BERNHARD GIGER

AM ZIEL

ESSAY

Seine Mutter hat ihm gesagt, dass er später einmal ein Spieler oder ein Vertreter werde. Sie hat ihn richtig eingeschätzt: Heute reist er durch Deutschland West wie der Vertreter einer besseren Firma, trägt Massanzüge, fährt einen goldenen Mercedes. Aber er ist nicht Vertreter, sondern Spieler geworden. Wenn man es nicht sehen könnte, würde man es vielleicht gar nicht glauben - der neununddreissig Jahre alte Diethard Wendland, der überhaupt nicht aussieht wie die Spieler, die man in den amerikanischen Filmen kennengelernt hat, ist unterwegs, Deutschlands Geldautomaten zu plündern. Was er macht, ist nicht verboten, nur ungewöhnlich. Er hat geschafft, was andere ein Leben lang ohne Erfolg versuchen, er hat den Spielautomaten überlistet, er ist besser geworden als der leuchtende Kasten an der Kneipenwand, er hat das Spiel mit dem Glück durchschaut - der ehemalige Kaufmann, der Angestellte, hat sich des Kleinbürgers schönster Traum erfüllt.

Die, die noch nicht ausgeträumt haben, beobachten ihn, fragen nach seinem Geheimnis, beneiden und verehren ihn. Die Wirte, die am Gewinn der Automaten beteiligt sind, sehen ihn nicht gern kommen; er bringt sie um ein Nebengeschäft, für das sie sich die Hände nicht schmutzig zu machen brauchen. Dann und wann stellt ihn einer vor die Tür. «Ich muss mir in jeder Wirtschaft alles bieten lassen», sagt Wendland: man liebt es gar nicht, dass sich einer erfüllt, wovon andere nur träumen können.

Manfred Stelzer und Johannes Flutsch haben Wendland auf seiner Geschäftsreise durch Deutschland begleitet, sind mit ihm herumgefahren, haben ihn bei der Arbeit beobachtet und beim Geldzählen in der Nacht. Sie haben einen kennengelernt, der einsam ist, einsamer noch als die, die ihn um sein Glück beneiden. Die können wenigstens noch in Ruhe ihr Bier trinken, können in der Kneipe, wenn die Arbeit, die Familie oder die Steuerrechnung sie kaputtmacht, ihre Wut austoben. Wendland kann sich nicht einmal eine Frau leisten, das Geschäft lässt dies nicht zu, eine Frau, sagt er, sei das Geld, das er verliert, wenn er nicht spielt, nicht wert.

Manfred Stelzer und Johannes Flutsch haben einen Film gemacht über das Glück, das nicht glücklich macht. Sie haben einen Film gedreht über die Liebesbeziehung zwischen einem Mann, der sich - nach dem Automaten, auf dem er früher geübt hat - Monarch nennt und einem Automaten, der Mint heisst. Die Beziehung, die da beschrieben wird, ist ohne Zärtlichkeit, auch wenn der Mann seine Geliebte keineswegs brutal anfasst. Da geht es nur noch um das eine, um den persönlichen Vorteil, ums Geld. Monarch ist ein Film über das Ende eines Traumes. Er habe, sagt Wendland, kein Ziel. Das kann er, in dieser Umgebung, gar nicht haben, weil er es schon erreicht hat. Monarch ist ein Film über die Einsamkeit.

Monarch: P: Regina Ziegler Filmproduktion Berlin; R. B. K. S: Manfred Stelzer, Johannes Flutsch; V: Filmverlag der Autoren (BRD), Cactus-Film (Schweiz). 16/35 mm, Farbe, 85 Minuten.

Bernhard Giger
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]