HANS M. EICHENLAUB

BESCHREIBUNG EINER INSEL

ESSAY

Ich bin da oben geboren, und mein Vater und mein Grossvater haben schon hier gearbeitet. Ganz früher waren die meisten von Belluno. Und wir waren hier oben immer etwa 20 bis 25 Familien, und alle hatten zwei bis drei Kinder, und wir gingen alle miteinander zur Schule. Später kamen dann Spanier, und man lebte hier oben so richtig wie eine Gemeinschaft. Die Ausländerfühlten sich gar nicht als Ausländer, weil hier oben Italienisch und Spanisch gesprochen wurde; die mussten gar nicht Deutsch sprechen. Es war einfach, als wären sie zu Hause.

So beschreibt Johanna Larentis den Steinbruch Guber, hoch über dem Vierwaldstättersee und über Alpnach-Dorf den einzigen Steinbruch nördlich der Alpen, der die für Altstadtsanierungen heute begehrten Pflastersteine produziert. Hans-Ulrich Schlumpf hat den Guber und seine Menschen besucht und ihre Arbeit, ihren Alltag filmisch festgehalten. Guber - Arbeit im Stein gehört zu den von der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde produzierten Filmen über aussterbende Handwerksformen (wie Champions Le Moulin Develey und Yersins Die letzten Heimposamenter). Auch die Arbeit der Steinspalter und Steinrichter ist in ihrer Weiterexistenz bedroht; die ausländische Konkurrenz liefert die Steine billiger.

Schlumpfs Film ist jedoch weit mehr als ein nur musealen Zwecken dienendes Dokument. Über die — sogar spannend gestaltete - Darstellung des sterbenden Handwerks hinaus bringt der Film dem Zuschauer die Menschen näher, die hier in der Abgeschiedenheit arbeiten und leben: Portugiesische und spanische Fremdarbeiter, die als Saisonniers nach neun Monaten wieder zu ihren Familien nach Hause fahren, machen Dreiviertel der Belegschaft aus; die Italiener, die seit Jahren oder gar seit zwei bis drei Generationen hier arbeiten, sind Schweizer geworden. Rund 50 Leute arbeiten im Guber, am Stein, an der Transportbahn und in der Schmiede, aber nur ein kleiner Teil von ihnen wohnt in dem kleinen Dorf, das unmittelbar neben dem Steinbruch entstanden ist, und das so etwas wie eine südliche Enklave gewesen ist zurzeit, als Johanna Larentis geboren wurde.

Einfühlsam und mit Respekt begegnet Schlumpf der fremd wirkenden Landschaft, der aussergewöhnlichen Arbeit und eigenartigen Mentalität dieser aus dem Nebel über dem Vierwaldstättersee aufragenden Insel. Er entdeckt Menschen, für die «Arbeit» eine andere Bedeutung hat als für uns und für den Industriearbeiter in den Städten. Dazu Schlumpf: «Das Wort ‹Arbeit› löst bei den meisten Städtern nur negative Gedanken aus, man denkt unwillkürlich an entfremdete Arbeit. Am Beispiel des Steinrichters Gildo Collet kann man erfahren, was Würde der Arbeit und Stolz des Arbeiters heissen kann. Der Italiener Gildo Collet hat allerdings im Guber seine Heimat gefunden, für ihn ist die Situation anders als für die Saisonniers. Sein Können ist ihm eigen, nicht fremd. Seine Schlauheit überwindet Schlag für Schlag die Tücken des Steins. Kopf und Hand spalten Steine, sie selbst sind nicht gespalten.»

Guber - Arbeit im Stein: P: Schweiz. Gesellschaft für Volkskunde, Basel, und Nemo Film AG, Zürich; R: Hans-Ulrich Schlumpf, nach einer Idee von Paul Hugger; M: Manolo Escobar, Zamponas Bolivien, aufgenommen von Hans Büchler; T: Hans Künzi; K: Pio Corradi; Schnitt: Fee Liechti; Kommentar: Hans-Ulrich Schlumpf, gesprochen von Regine Bébié; Verleih: Film-Pool. 16 mm, Farbe, 53 Minuten.

Hans M. Eichenlaub
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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