JAMES MONACO

DIE POLITIK DER KONGLOMERATE — HOLLYWOOD UNTER EINEM NEUEN WIRTSCHAFTSSYSTEM

ESSAY

Wirtschaftlich gesehen ist die Konglomeratsstruktur wohl die bedeutsamste und tiefgreifendste Neuerung des New Hollywood, denn sie ist es, die die Möglichkeiten innerhalb der Filmindustrie zum vornherein beschränkt. Diese neue Unternehmenspolitik ist nicht ungesetzlich, nicht unmoralisch, ja nicht einmal dramatisch, und sie wird daher auch kaum erwähnt. Und doch liegt hier das zentrale Problem, denn solange das sogenannte New Hollywood, trotz zahlreicher kosmetischer Operationen, die wirtschaftliche Struktur der Konglomerate nicht radikal ändert oder gar gesetzlich ausser Kraft setzt, wird es keine wirkliche und dauerhafte Erneuerung erleben.

Ein Konglomerat (Mischkonzem) sei hier einmal definiert als eine Finanzorganisation, die eine Anzahl verschiedenartiger Unternehmen aus ganz verschiedenen Industriezweigen besitzt und leitet. Innerhalb des Filmsektors reicht das Ausmass der Konglomeration vom multinationalen Industriekonzern Gulf + Western, der 1977 nur 6 Prozent seiner Einkünfte aus den Film- und Fernsehaktivitäten seiner Tochterfirma Paramount bezog, bis zur Twentieth Century Fox Film Corporation, eine, wie schon der Name besagt, vorwiegend in der Filmbranche tätige Firma, deren Einnahmen 1977 immerhin zu 73 Prozent aus Film- und Fernsehverkäufen stammten.

Mit dem Begriff «Konglomerat» wird heute im volkswirtschaftlichen Jargon sehr frei umgegangen, was seinen Grund darin haben mag, dass die Konglomerate selbst eine verwirrende Vielfalt von Unternehmensstrukturen aufweisen. Gulf + Western, ein Handelsgigant mit lukrativen Beteiligungen auf fast allen Gebieten der Wirtschaft, ist wohl das Paradebeispiel eines Mischkonzems. Warner Communications Inc. hingegen erfüllt die Definition des Begriffs nur bedingt. Obgleich die Interessen dieses Unternehmens breit gestreut sind, sind sie doch stark auf miteinander verflochtenen Medienaktivitäten konzentriert.

Aber am Ende kommt es gar nicht so darauf an, wie hoch der Diversifikationsgrad einer jeweiligen Firma nun in Tat und Wahrheit ist; es ist vielmehr die Psychologie der heutigen Konglomeratspolitik, die ausschlaggebend ist. Der brillante amerikanische Ökonom Thorstein Veblen hat schon vor 75 Jahren die wichtige Unterscheidung gemacht zwischen «Industriellen», die seiner Meinung nach vornehmlich an dem von ihnen hergestellten Produkt interessiert sind, und «Geschäftsleuten», denen nicht so sehr das Produkt als sein Profit am Herzen liegt. Veblen prophezeite dem amerikanischen Wirtschaftssystem eine allmähliche Verlagerung der Kontrolle durch Industrielle zu der von Geschäftsleuten. Das Konglomeratsphänomen der letzten 15 Jahre ist einfach ein Zeichen dafür, dass diese Verlagerung nun endgültig stattgefunden hat.

Die einst so schillernde, von Romantik umhauchte, aber nach obiger Definition ziemlich veraltete Filmindustrie ging als eine der letzten des alten Systems unter. Nach Veblens Theorie ist eine solche Machtverschiebung mit ernsthaften Gefahren verbunden, und angesichts der gegenwärtigen Situation in der Medienindustrie täte man gut daran, seine Warnungen zu beachten. Denn wo der Industrielle sich ganz persönlich seines Produktes annimmt und am Gewinn im Gegensatz zu Verlust interessiert ist, da strebt der Geschäftsmann als reiner Kapitalist immer noch höhere Gewinne an.

Ein eklatantes Beispiel einer solchen Machtübernahme ist der Fall der Metro-Goldwyn-Mayer, einst das grösste, rentabelste und angesehenste aller Hollywoodstudios. Dieses Unternehmen wurde in den späten 60er Jahren vom Immobilienmagnaten Kirk Kerkorian, der das MGM-Kapital lieber in Hotels als in Filme investieren wollte, kurzerhand liquidiert.

Bis heute hat zwar noch kein Grosskonzern ein Filmstudio auf diese Weise veräussert, aber die Psychologie der Profitmaximierung herrscht vor. Dies kann auch gar nicht anders sein, wenn die Jahresbilanz die Investoren zufriedenstellen soll. Warner Bros, ist nunmehr, wie bereits erwähnt, einem riesigen Medienkonzern unterstellt; die Filmaktivität hat denn auch nur geringen Anteil an den Einkünften und Gewinnen der Mutterfirma Warner Communications Inc. Rein zahlenmässig gesehen erfreut sich die Warner Bros, heute grösserer wirtschaftlicher Gesundheit als zurzeit, da sie noch nicht dem Konzern unterstellt war. Diversifikation, d. h. Ausstreuung auf ganz verschiedene Industriesektoren, hilft eben, die berüchtigten Berg- und Talfahrten auf den Gewinntabellen der Filmgesellschaften zu nivellieren.

Und dennoch darf man behaupten, dass diese neuartigen Geschäftspraktiken, die sich in einer für die Investoren überaus attraktiven Bilanz niederschlagen, zu einer Situation in der Filmindustrie geführt haben, die schon sehr nach Gewinnaushöhlung aussieht. Führen wir uns zu diesem Zweck einmal die Zahlen der Warner Bros, vor (obgleich jedes der andern 5 grossen Filmstudios genauso gut als Beispiel dienen könnte): 1975 erzielte die Firma vor Abzug der Steuern einen Gewinn in der Höhe von 42 Millionen Dollar, aus der Produktion, Finanzierung und Vertrieb von 12 Filmen. Wäre nun die Hälfte dieses Gewinns wieder in die Filmproduktion gesteckt worden, so hätte die Warner 1976 mindestens 6 Filme mehr als im Vorjahr herausbringen können. Die Zahl wäre sogar noch grösser gewesen, wenn Barbeträge, wie dies sonst üblich ist, zur Ankurbelung weiterer Projekte benutzt worden wären. Anders ausgedrückt hätte diese Firma 50 Prozent mehr Filme unterstützen und damit 50 Prozent mehr Regisseure, Drehbuchautoren, Schauspieler und Techniker beschäftigen können. Und dieselbe Prozentzahl von zusätzlichen Kinobesuchern wären potentielle Zuschauer von diesen Filmen gewesen. Man darf auch nicht vergessen, dass diese «Zusatz-Filme» ihrerseits wieder Gewinne hätten erzielen können. Im Jahre 1977, in welchem die Warner effektiv 14 Filme herausbrachte, hätten nach dieser Rechnung also mindestens 9 Filme mehr entstehen können, wenn ein Teil des Gewinns reinvestiert worden wäre. Ein solches innerhalb zweier Jahre um 64 Prozent angestiegenes Produktionsvolumen würde etwa der Kapazität einer weiteren grossen Verleih- und Produktionsgesellschaft entsprechen.

Die wirtschaftliche Gesundung der Filmindustrie in den späten 70er Jahren wurde also auf Kosten der Filme selber erkauft. Auch wenn heute einiges für eine Umkehrung dieses Trends spricht, so haben doch die 6 grossen Filmstudios während der vergangenen 10 Jahre stetig die Zahl der produzierten und verliehenen Filme reduziert. Ein Resultat davon ist, dass die jährliche Besucherzahl bei den zehn kassenträchtigsten Filmen dreimal so schnell anwächst wie die Gesamtzahl der Kinogänger. Was nichts anderes heisst, als dass immer mehr Leute dieselben zehn Filme sehen werden.

Die «Geschäftsmännern des New Hollywood haben demnach in gewissem Sinne den Filmmarkt desaturiert, und die Folge davon sind gesamthaft höhere Gewinne und vermindertes Risiko bei einzelnen Projekten. Das mag gut fürs Geschäft sein, wirkt sich jedoch nachteilig für Filmschaffende und Kinogänger aus. Auf einem anderen Produktionssektor -bei Kosmetik und Waschmitteln etwa - wäre eine solche Desaturation durchaus wünschenswert, der Film hingegen ist nicht bloss ein Industrieerzeugnis, sondern auch ein Kommunikationsmittel. Wir werden niemals in Erfahrung bringen können, wie viele Filme einer stabilen Gewinnkurve geopfert wurden.

Einen wesentlichen Anteil am «Produkteproblem» der letzten 8 Jahre hat die Kassenschlager(Blockbuster)-Psychologie. Wenn man die Riesengewinne von Produktionen mit achtstelligen Zahlen wie Jaws, Star Wars und Close Encounter of the Third Kind betrachtet, könnte man leicht zum Schluss kommen, dass der Profit eines Films in direktem Verhältnis zu seinem Budget steht. Die Zahlen sind jedoch irreführend. Der Kassenschlager verfährt grundsätzlich nach einer vorsichtigen und überaus konservativen Strategie. Es mag wie ein riesiges Hasardspiel aussehen, 20 bis 30 Millionen in einen Film zu investieren, aber in Tat und Wahrheit verlieren nur wenige dieser Superproduktionen Geld; die Grösse des Produktionsetats - und die Erwartungen, die dies bei Kinobesitzer und Publikum auslöst - sind beinahe schon Garantie dafür, dass der Film mindestens sein Geld wieder einspielt. Dino de Laurentis’ King Kong zum Beispiel war, obgleich allgemein als Kassenmisserfolg beurteilt, kein grosses Verlustgeschäft. Da noch vor dem Start des Films die meisten Kosten mit Kinovorschüssen, Verleihgarantien und Auslandsrechten bereits gedeckt waren, zog sich der Produzent relativ unversehrt aus der Affäre.

Umgekehrt ist auch die Gewinnleistung eines enorm erfolgreichen Kassenschlagers, gemessen an seiner Investition, nicht sonderlich spektakulär. Jeder andere Film hat, ungeachtet seiner Produktionskosten, genau dieselbe Chance, das grosse Geld zu machen. Hits lassen sich nun einmal nicht planen. Die Hälfte der in der «Variety»-Liste aufgeführten zehn Filme mit den höchsten Einspielergebnissen aller Zeiten wurden denn auch mit mittlerem Budget gemacht, während die andere Hälfte als Superproduktionen bezeichnet werden kann.

Genau betrachtet können kleine Filme sogar profitabler sein als grosse. In absoluter Zahl ausgedrückt war Star Wars, eine mittelgrosse Blockbuster-Produktion, der finanziell erfolgreichste Film Hollywoods. Und dennoch war der Ertrag auf jeden aufgewendeten Dollar nur 10 Dollar, während etwa American Graffiti, ein kleiner Film mit einem lächerlich kleinen Budget, bis heute auf jeden investierten Dollar 50 Dollar Gewinn eingebracht hat. Die Schlussfolgerung, die wir aus diesen Zahlen zu ziehen haben, ist klar. Die Filmpolitik der Grosskonzerne zielt paradoxerweise nicht auf hohe Gewinne, sondern will nur erreichen, dass die Ausgaben wieder eingespielt oder höchstens ein kleiner Profit erzielt werden, um so die Verkaufskurve stabil zu halten. Mit der Blockbuster-Strategie wird man nicht reich. Es sind bloss grössere Summen im Umlauf, von denen der uneingeweihte Betrachter natürlich beeindruckt ist.

Die heutigen Studiobosse haben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur noch die Funktion von Schiedsrichtern -sie sind die Verkehrspolizisten des Systems. Sie besitzen weder die schöpferische Macht noch den künstlerischen Elan ihrer Vorgänger, den Hollywood-Mogulen von gestern. Die Ideen für ein Projekt und dessen Ausarbeitung liegen nunmehr bei andern. In den meisten Fällen müssen die Studiobosse einfach nur warten, bis ihnen die Pläne zur Gutheissung unterbreitet werden. Der auffallende Qualitätsmangel ist demnach eine direkte Folge der neuen Geschäftsmethoden Hollywoods.

Das System des neuen Hollywood unterscheidet sich grundlegend von demjenigen der 30er und 40er Jahre, das der amerikanischen Filmindustrie zur weltweiten Vormachtstellung verholfen hat. Verschwunden sind die Studiofabriken mit einem grossen Stab fest angestellter, jederzeit verfügbarer Regisseure, Autoren, Schauspieler und Techniker, die dem In-und Ausland Unterhaltung am Fliessband lieferten. Die hochindustrialisierten Massenproduktionsverfahren des alten Hollywood sind durch ein System ersetzt worden, das eher der primitiven Wirtschaftsorganisation vorindustrieller Zeiten gleicht.

Vom rein buchhalterischen Standpunkt erscheint dies durchaus sinnvoll, denn warum sollen riesige Kapitalsummen in Tonstudios, technische Ausrüstung und regelmässige Entlöhnung vertraglich eingestellten künstlerischen Personals investiert werden, wenn Aussenstehende bereit sind, die für die ökonomische Infrastruktur notwendigen flüssigen Gelder zur Verfügung zu stellen? Früher mussten regelmässig die laufenden Studiounkosten herausgeschlagen werden, und ausserhalb der Studios gedrehte Filme waren sündhaft teuer. Als sich jedoch Filme mit realen Schauplätzen als ausgesprochen publikumswirksam erwiesen, wurden die Tonstudios entweder ganz geschlossen oder anderweitig ausgemietet. Temporär eingestelltes technisches Personal war nicht teurer als solches unter Jahresverträgen. Freischaffende Künstler kosteten zwar erheblich mehr als fest angestellte, aber die Produzenten ebenso wie die Künstler selber genossen dafür die neue Freiheit in der Auswahl.

Der grosse Nachteil einer primitiven Wirtschaftsorganisation von dieser Grösse ist allerdings, dass sie keine kontinuierliche Entwicklung und Förderung von Talenten gestattet. Es gibt nun keinen offiziellen Übungsplatz mehr für Filmschaffende. Als das alte System anfangs der 60er Jahre erste Anzeichen des Zusammenbruchs zeigte, wurde das Verschwinden der hierarchischen Struktur zu Recht begeistert aufgenommen. Denn dies bedeutete, dass fortan junge Leute eine Chance zum Filmemachen bekamen, ohne die früher obligaten 20 Lehrjahre absolvieren zu müssen. Aber nun beginnt man das Fehlen eines ordentlichen Entwicklungssystems zu spüren.

Zwar war das Reservoir an Schauspielertalenten noch nie so gross wie heute und die Filmhochschulen haben während der letzten 15 Jahre die Ausbildung «künstlerischen» Personals teilweise übernommen (womit die letztlich den Studios zugutekommende Ausbildung mit öffentlichen Geldern finanziert wird). Was jedoch die künstlerisch-administrativen Schlüsselstellen im Filmgeschäft angeht, so herrscht ein deutlicher Mangel an qualifizierten Kräften. Ironischerweise ist die mangelnde Ausbildung gerade im organisatorischen Bereich am auffälligsten, was wiederum ein Grund dafür sein mag, dass viele ehemalige Agenten sich nun in den wichtigen Positionen dieser Industrie befinden.

Die neueste Generation von ausführenden Produzenten, von denen alle weniger als 33 Jahre alt sind, übernahm ihre Posten 1978. Ein Teil dieser Leute hatte früher einmal mehr oder weniger zur Neuen Linken gehört, was manche Beobachter dazu veranlasste, die Geburt eines neuen New Hollywood zu verkünden. Das Personal mag geändert haben, die Struktur ist jedoch dieselbe geblieben. Solange die Studioleiter sich dem Verwaltungsrat der Konzerne zu verantworten haben, solange die für die Produktion Verantwortlichen lediglich Projekte weitergeben, die von andern ausgearbeitet worden sind, so lange sind in Hollywood keine grossen Veränderungen zu erwarten.

Übersetzung: Corinne Schelbert

Dieser Artikel, den wir hier leicht gekürzt publizieren, erschien in «American Film Now», Oxford University Press New York 1979, im Kapitel «The Fourth Estate».

James Monaco
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(Stand: 2020)
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