ALAIN TANNER

TELE-APHORISMEN

ESSAY

Auftrag. Wer hat, eines schönen Tages, dem Staat den Auftrag gegeben, das Volk zu «erziehen, informieren und zu unterhalten» (Statut der SRG) mit dieser enormen «herrschenden Schule», die das Fernsehen ist? Ich als Bürger erinnere mich nicht, befragt worden zu sein.

Augen (Mit den eigenen sehen). Die Ideologie des Visuellen, die in unseren Gesellschaften an voyeuristische Hysterie grenzt, bewirkt, dass man nicht mehr glaubt, was man nicht sieht. So ist es für ein Land, das einen Gewaltakt begeht, fast ebenso schwerwiegend, die Bilder davon zurückzuhalten oder zu verbergen, als die Tat zu begehen. Verstörter Ausdruck des Ansagers der französischen Tagesnachrichten zu Beginn der Afghanistan-Affäre: er entschuldigte sich, keine guten Bilder zeigen zu können, und man musste ihm aufs Wort glauben. Der Beweis kam einige Tage später in der Form von russischen Soldaten in Kabul. Man atmete auf.

Auseinandersetzungen. Die Verbände, die bei uns für eine «Demokratisierung» des Fernsehens kämpfen, zur linken und zur rechten, haben nie nur eine Sekunde lang bedacht, dass die Szene, auf der sie sich auseinandersetzen, oder besser die Szene (der Ort), die sie errichten wollen, längst im Voraus gezeichnet ist. Und dass die paar Minuten Sendezeit, die man einem linken oder einem rechten Abgeordneten klaut, nicht viel ändern werden, nicht einen Sitz in den Gremien, die das Fernsehen lenken. Sie sollten wissen, dass der Inhalt des Fernsehens das Fernsehen selber ist mit seinem Zeichensystem. (Siehe unter «Botschaft».) Und dass es wenig Unterschied gibt oder keinen zwischen dem Bild des Mundes eines linken oder eines rechten Abgeordneten. (Siehe unter «Mund»)

Blick. Im Fernsehen ist die Zuwendung des Blicks eine Sache von Spezialisten. Es gibt nur zwei Kategorien von Leuten, die wissen, dass sie ins Objektiv blicken müssen, um sich direkt an den Zuschauer zu wenden (wobei sie sich natürlich tüchtig täuschen: es gibt nicht die geringste Kommunikation zwischen diesem Blick und mir, der diesen Blick anblickt). Die erste Kategorie umfasst Fernsehleute: Journalisten, Moderatoren, Ansagerinnen. Die zweite aus Politikern, die auf Fragen von Journalisten an ihrer Seite antworten, und die sich zum Kameraobjektiv wenden (was man sie fälschlicherweise gelehrt hat), umso direkt zu ihren Wählern zu sprechen. Was nicht ohne ein gewisses Unbehagen abgeht, ist es doch auch gleichzeitig der Ausdruck einer Beleidigung des Journalisten, der gegenübersteht, und den man nach der Frage seinem Schicksal - dem eines simplen Abrufers - überlässt. Und wenn die Ansagerin mich anschaut und mir sagt: Und jetzt kommt der Moment Ihres Feuilletons (also/ür mich mein Feuilleton), fühle ich mich in meinem Fauteuil herabgewürdigt und finde das vorfabrizierte Lächeln, das die Anrede begleitet, sozusagen obszön.

Botschaft. «Das Medium ist die Botschaft». MacLuhan hat sehr früh den Grundmechanismus des Fernsehens verstanden. Die reale Botschaft, die vom Fernsehen vermittelt wird, ist nicht diese oder jene Sendung, sondern das Phänomen «Television» an und für sich; es transformiert die sozialen Gewohnheiten, die Art der Rezeption und der Zusammenhänge, indem es eine standardisierte und homogene Sicht auf die Dinge vermittelt mit Hilfe einer durch und durch kodifizierten Sprache, die alle Inhalte neutralisiert und sie in Zeichen umwandelt, die nur auf sich selber zurückweisen. Es gibt keinen oder wenig Rückverweis, kein feedback. Das Zeichen Television erschöpft sich in der Zeit seines Verzehrs. Zitieren wir dazu Baudrillard (La société de consommation, Gallimard, 1970: «...was empfangen wird, assimiliert, konsumiert, ist weniger das Spektakel als die Wesenheit aller Spektakel.» «Die Wahrheit der Massenmedien ist also diese: sie haben als Funktion, das Gelebte, das Erlebnishafte der Welt zu neutralisieren, um es durch ein vielfaches Universum von homogenen Medien zu ersetzen, die sich gegenseitig selber bedeuten und nur vom einen aufs andere verweisen. Im Grenzfall werden sie gegenseitig zum reziproken Inhalt - und hier liegt die totalitäre ‹Botschaft› einer Konsumgesellschaft.» «Was das Medium Fernsehen transportiert mit Hilfe seiner technischen Organisation, ist die Idee (Ideologie) einer veranschaulichbaren Welt, die sich beliebig auseinandernehmen und in Bildern lesen lässt. Es transportiert die Ideologie der Allmacht eines Lektüresystems in einer Welt, die ein System von Zeichen geworden ist. Die TV-Bilder wollen Metasprache einer abwesenden Welt sein ...» «... und es ist die Substanz der zerstückelten, filtrierten und nach diesem Code wiedergedeuteten Welt, die wir ‹konsumieren›. Die ganze Weltmaterie, die ganze industriell zu Fertigprodukten verarbeitete Kultur, in Zeichen-Material, weshalb sich der ereignishafte, kulturelle oder politische Wert verflüchtigt hat.»

Dauer. Eine der Haupteroberungen des modernen Films ist die Arbeit mit der Dauer, mit der Länge der Einstellungen, mit den Pausen, die nicht systematisch «gefüllte werden müssen. Diese Errungenschaft, obzwar auch im Kino oft vernachlässigt, ist vom Fernsehen immer unterdrückt worden, im Spielfilm wie in Dokumentarsendungen. Man muss «füllen», den Zuschauer «fesseln», damit er keine Zeit findet, sich zu langweilen und «abzuschwirren». Diese alten Methoden des Hollywoodfilms werden jetzt auf ewig perpetuiert durch das Diktat des Fernsehens.

Demokratie. Um allen zu gefallen und niemandem zu missfallen, legt das Fernsehen einen horizontalen Schnitt durch das Publikum, das heisst, es unterteilt in Kategorien gemäss Bedürfnissen, die sich auch auf anderen Gebieten behaupten: es gibt Sportliebhaber, Liebhaber der internationalen Politik, von Spielen oder Liedchen usw. Aber alle diese Kategorien drücken sich gleich und gleichartig aus. Der Schnitt sollte vertikal laufen, zwischen denen, die diesen Typ von Fernsehartikulationen, und denen, die jenen wollen.

Dialektik. Mit seiner fürchterlichen Homogenität ist das Fernsehen die Antithese zu jedem dialektischen Denken.

Einbildung. «... Man müsste vom kalten Licht des Fernsehens sprechen, warum es so einflusslos ist auf die Einbildungskraft (jene der Kinder eingeschlossen). Weil es nicht die geringste Einbildung in sich trägt, und das aus dem einfachen Grund, weil es kein Bild mehr ist. Man müsste es dem Kinofilm entgegenhalten, der noch begabt ist für intensive Einbildung (allerdings immer weniger, weil er immer mehr vom Fernsehen angesteckt ist). Der Film ist ein Bild. Das heisst nicht nur ein Bildschirm und eine visuelle Form, sondern ein Mythus, etwas Doppeltes: Phantasmen, Spiegel, Traum. Nichts von alledem im Tele-Bild, das nichts suggeriert, das magnetisiert, das nur ein Bildschirm ist, nicht einmal das. Nur ein miniaturisierter Terminal eigentlich, der sich unmittelbar in eurem Kopf befindet - ihr seid der Bildschirm, und die Tele schaut euch an, transistorisiert alle Neuronen und zieht wie ein Magnetband hindurch. Ein Band, kein Bild. (Jean Baudrillard, Cahiers du Cinéma)

Eingang (Eingangstür). Fürs Fernsehen arbeiten kann in gewissen Fällen ein Pass sein, ein Passwort: «Sesam, öffne dich!» (Es ist die Stimme der Macht, die sich Zutritt verschafft.) Es kann aber auch das Gegenteil bedeuten: die Stimme der Macht muss vor der Türe bleiben. Eine der interessantesten Genfer Fernsehsendungen der letzten Zeit war jene einer italienischen Feministengruppe, die dank ihrem eigenen Status Zugang zu einem Vergewaltigungsprozess erhielt. Mit leichtem Material, schwarzweiss. Wäre das «grosse» Fernsehen in den Gerichtssaal gekommen?

Einsamkeit. Nicht nur gibt es keine Antwort auf die Wortergreifung des Fernsehens, sondern die TV beraubt die Leute auch der Kommunikation, die sie unter sich haben könnten. Man redet nicht mehr miteinander, wenn der Apparat läuft. Einerseits produziert das Fernsehen eine phantastische Einförmigkeit des Gesellschaftskörpers; andererseits atomisiert es ihn. So gleicht man sich immer mehr und ist man immer einsamer.

Erfindung. Es gibt nur wenige, die den Film - machend und denkend und seiend - erfinden; es gibt nie einen, der das Fernsehen so erfindet.

Erinnerung. Die Erinnerung ist der innerste Ort, der Grund aller schöpferischen Arbeit. Der Arbeitsgang des Fernsehens, wo alles sich schliesslich ähnlich sieht auf einem gleichförmigen, end-, ziel- und resultatlosen Fliessband, ist die Liquidierung der Erinnerung. Es ist das Vergessen. Es gibt nichts Besseres für die Austreibung der menschlichen Erinnerung als Fernsehsendungen über grosse historische Ereignisse. (Bestes Beispiel: Holocaust)

Ereignis. Die TV hat mehr und mehr Schwierigkeiten, «das Ereignis herzustellen». Auf dem Gebiet der Information gelingt es ihr noch, indem sie Wirkliches ein bisschen der Fiktion annähert (so hat das französische Fernsehen zu Beginn dieses Jahres eine Art Kriegspsychose herzustellen versucht). Auf dem Gebiet der Fiktion schafft sie es nicht mehr, es sei denn, sie trample in die Beete des Dokumentarischen, des historischen Ereignisses. Um ein Fernsehereignis zu schaffen, bedurfte es nichts weniger als den Vorstoss auf das Terrain der Nazi-Todeslager (Holocaust, siehe auch unter «Erinnerung»). Aber Holocaust war nie etwas anderes als ein Fernsehereignis und in keinem Moment und in keiner Weise ein historisches, wie man uns hat weismachen wollen.

Fernseher. Man sagt: «Hast Du, guter Freund, an den durchschnittlichen Fernseher gedacht?» Wer ist denn das? «Das ist der Typ, der den ganzen Tag krampft, nicht sehr gerne, und der am Abend müde in den TV-Fauteuil sinkt und unterhalten sein will.» Der Staat (das Fernsehen) hat sich dieser Aufgabe angenommen, und die Sprache, die er (es) führt bei seiner Unterhaltung, ist meistens die gleiche (die nach derselben Ideologie geschneiderte) wie jene des Arbeitstages.

Fiktion. Die Fiktion «fingiert» schlecht am Fernsehen. Das der Macht der Faszination und des Mythus beraubte elektronische Bild hat deshalb die Tendenz, die Grenze zu verwischen zwischen Fiktion und Dokumentarischem oder - um ein Bild zu brauchen - zwischen «Lüge» und «Wahrheit». Darum ist das Dokumentarische am Fernsehen stärker als die Fiktion. Aber in dem Mass, wie die Fiktion an Macht verliert, steigt anderes an die Oberfläche, in flüssiger Form: die Informationspartikel, die im Spielfilm in die fiktionale Textur verwoben sind. Deshalb geschieht es Leuten mit schwachem kulturellem Stand, dass sie Fiktion und Dokumentarisches vermischen, dass sie aus Fiktionen bezogene «Information» für bare Münze nehmen, und dass sie träumen, wenn sie die Informationssendungen anschauen. Und da die Stimme, die aus der kleinen Kiste kommt, «sie» sind, die Macht, die die Wahrheit sagt und sich nicht täuschen darf, sieht man, wo dieses Amalgam hinführen kann. Der informative Charakter der Fiktion bedeutet auch eine Art «Retro»-Sicht der Welt; sie ist längst überholt, in dem Masse, wie das TV-Publikum sich vor allem mit Kino-Fiktionen nährt, die mit einigen Jahren Verspätung auf ihre Entstehungszeit aufs Programm gesetzt werden.

Frage. Warum wählt man überhaupt für die Informationsbelieferung nicht die gleiche Stimme wie die Werbung, die beschwingte, einschmeichelnde, gedämpfte und sexy Stimme der Flughafen-Hostessen? Diese zusätzliche Macht, die die Stimme der Werber birgt, woher kommt sie?

Freiheit. Die Freiheit des Fernsehens, jene des Fernsehzuschauers besteht schlicht darin, abzuschalten. Welche Misere.

Garantien. Die Telefilme kosten heute ebenso viel, wenn nicht mehr als die Kinofilme (in unserem Land). Das ist eine Frage der «Garantien». Garantie des Drehbuchs, des «guten Stoffs», der «klassischen» Dreharbeiten mit grosser Equipe (Garantie der Beschäftigung), die die technische «Qualität» garantiert. Garantie der angewandten Mittel ersetzt die Idee und die Arbeit. Garantie gegen jene Verrücktheit, die irgendwie die filmische Kreation darstellt.

Geschichten. Geschichten, Geschichten und nochmals Geschichten. In Vertretung gelebte Leben.

Gesundheit. Das Fernsehen macht jenem, der lange schaut, Hunger, was merkwürdig scheinen mag auf den ersten Blick, aber sich physiologisch leicht beweisen lässt. Wer isst, beginnt auch zu trinken. Ein ganzer Abend vor dem TV-Apparat drängt zum reichlichen Konsum alkoholischer Getränke. Was nicht gut ist für die Gesundheit.

Gewöhnung. Man gewöhnt sich. Man gewöhnt sich an alles.

Godard (Jean-Luc). «Es geht nichts am Fernsehen, weil alles geht.»

Gütezeichen. Das Gütezeichen des Fernsehens ist die Speakerin neben ihrem Blumenstrauss. Von da aus entwickelt sich diese ganze technokratische Ideologie von der Bildqualität, eine andere Form von Zensur.

Ideologie. Vergleiche überall sonst.

Information. Das Fernsehen hat - vergeblich - versucht, sich eine Sprache zu erfinden. All das wurde bald völlig aufgegeben, als man begriff, dass das Fernsehen nichts mit Formen, nur mit Zeichen zu schaffen hat - und mit Inhalt. Das Fernsehen funktioniert nur auf der Ebene der Information über sich selbst und verweist, auf einer zweiten Ebene, auf Sozio-politisches. Nichts weiter. Davon kommt die Stoff-Obsession des Fernsehens; wovon man spricht, nie wie man spricht. Die Information überbordet überall, und sie ist bei der herrschenden Ideologie in besten Händen. Sie ist allgegenwärtig: in den Serien, in den Werbespots, den Nachrichten, den Fernsehfilmen. Einem liberalen Abgeordneten, der sich mir gegenüber einmal über den grossen Einfluss der Linken in den politischen Debatten beklagte, antwortete ich, dass er und die seinen doch bereits 95 Prozent der totalen Sendezeit besässen. Wollte er 100 Prozent?

Investition. «... Alles was vom Betrachter ins Bild investiert wird, mit dem Blick, dem Hirn, auch mit dem Körper, wird nicht anderswo investiert, das heisst in die sozialen Beziehungen ohne Bilder, in die Kommunikation.» (Serge Toubiana, Cahiers du Cinéma)

Konsum. «Das Fernsehen gehört im Wesentlichen in die Sphäre des Konsums und nicht in jene der Kommunikation. Damit es Kommunikation gäbe, bedürfte es des Austauschs, eines Wortes, das umgeht, fragt, eine Antwort bekommt... Doch die gesamte gegenwärtige Architektur der Medien gründet sich zuletzt auf diese Definition: die Medien sind das, was auf immer die Antwort verbietet, was jeden Austausch-prozess unmöglich macht (es sei denn in Form der Vortäuschung von Antworten, die schon in den Sendeprozess integriert sind, was an der Einseitigkeit der Kommunikation nichts ändert). Darin liegt ihre wahre Abstraktheit. Und in dieser Abstraktheit gründet das System der sozialen Kontrolle und der Macht.» (Jean Baudrillard, Pour une critique de l’économie politique du signe, Gallimard, 1972; dt. auszugsweise in «Kool Killer» oder «Der Aufstand der Zeichen», Merve, 1978)

Mehl. Die Genfer Tageszeitungen publizieren zum Wochenende die TV-Programmrubrik unter dem Titel «TV für sechs Tage». Ein wenig wie zur Zeit des Hungers, wenn man, um den Leuten Mut zu machen, sagte: «Es bleibt noch Mehl für sechs Tage.»

Mund. Wenn ein Politiker am Fernsehen spricht, deckt einmal seinen Mund mit der Hand ab und hört dabei doch auf das, was er sagt, schaut ihm in die Augen. Sie sagen oft das Gegenteil. Das Fernsehen ist eine Kunst des Mundes, und das ist nicht immer appetitlich.

Ökonomie. Zwei völlig widersprüchliche Vorschläge: Erstens, das Fernsehen müsste kostenlos sein (den Apparat eingeschlossen, man bekäme ihn vom Staat). Zweitens, man müsste jedes Mal zahlen, wenn man ihn öffnete (indem man Münzen in einen entsprechenden Schlitz steckte). Das Resultat wäre das gleiche: man würde viel weniger schauen. Und von daher könnte eine gewisse Neubewertung der Bilder kommen.

Olympiaden. Irgendwo zwischen Carter, Breschnew und Afghanistan steht die Television, die Mondovision. Wenn die Zuschauer auf den Rängen des Lenin Stadions in Moskau die einzigen wären, hätte Carter nie daran gedacht, die Spiele zu sabotieren, die aber nur dank dem Fernsehen bestehen wie übrigens das ganze olympische Business (von den Exklusivverträgen von Coca-Cola bis zur Sportbekleidung usw.; das ganze Werbegewicht ist ein Resultat der Kumpanei von Spielen und TV). Was Carter also macht, ist die Bestrafung der Masse der Fernsehzuschauer und der Geschäftemacher, die nun herumrennen und mit dem Finger auf den Schuldigen zeigen: den Russen. Der grosse universale Vermittler (das Fernsehen) erlaubt ihm diese Stellungnahme. Vielleicht können eines Tages keine Kriege mehr stattfinden, wenn es dafür keinen Platz mehr gibt im Programmraster, und man sie nicht übertragen kann.

Paradox. Das Fernsehen oder besser der Fernseh-Effekt funktioniert oft mit Paradoxen. Das erste und beträchtlichste ist die Umwandlung von Fiktion in Information. Wir haben gesehen (siehe unter «Information»), wie die Fiktion im Fernsehen Informationscharakter annimmt. Aber der globale, endgültige Effekt, der Masseneffekt, besteht in einem qualitativen Wechsel, der einem chemischen Prozess gleicht: Im Moment der Übersättigung - und der kommt ziemlich bald - verkehrt sich alle Information in Fiktion. Der wahrhaftige Zustand der Fiktion am Fernsehen tritt hier, in dieser Umkehrung, zutage, die in einer Art Fiktionierung der Welt endet. In einer fiktiven Welt.

Patronat. Es ist falsch zu sagen, die Patrons des Fernsehens seien die Patrons, die Banken, der Kapitalismus, die politischen Parteien oder was weiss ich. Der Patron des Fernsehens ist der globale Konsens, der auch das ganze Volk umfasst, dessen Geschmack und Ideen das Fernsehen eher folgt als dass es ihnen vorausgeht. So und wegen der fast völligen Ablehnung, in Bildern und Tönen zu denken, käme aus der kleinen Kiste eher der durchschnittliche, demokratische Ausdruck. Die Macht wird hier in einer Art Zirkulation erzeugt, einem circulus viciosus, der die Verantwortlichkeiten der Entfremdung in eine Art Magma auflöst, wo sich alle finden. Das Fernsehen ist eine Art nationale Brüderschaft. Wenn man sophistisch würde, könnte man sagen, dies sei möglicherweise der Anfang zier Diktatur des Proletariats.

Phasen. Es hat drei Phasen gegeben in der Entwicklung des Fernsehens und drei Arten fernzusehen. Die erste war eine Epoche der Kreativität, der Arbeit und auch ein wenig des Glaubens daran. Die zweite war jene der Entdeckung, was das Fernsehen wirklich ist; sie war begleitet von perverser Fresslust und eines Vergnügens dritten Grades, bis zur Kenntnis - und zur schnellen Erschöpfung der Kenntnis - der Codes und der Zeichen. Die dritte ist jetzt: das Möbel mit ein bisschen Fussball und einigen alten Filmen spät am Abend.

Politiker. Die Schweizer Politiker sind ziemlich schlau: sie zeigen sich nicht zu oft am Fernsehen. Wahrscheinlich leitet sie ein alter Bodensatz von Bauernmisstrauen in ihrem Benehmen. In Frankreich hat das ganze Politik-Spektakel die letzte Glaubwürdigkeit der Politiker und schliesslich der Politik schlechthin zugrunde gerichtet.

Preis. Die Fernsehsender sind enorme Maschinen, die sehr viel kosten. Das Verhältnis von Preis und Produkt ist da sehr wenig im Gleichgewicht. Wenn man das gleiche Verhältnis etwa auf dem Gemüsemarkt anwendete, würde ein Kilo Kartoffeln so um die hundert Franken kosten.

Prozentzahlen. Als man sich in den 60er Jahren über die richtige Anwendung des Filmgesetzes auseinandersetzte, befürchteten gewisse Kreise die Geburt einer «offiziellen Kunst» oder eines «Staatsfilms», wie sie das nannten. Niemand hält sich heute daran auf, dass 90 Prozent der Bilder, die der Bürger sieht, Staatsbilder sind, jene des Fernsehens.

Raster. Die Programmordnung, auf Jahre hinaus (!), heisst mit einer grässlichen Folgerichtigkeit Programm-Raster.

Reduktion. Das Fernsehen ist im Wesentlichen ein Reduktions-Phänomen.

Reflex. «Eingerichtet in seiner letzten und definitiven Phase, produziert von einer schweren bürokratischen Maschine, bekundet das Fernsehen (aller Länder) immer mehr Mühe, seinen eigenen Stoff herzustellen. Die TV-Werke sind heute viel weniger gut als früher. Die ‹moralischen› Bedingungen des Programmschaffens sind ziemlich heruntergekommen. Daher die Anleihen bei anderen schöpferischen Tätigkeitsfeldern, um das TV-Ereignis zu machen, sei es beim Fuss-ball oder in der ‹Scala› von Maikand. Immer mehr reflektiert das Fernsehen, pumpt, zweigt ab, saugt auf. Böse Zungen würden sagen, es stehle und plündere. Oder es töte. Durch sein Monopol hat es einen Prozess der Enteignung eingeleitet. «So ist das Lied nicht mehr wirklich volkstümlich, seit die Medien seine Abbildung in Form von Platten und Hit-Paraden liefern. Das Radio und das Fernsehen singen für uns, das heisst an unserer Stelle.» (Pierre Baudry, Cahiers du Cinéma) Es kommt noch besser: Die Fabrikanten von Pop-, Disco- und Rock-Platten machen ihre Video-Kassetten mit klar propagandistischem Charakter selber, und das Fernsehen übernimmt sie nur allzu gerne, froh darüber, dass es sie nicht selber machen muss. In der ganzen Unterhaltung begnügt sich das Fernsehen immer mehr mit dem von den Agenten, den Presseattaches und den Verkäufern zur Verfügung gestellten Werbematerial. Je «dicker» das Fernsehen wird, desto mehr entwickelt es schlechten Speck und gibt einem ein Ohnmachtsgefühl.

Regel (des Spiels). Der Fernsehzuschauer hat einen Status, der-an Allmacht grenzt (siehe unter «Patron»), doch gleichzeitig wird seine Macht praktisch durch die Spielregel zunichtegemacht, die jene der Medien ist (vergleiche dazu «Botschaft»).

Rentabilität. Ich weiss nicht, weshalb sich die Television dermassen um die Rentabilität seiner Programme kümmert. Warum es das «Halb-neun-Programm» als die Krone namens «grosses Publikum» (d. h. kleinster kultureller Nenner) begreift. Sie macht da die gleiche Rechnung wie der Kinodirektor, dessen Bude etwas abwerfen muss. Aber was ist denn der Profit des Fernsehens? Er ist weder ökonomisch noch kulturell. Und nun? In welchem Reglement steht die Verpflichtung, dem Geschmack einer «Mehrheit» zu schmeicheln zuungunsten der anderen? Im Westschweizer Fernsehen ist man im Namen dieser Politik in letzter Zeit in abgründige Tiefen hinuntergestiegen.

Schlafen. Die Einteilung des Publikums aufgrund seines sozialen Stands (der Frühzubettgeher oder der Spätzubettgeher, je nach Beruf und Stunde des Weckerrasselns) gibt einer eigenartigen Sicht auf die «Arbeiten) und die «Intellektuellen» statt. Glaubt man wirklich, die «Intellektuellen» sehen fem am späten Abend. Und wenn, was? Ein Quartett von Mozart in süsser rosaroter Ausleuchtung?

Seelenzustand. Wenn der Autor einer TV-Sendung oder eines TV-Films gebeten wird, seinen Seelenzustand an der Garderobe abzugeben, um sich hinter der Allmacht des «guten Stoffes» zu verstecken und ergeben dem «durchschnittlichen Fernseher» zu dienen, hinterlässt er eine Leere. Und diese Leere, die durch die Abwesenheit einer bestimmten Sprache entsteht (die man zu privat hielt, zu wenig anonym, um das Publikum - siehe unter «Zuschauer») - interessieren zu können), diese Leere wird alsogleich aufgefüllt... aber nicht mit einer kleinen Zugabe von Lust, die man dem «grossen Publikum» gönnt, sondern mit allen Zeichen der Macht.

Sonntag. Versucht (weil es offenbar viele Leute tun), einen ganzen Sonntag vor dem Fernsehapparat zuzubringen. Das ist eine ziemlich fürchterliche Erfahrung.

Sport. Jedermann ist einverstanden: am besten kommt am Fernsehen der Sport an. Dafür gibt es zwei offensichtliche Gründe. Erstens hat der Sportkeinen Inhalt. (Klar hat er einen, aber erst auf der zweiten Ebene: eine Spur «Opium für das Volk» und die ausserordentliche Nichtsnutzigkeit von Palavern über Sport.) Aber im Moment der unmittelbaren Sport-Geste gibt es keinen Inhalt. Zweitens hat er eine Form, die schon vorliegt und die noch die schlechteste Aufzeichnung nicht verdecken kann. Ein Läufer, der von A nach B läuft, ist beinahe eine definitive Form. Weil da kein Inhalt, nur eine Form vorliegt, ist das Fernsehen weniger der Zensur der Codes und der Zeichen unterworfen, auf die es sonst immer stösst, wenn es sich von Inhalten lösen und Formen herstellen will.

Stimme. Das Fernsehen ist (siehe auch unter «Mund» und «Ton») ein Medium des Worts, der Stimme in und off. Die in Dokumentarfilmen und Reportagen allgegenwärtige Off-Stimme bedeutet (für die TV), dass die Bilder nicht genügen, dass sie nicht alles sagen, oder oft gar, dass sie nichts sagen, und man sie alles sagen lassen kann, was man will. Eine Anekdote: Als ich zusammen mit einem Journalisten für das Westschweizer Fernsehen eine Reportage machte, sagte der einmal zu mir: Ich gehe ins Hotel zurück, um meinen Text zu schreiben; mach mir noch ein paar Bilder, die ich zwischen die Interviews platzieren kann. Welche Bilder? Nicht wichtig; was du eben findest. - «Die Off-Stimme ist eine doppelte Pfropfung. Man pfropft einen stärkeren Ton auf einen schwächeren und auf Bilder, so dass der erstere zum Leitton wird, zum Hauptwert, der die anderen bewertet, mit einem Zeichen mehr oder einem Zeichen weniger. So installiert sich eine Hierarchie der Töne und der Stimmen, die sich in einem Wortapparat bereitstellen, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers aufzurufen und sein sehendes Bewusstsein zu fesseln. Andere Pfropfung: Der Off-Gedankengang begreift den Film als eine mimetische Methode und gibt ihm einen Ort zum Sprechen. Und ein Off-Diskurs, der in einem Film die Macht übernimmt, riskiert, in der Realität völlig machtlos zu sein. Die Macht, die er in einem Film an sich gerissen hat (im Auge des Zuschauers), darf sich auf den Geleisen der Macht schlechthin wähnen, weil sie bei der Darstellung nicht abgedämmt worden ist. (Serge Toubiana, Cahiers du Cinéma)

Störungen (Sehstörungen). Eines Tages an einem Fussballspiel im Stadion wunderte ich mich, einen Sekundenbruchteil lang, aber völlig aufrichtig, warum das Tor, das eine Mannschaft eben erzielt hatte, nicht gleich von den Spielern in Zeitlupe wiederholt wurde.

Ton. Am Fernsehen geht die ganze Botschaft durch den Ton. Die Bilder, fürchterlich entwertet durch die Vielzahl und die Dichte, haben keine Bedeutung. Überdies gleichen sie sich alle infolge der Feigheit jener, die sie machen und der strikten Zensur auf dem Gebiet der Zeichen. Man hat sie aus dem immer gleichen Teig «genommen». So ist der Zuschauer nicht eigentlich den Bildern ausgesetzt; er schaut sie an, weil sie da sind. Aber was umgeht, ist der Ton. Darum ist die Stille der Feind Nummer eins des Fernsehens: das Loch. Bei einer Bildstörung schiebt man ein Insert ein und spielt Musik ab. Aber eine Tonpanne schafft eine Art Panikgefühl. Das Fernsehen ist also ein Radio, aber eines, wo man hier sein muss und nicht anderswo. Ein grosser Teil der Konditionierung durch die TV geschieht durch dieses Hier im Fauteuil in der Stube. Aber wer Ton sagt, sagt im wesentlichen Wort, Wörter. Das Fernsehen ist eher ein Wörterfluss als ein Bilderfiuss: hört euch das unausstehliche Blabbern der Fussballreporter an, das den ganzen Ton zudeckt, der sehr schön sein könnte, von den Spielern auf dem Feld und von den Zuschauern. Die Einbildungskraft der Bilder existiert am Fernsehen nicht mehr, jene des Tons ersetzt sie. Wenn ihr einen Film gesehen habt im Kino, gehen euch die Erzählung und die Bilder durch den Kopf. Nach einem Fernsehabend könnt ihr euch dabei überraschen, wie ihr auf ein imaginäres Interview antwortet.

Tonlage. Alle, die am Fernsehen sprechen, geben sich Mühe, den Ton des mittleren Bürgertums anzunehmen. Und ihr Vokabular.

Trugbild. Das Fernsehen ist der Ort des Trugbilds.

Unterschied. Elektronischer Pointilismus oder photographisches Bild. Geometrie des Blicks in Bezug auf die Schirme und ihre Abmessungen. Magie, Faszination und gleichgültiger Verbrauch. Kinosaal, voll oder leer, und Wohnzimmer mit angegliederten Aktivitäten. Kaltes Bild und heisses Bild. Staatliche Kontrolle und ökonomische Kontrolle mit ihren Rissen. Oft grundsätzliche Unterschiede. Werft das Bild der TV-Ansagerin auf eine Kinoleinwand. Befremdliches Resultat und Komik garantiert.

Utopie. Das Fernsehen hat heute einen ganzen Sektor des Films ersetzt, jenen, der die kleinen B-Serienfilme produzierte. Man träumt, es könnten heute anstelle der düsteren TV-Feuilletons wieder ganz kleine, schnell hingeworfene, nicht teure, heftige Krimis gemacht werden, in einem System, in dem man immer arbeiten könnte. Träume...

Video. Es hat immer ein «Komplott» gegen die Kommunikation gegeben. Und speziell gegen das Bild. Und noch mehr gegen das Video, das durch das Monopol der TV-Anstalten niedergehalten und in einer zweiten Etappe mit all seinen Möglichkeiten erstickt wird. Kaum war das kleine Halbzoll-schwarzweiss-Sony praktisch von jedem zu bedienen, dekretierte das Fernsehen die Notwendigkeit der Farbe und verordnete technische Normen, die schwerere Ausrüstungen und grössere Equipen nötig machen als der 35-mm-Film. Was hat nur das Fernsehen mit dem ausserordentlichen Video-Potential angestellt? Mit seiner Leichtigkeit, seiner Handlichkeit, seinen unendlichen Trickmöglichkeiten? Alles, was in Video an Interessantem gemacht wird, geschieht ausserhalb des Fernsehens (Armand Gatti, Godard usw.) und wenn das Fernsehen selber einsteigt mit Video-Sendungen aus dem grossen Studio, wähnt man sich in der Confiserie. Im Übrigen bedienen sich unsere Gesellschaften des Video ausschliesslich zu Überwachungsaufgaben (Bespitzelungen im Laden und auf der Strasse) und jetzt auch zum Verkauf von Pornographie. (Die Videokassetten, das kommt, das kommt...)

Waffe. Als Waffe der Macht betrachtet, ist das Fernsehen im Wesentlichen eine Abwiegelungs- und Zerstreuungswaffe.

Werbung. Die Werbespots funktionieren auf zwei Ebenen: schlicht kommerziell einerseits (verkaufsfördernd), massiv ideologisch andererseits (einen ganzen Lebensstil, ein ganzes angemessenes Benehmen verkaufend). Gemäss ihrer Warenlogik verlangen - und bekommen wohlverstanden - die Werber die zuschauerintensivsten Zeiten. Sie werden noch mehr verlangen und bekommen. So webt sich, vermischt mit den Informationssendungen, ein starkes von Ideologie geprägtes Propagandanetz. Einer demokratischen Logik folgend könnte man die gleichen Stunden auch der «beherrschten Ideologie» zuteilen, die zum Beispiel fordern könnte, diese Zeit mit Stille zu füllen oder mit sehr einfachen, möglichst statischen, aber immer stummen Bildern.

Wert. «... wir kommen auf die These Baudrillards zurück: die Rentabilisierung durch die Zuschauerzahl gehorcht Forderungen des Mediums selbst, das seinem Zuschauer die Aneignung eines imaginären Werts von Sinnproduktion vorschlägt. Doch während man im Kino seine Karte bezahlt für zwei Stunden Unterhaltung und das vorzeitige Verlassen des Saals einen Verlust darstellt, kostet es, wie man so sagt, gleichviel, ob man beim Fernsehen zuschaut oder nicht. Darüber hinaus ist das TV-Wort abgewertet und entwertet, verfallen (der Zuschauer gibt diesen Verfall offen zu mit seinem Mangel an Hingebung: man geht herum, spricht von anderem...). Anders gesagt, man kann annehmen, dass diese These auch andersherum funktioniert: Man verliert nichts, wenn man nicht TV schaut. Zur gleichen Zeit, da die TV imaginäres Transportmittel eines Werts ist und sogar dieser Wert wird, ‹fällt› dieser Wert.» (Pierre Baudry, Cahiers du Cinema)

Zuschauer. Den Zuschauer, die Zuschauer gibt es nicht. Er ist eine völlig willkürliche und demagogische nach politischer Vorstellung des Publikums stinkende Einheit. Das Publikum gibt es auch nicht. Das ist gleichzeitig jedermann und niemand. Man muss sagen: ein Zuschauer. Er, ein Individuum, Mitbürger, Bruder (wer weiss) und dann noch einer und noch einer, getrennt, was schliesslich das einzige mögliche Publikum gibt: Zuschauer, und nicht die Zuschauer.

Zweifel. Der Ausdruck des tiefen Zweifels ist heute grundlegend für unser Denksystem, welche Form auch immer wir ihm geben. Das Fernsehen aber darf nicht zweifeln. Es muss wissen in seiner Monopol- und Machtposition. Daher die Langeweile seines Diskurses, die Plattheit und der Eindruck von wenig Wahrheit, der sich einstellt.

Zylinder (zum Ende des Alphabets, um abzuschliessen). Was kann man tun, von hier aus? Eine reservierte Haltung einnehmen ist sicher nicht genug. Hineingehen und mitmachen? Das wäre absurd angesichts der bestehenden soliden Strukturen. Jedenfalls müssen wir sehen, wie schwer diese Maschine ist und wie ihre Bindung an die Macht eine Art «Negativitäts-Potential» verleiht, das nur schwer umwandelbar ist. Aber wenn man ein bisschen genauer hinsieht (was hier versucht worden ist), merkt man, dass diese Maschine doch eine gewisse Nachfrage an uns richten könnte und dass wir ihr irgendwo entsprechen könnten, aber indem wir unsere eigenen Begriffe wenn immer möglich durchsetzen. Abgesehen von ganz präzisen (sozio-politischen) und selten sich bietenden Umständen ist es, glaube ich, nutzlos, um jeden Preis in den Diskurs des Fernsehens seine «kleine Botschaft», so humanistisch sie auch sei, einzubringen. Sie wird in der generellen Logorrhöe absorbiert und aufgelöst werden. Und also? Kinofilme mit dem Fernsehen produzieren? Gewiss, wenn die Bilder den gewöhnlichen Naturalismus durchbrechen und dem Fernsehen ein bisschen «Bestürzendes» bringen und zugleich eine Finanzhilfe für den Kinofilm herausschaut. Aber was mir schliesslich am interessantesten scheint, ist die Herstellung von Bildern, die sich nicht unbedingt direkt an den Zuschauer richten, sondern an das Medium selbst, weil das Medium die Botschaft ist.

Das Fernsehen funktioniert durch den unendlichen Fluss seines Diskurses, durch sein massives und immer gleichmässiges Wesen, was auch immer die Natur einer einzelnen Sendung sei. Und durch seinen völlig «eingefrorenen», starren Zug, seine Inszenierung und Rasterung, seine Technik. Deshalb sind seine überraschendsten - interessantesten und lustigsten - Momente, wenn die Maschine entgleist, über einen Zwischenfall stolpert: Die Ansagerin beginnt zu faseln; der erstaunte und dann unruhige Blick des Präsentators, wenn ein Film nicht «abfahren» will; ein Studiogast, der das Höflichkeitsspiel nicht mitspielt, sich schlicht betrinkt und stockbesoffen von der Szene geführt werden muss (Charles Bukowski am französischen Fernsehen). Da beginnt man zu verstehen, weil es sonst immer so kompakt daherkommt, wie zerbrechlich das TV-Bild doch im Grunde ist. Ein Nichts kann es durcheinanderbringen. Damm müssen die Bilder, die man für die TV macht, sich mehr an die TV selber wenden (an die kleine Kiste) als an den Zuschauer. Sie müssen, sobald sie auf dem Bildschirm erscheinen, das Fernsehen zu sich selbst befragen, indem sie sich in das formlose TV-Gewebe einfressen, um es durcheinander zu bringen. Ich denke hier natürlich auch an die Spots, die Bob Wilson für das Fernsehen gemacht hat. Man könnte sich demnach vorstellen, dass die Filmemacher enorme Mengen (365 pro Jahr) von ganz kleinen Filmchen (maximal drei Minuten) herstellten, die irgendwelche beliebige Sujets enthielten, sich aber um die Stille kümmerten, die im Programm nicht angekündigt würden, keine Titel hätten, keinen Vorspann, keine Autorennamen, die aber zu den Hauptsendezeiten gesendet würden. Das ist ein konkreter Vorschlag. Das Fernsehen würde sich so endlich Fehler leisten. Und man sähe ganz kleine Sauerstoffblasen steigen.

Übersetzung: Martin Schaub

Alain Tanner
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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