JÖRG HUBER

NOTIZEN ZU EINEM LEHRSTÜCK

CH-FENSTER

Am Ethnologischen Seminar der Universität Zürich sind drei Gruppen im Bereich der Community media-Arbeit tätig.

Ein Team befasste sich mit Fragen der Jugendkultur in der Stadt Zürich und dokumentierte dabei mit Video den Aufstand der Jungen. Das Band wurde mit grossem Erfolg an einer W der Jugendlichen im Volkshaus gezeigt.

Erziehungsdirektor Gilgen zweifelte daraufhin die Wissenschaftlichkeit der Arbeit an - er verbot weitere Aufführungen des Bandes und strengte die Konfiszierung des Materials an -und sprach von politischem Missbrauch von Forschungsmaterial. Als Folge erteilte die Hochschulkommission der Philosophischen Fakultät I den Auftrag, «die wissenschaftlichen Zielsetzungen und Methoden aller unter der Betreuung von Prof. Löffler stehenden Lehraufträge im einzelnen zu überprüfen». Der Bericht, der die geleistete Medienarbeit grundsätzlich unterstützt, wurde von 34 Professoren positiv, von 15 negativ beurteilt, wobei sich 30 der Stimme enthielten. Im Folgenden zitiere ich einige zentrale Passagen aus dem Bericht:

Das Studium und die Dokumentation aktueller politischer Konflikte ist ein legitimes wissenschaftliches Anliegen. Die politischen Behörden eines demokratischen Staatswesens sollten an wissenschaftlichen Materialien, die auch ihnen selbst wichtige Entscheidungsgrundlagen liefern können, interessiert sein und daher die Durchführung entsprechender Untersuchungen und Dokumentationen nicht behindern.

Die Freiheit der Wissenschaft und Forschung ist nach Ansicht der Fakultät verfassungsmässig implizit im Rahmen der in der Bundesverfassung genannten Gewissens- und Pressefreiheit gewährleistet; im Rahmen dieser Freiheit sind auch solche sozialwissenschaftlichen Studien vor staatlichen Eingriffen oder Pressionen zu schützen, welche sich kritisch mit diesen staatlich-gesellschaftlichen Ordnungsformen befassen bzw. Gruppen zum Forschungsobjekt wählen, die sich in diesem staatlich-gesellschaftlichen Ordnungsgefüge marginalisiert fühlen (Alternativkulturen). Zur Videotechnik als Mittel der teilnehmenden Beobachtung gehört, dass überprüft wird, ob die filmische Darstellung von der untersuchten Gruppe als ihrem Selbstverständnis angemessen bezeichnet wird. Die Projektgruppe «Jugendkultur» führte diese Überprüfung durch, doch gab gerade dies in der Öffentlichkeit Anlass zu Missverständnissen. Es sollte deshalb klar festgehalten werden, dass eine Zusammenarbeit der Projektgruppe mit den an der Demonstration beteiligten Mitgliedern der «Aktionsgruppe Rote Fabrik» bei der Herstellung des umstrittenen Filmstreifens methodenkonform ist; sie gehört zum Arbeitsprozess der Video-Methode.

Ebenfalls zum Arbeitsprozess ist derjenige Schritt zu zählen, der die Kontroverse auslöste: Die Vorführung des Films im Volkshaus. Der untersuchten Gruppe wird dadurch die Möglichkeit geboten, sich selbst mittels dieses Films der eigenen Subkultur und einer weiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Von einem Missbrauch von Forschungsmaterial kann mithin kaum die Rede sein.

Am Schluss des Berichts heisst es:

Diese Überlegungen veranlassen die Fakultät, der Hochschulkommission die Fortführung der Lehrveranstaltung «Community-Medien» im Wintersemester 1980/81 zu empfehlen.

Als Antwort verlangte die Hochschulkommission weitere Ergänzungsberichte, forderte, dass die einzelnen Veranstaltungen begleitet werden und jeweils am Semesterende Rechenschaft abgeliefert werde und entzog ohne Begründung Heinz Nigg für das Wintersemester 80/81 den Lehrauftrag.

Auf dem Hintergrund einer breiten ideellen und finanziellen Unterstützungskampagne und unter dem Patronat des VSU können das Seminar und die einzelnen Projekte jedoch weitergeführt werden - ausserhalb des offiziellen Lehrplanes natürlich und mit eigenen Geräten, als Zeichen, dass trotz Hochschulkommission Lehren und Lernen möglich sein kann.

Jörg Huber
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(Stand: 2020)
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