hatte und seine Mutter auf den Knien bitten musste, Die Wüste lebt sehen zu dürfen, gehört zu den neuen Regisseuren, auf die vor aüem in Europa grosse Hoffnungen gesetzt werden. Kein Wunder: er gehört zu den wenigen Amerikanern, die sich nach europäischem Vorbild zuerst einen Namen als Filmkritiker gemacht hatten. Sein Buch Transcendental Style in Film - Ozu, Bresson and Dreyer ist zwar eine etwas trockene und phantasielose Abhandlung, aber er hat sich damit akademische Würde verdient. Zudem hat er sich in Taxi Driver an Camus’ L’étranger orientiert und eine amerikanische Novität geschaffen: den existentialistischen Helden. (Wenn man es nicht wüsste, würde man das Vorbild allerdings kaum ahnen.) Sein Drehbuch The Yakuza, von Sidney Pollack sehr matt und einfallslos verfilmt, bewies seine Kenntnis verschiedener Genres, vor allem des film noir, und einen gekonnten Umgang damit. Obgleich er sich in seinen theoretischen Schriften mit Stil und Form ausführlich auseinandergesetzt hat, unterwirft er sich in seinen Werken ganz dem konventionellen Hollywoodprinzip. Sein erklärtes Hauptanliegen ist, eine Geschichte zu erzählen und eine Reaktion darauf zu bekommen. Aber sein «europäischer Anstrich» und seine illusionslose Einschätzung der Hollywoodindustrie haben ihm den Ruf eines Intellektuellen verschafft, der weiss, was und weshalb er es tut und auf was er hinauswill.

Sein erster Film Blue Collar, der von drei Arbeitern in einer Automobilfabrik handelt, stufte ihn überdies als Progressiven ein. Aber sieht man einmal davon ab, dass die Hauptpersonen Arbeiter sind - zugegebenermassen eine Rarität in Hollywood - so ist Blue Collar eher ein film noir als ein sozial engagierter Film, der die Protagonisten wohl als Opfer des Systems zeigt, den Nachdruck aber nicht auf die Ungerechtigkeiten des Systems, sondern auf die Hilflosigkeit der dem Schicksal resp. System Ausgelieferten legt. Apropos Engagement ist die Aussage Schraders, dass er während der Arbeit am Drehbuch zu einer sehr marxistischen Schlussfolgerung gekommen sei (welche?), die sich zwangsläufig aus der Geschichte ergeben hätte, bemerkenswert. Denn er fügte hinzu: «Wäre das logische Ende der Geschichte, die ich in Bewegung gesetzt hatte, rechtslastig gewesen, dann hätte ich ohne Skrupel diesen Weg eingeschlagen.» Man stelle sich das vor: Eine linke Schlussfolgerung, die sich einfach so ergibt!

Schrader, das hat er auch in seinem zweiten Film Hardcore bewiesen, ist ein zuverlässiger Handwerker, so recht nach Hollywoods Geschmack. Seine Beschäftigung mit Klassikern des europäischen Films hat nicht zu stilistischen Experimenten und zu einem Aufbrechen der traditionellen Hollywoodstrukturen geführt; er bleibt schön im Rahmen. Verglichen etwa mit Spielberg ist er sogar ausgesprochen konventionell und visuell einfallslos. Wenn er in Detroit filmt, dann zeigt er den Smog, die Fabriken und die Reklametafeln in ästhetischer Perfektion, obgleich eine bedrückende Atmosphäre der Geschichte eher zuträglich wäre. In Hardcore, wo er sich so vehement gegen Pornografie und Gewalttätigkeit ausspricht, hat er keine Hemmungen, den miesen Pornoproduzenten und Zuhälter zuletzt noch in Weiss zu kleiden, damit das Blut bei seiner Ermordung ja schön zur Geltung kommt. Womit wir zu seinem Hauptmotiv kommen: Die sinnlose, blinde Gewalt. Auch Schrader bedient sich wie viele andere einer einträglichen Ästhetik der Gewalt. Seit Taxi Driver hat er dieses Thema kaum verlassen. Scorsese konnte das Schlussmassaker in Taxi Driver mit seiner sehr persönlichen, fast poetischen Vision noch auf eine höhere Stufe transzendieren, aber bei Rolling Thunder (ein Drehbuch, das er ursprünglich selbst hätte verfilmen sollen, ihm dann aber weggenommen wurde und von dessen Verfilmung er sich heute distanziert) werden allfällige Zweifel vollends zur Gewissheit. Mag er sich auch an europäischen existentiellen Helden orientieren, so dient ihm die Gewalt bestimmt nicht dazu, sie zu analysieren und zu demystifizieren, sondern er setzt sie berechnend auf ihre Publikumswirkung hin ein. Das Blutbad, dass ein Vietnam-Veteran und Kriegsgefangener, wieder zuhause angelangt, in all seiner aufgestauten Wut anrichtet, ist nur noch brutales Kino. Nicht so sehr die psychische Verfassung eines Gefolterten, der irgendjemandem die erlittenen Qualen heimzahlen muss, hat Schrader interessiert, sondern nur das Moment seiner Explosion, als er zum Amokläufer wird und in einem sehr kinowirksamen Massaker mit offensichtlichem Genuss haufenweise Mexikaner abknallt.

Schrader redet in seinen Interviews (er ist ein richtiger Interview-Champion, und bei Journalisten wahrscheinlich sehr beliebt, weil er sich ausführlich und prägnant auszudrücken weiss) viel von seinem religiösen Erbe, von Schuld und Sühne, von Vergebung und Gnade, von apokalyptischer Gewalt und Katharsis, von extremen Situationen, aus denen man sich nur noch mit Kurzschlusshandlungen retten kann. Aber er ist kein Mahner, sondern ein Profiteur des herrschenden Malaise. Ein Moralist nur soweit, als es ihm eine gewisse Aura von Verantwortlichkeit verleiht, ein kluger Kopf, der aus seiner Faszination mit dem Tod und den selbstzerstörerischen Impulsen seiner Helden Kapital zu schlagen wusste. Er weiss genau, wie gerne das Publikum sieht, wenn die Bösen zusammengeschlagen werden, und er verschafft ihm diese Genugtuung noch und noch. Seine Intellektualität - obgleich auf den ersten Blick ein Novum für Hollywood - reicht nicht weiter als eine kühle Nachdenklichkeit sowie eine gewisse Distanz zum Filmbusiness und ein Durchschauen seiner Spielregeln. Seine Leidenschaftslosigkeit und Berechnung lässt keine allzu grossen Hoffnungen in ihn setzen. Er scheint zwar genau zu wissen, wie man den Moloch Hollywood futtern muss, aber es fehlt ihm die Spontaneität und das künstlerische Draufgängertum, um den Schritt weiterzugehen, der in diesem System noch möglich wäre.

Vielleicht sind die Naiven in Hollywood immer noch die besten.

Corinne Schelbert
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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