HEINZ NIGG

VIDEOWORKSHOP 1981 — AUSSTELLUNGSKONZEPT VON PETER MÜNGER UND JEAN RICHNER FÜR DIE STÄDTISCHE GALERIE ZUM STRAUHOF IN ZÜRICH

CH-FENSTER

Fernsehen selber machen. Auch Du kannst eine Videokamera in die Hand nehmen und Deine Meinung zu dem, was Dich betrifft, äussern!

Das war die zündende Idee in den Köpfen der ersten Videoaktivisten, die vor mehr als zehn Jahren in Kanada und den USA mit dem neuen Medium zu experimentieren begannen. Wer hätte damals gedacht, dass wir nun heute mit einem richtigen Video-Boom konfrontiert sein würden. Es gibt kaum mehr ein Radio- und Feensehgeschäft, das neben der üblichen Auslage nicht auch einen oder mehrere Video-Kassettenrekorder für den Hausgebrauch anpreist. Natürlich steht nicht das Selbermachen im Vordergrund, sondern der totale Konsum. «Sehen Sie noch einmal die spannendsten Momente der Olympiade!» Mittels eines Zeitsteuerungsmechanismus kann sich nun jeder seine Lieblingsgerichte aus dem Fernsehmenu-plan herauspicken und sie in aller Ruhe gleich mehrmals gemessen.

Neben dem sogenannten «Consumer-Video» hat sich das neue Medium ganz unauffällig einen festen Platz in der polizeilichen und betrieblichen Überwachung erobert. Ebenso in der Managerschulung und im Verkäufertraining. Erst in Ansätzen konnte sich die ursprüngliche Funktion von Video als Mittel der Kommunikation in Selbstbestimmungsprozessen durchsetzen: In der Stadtteilarbeit, in Bürgerinitiativen, in der Jugendarbeit, in Parteien und Gewerkschaften. An den Universitäten hat Video ebenfalls Einzug gehalten: In der Psychologie und der Pädagogik zur Selbsterfahrung und Beobachtung, in den Sozialwissenschaften als Mittel der Aktionsforschung, in den Naturwissenschaften zur Dokumentation von Experimenten. Im Schulunterricht wird Video zur Veranschaulichung von Informationen gebraucht, und in der Kunst sind Experimentatoren und Ausdruckskünstler damit beschäftigt, die ästhetischen Möglichkeiten des Mediums auszuschöpfen. Die Anwendungsmöglichkeiten von Video sind heute so vielfältig und mit so vielen Gefahren der Manipulation verbunden, dass es für die breitere Öffentlichkeit nun höchste Zeit wird, sich mit den potentiellen Auswirkungen dieser modernen audio-visuellen Technologie auf unsere Gesellschaftsstrukturen auseinanderzusetzen.

Dass nächstes Jahr eine solche öffentliche Auseinandersetzung in Zürich möglich wird, ist der Initiative von Peter Münger und Jean Richner zu verdanken, die für die städtische Galerie zum Strauhof ein Ausstellungskonzept zum Themabereich «Video» ausgearbeitet haben. Es ist den beiden Videospezialisten ein Anliegen, nicht nur die sogenannte «Video-Kunst» zur Darstellung zu bringen, sondern das Medium in seiner ganzen Komplexität zu erfassen. Ab 6. Mai 1981 soll zu diesem Zweck während 10 Tagen im Strauhof ein Videoworkshop durchgeführt werden, an dem sich die Besucher beteiligen und Erfahrungen mit der Handhabung von Videogeräten sammeln können. Geplant ist eine Ausstrahlung der im Workshop spontan entstandenen Produktionen durch das Kabelnetz der Rediffusion. Im Weiteren soll ein kleiner Kabelfernsehversuch in der städtischen Grossüberbauung «Hardau» durchgeführt werden. Falls dies gelingt, wären dies die ersten lokalen Kabelfernsehversuche in Zürich überhaupt. Die Präsidialabteilung der Stadt Zürich hat für die Realisierung des «Videoworkshop 1981» grünes Licht gegeben und einen namhaften Betrag zur Verfügung gestellt. Ursprünglich war die Ausstellung auf den Herbst 1980 angesetzt. Die Verhandlungen mit der Präsidialabteilung waren aber über Monate so schleppend verlaufen, dass nun der Videoworkshop auf das Frühjahr 1981 verschoben werden musste. Offenbar wollte die Stadt das Projekt hinauszögern, bis «das Wort Video etwas von seinem Schrecken verloren habe...» (U. P. Müller, Abteilungssekretär der Präsidialabteilung, in: Basler Zeitung, 2.7.1980).

Die beiden Initianten und Organisatoren der Ausstellung legen Wert darauf, dass möglichst alle Videointeressierten bei der Ausarbeitung des Feinkonzepts und bei der Durchführung des Workshop ihre Ideen und Anregungen in den kreativen Gestaltungsprozess einbringen. Auch sind sie dankbar für Hinweise, wie weitere finanzielle Mittel für das Rahmenprogramm (Kabelfernsehversuche) aufgebracht werden können.

Interessierte melden sich bei:

Peter Münger, Zimmergasse 8, 8008 Zürich, Tel. 25130 40; oder:

Jean Richner, Josefstrasse 106, 8005 Zürich, Tel. 4485 77.

Das Projekt

Mit den vorliegenden Ausführungen soll in kurzen Zügen die Konzeption einer Ausstellung skizziert werden, in der von einem medienkritischen Standpunkt aus Möglichkeiten und Grenzen des Mediums Video einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen versucht wird.

1. Erdgeschoss: Kleiner Raum: Didaktisch orientierte Einführung in das Medium, Abgrenzungen und Anwendungsbereiche. Praktisch realisiert mittels Videotapes, ergänzt durch Schrift- und Bildtafeln.

– Historischer Überblick und Einführung

– Beziehung von Fernsehen und Video

– Beziehung von Video und Film unter technischen, gestalterischen und kulturpolitischen Aspekten.

Anwendungsbereiche und Einsatzmöglichkeiten der Videotechnik.

2. Erdgeschoss: Grosser Raum. Video-Workshop:

Bereitstellung einer leicht bedienbaren Videotechnologie, die dem interessierten Besucher auf einem einfachen Anspruchsniveau an Ton und Bild die Möglichkeit bietet, den praktischen Umgang mit dem Medium zu erproben.

– Technische Infrastruktur zur Verarbeitung von Produktionen (Videomontage, Tonbearbeitung usw.), die im Rahmen der Ausstellung realisiert werden.

3. Im 1.Stock: In den verschiedenen Räumen werden Video-Installationen (sog. «Closed Circuit»-Installationen mit einer oder mehreren Kameras und Monitoren bzw. Projektoren) und Video-Skulpturen (Video-Objekte bzw. Räume, die in mittelbarem oder unmittelbarem Bezug zu festinstallierten Videotapes) stehen. Ausserdem soll die Idee dieser Kunstform anhand von Zeichnungen, Photos und evtl. Modellen vermittelt werden. Die vorhandenen Räume werden mit Installationen und Skulpturen besetzt werden, die als Resultat einer Ausschreibung unter Schweizer Künstlern zu ermitteln sind. Alle eingereichten Arbeiten sollen ausserdem in einer katalogähnlichen Form an der Ausstellung präsentiert werden.

4. Räume im 2.Stock: Den Schwerpunkt in diesen fünf Räumen bildet eine Videothek. In einigen Räumen werden Video--Art-Tapes einheimischer und international anerkannter Video-Art-Künstler zu sehen sein. Ein Raum ist für die Projektion der während der Ausstellung realisierten Tapes vorgesehen. In einem Raum liegen Publikationen zum Thema Video auf.

5. Zusammenarbeit mit dem Fernsehen DRS: Anzustreben sind Aktionen in Zusammenarbeit mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. So können beispielsweise TV-Manipulationen realisiert werden, d. h. absichtlich ins ordentliche Programm eingebaute Bild- und Tonstörungen, durch die dem Zuschauer seine Seh- und Erlebnisgewohnheiten vor dem Bildschirm bewusstgemacht werden. Denkbar sind auch Eingriffe in die Tagesschau. Im Weiteren können im Sinne von Aktuelle Kunst in die Wohnstube! oder Die Wohnstube zur Kunsthalle! entsprechende Video-Art-Tapes ausgestrahlt werden, wie auch Tapes, die die Eindimensionalität des Fernsehens zum Thema haben (Acconci, Davis usw.).

6. Alternatives Kabelfernsehen im Stadtteil:

– Realisierung eines alternativen Stadtteilfernsehprogramms und Verteilung über bestehende öffentliche und private Kabelnetze.

a) In der städtischen Grossüberbauung Hardau werden über die siedlungseigene Verkabelung Programme ausgestrahlt, die von Animatoren (Ethnologen, Sozialarbeitern usw.) betreut und von den Bewohnern selbst angeregt und geschaffen werden sollen. Ziel soll die Verminderung von Anonymität und Vereinsamung und die Förderung neuer sozialer Bezüge unter den Betroffenen sein.

b) Einspeisung der im Rahmen der Ausstellung realisierten Programme in die Kabelnetze der örtlichen Kabelkonzessionäre (z.B. REDIFFUSION).

7. Bürgervideo, Video uf de Gass: Medienarbeit, in der das Video die ausgeprägteste Alternative zu den bestehenden Massenmedien darstellt: Einsatz in der kommunalen Informationsarbeit, als Sprachrohr von Bürgerinteressen, Herstellung von Gegenöffentlichkeit usw. Gestützt und ausgehend von dem erwähnten «Video-Workshop» ist vorgesehen, mit bereits konstituierten (z.B. Schulklassen) oder sich ad hoc bildenden Gruppen bedürfnis- und betroffenheitsorientiert Videoproduktionen zu realisieren. Ein fachlich qualifizierter Animator begleitet diese Aktivitäten und ist auch für die Verarbeitung der Bänder besorgt. Die Resultate werden in der Videothek des STRAUHOFS vorgeführt, aber nach Möglichkeit auch über die bereits erwähnten Verteilungskanäle (öffentliche und private Kabelnetze und Fernsehen DRS) Verbreitung finden.

8. Parallelveranstaltungen in anderen Kunstinstituten: In Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Zürich sind Aufführungen von Video-Art-Tapes und die Organisation von Video-Performances vorgesehen. Das Kunsthaus Zürich beabsichtigt, seine Ausstellungstätigkeit in Zukunft kontinuierlich durch Vorführungen von Video-Art-Tapes zu bereichern und zuhanden der Öffentlichkeit eine entsprechende Art-Tape-Videothek zu schaffen. Angestrebt wird in diesem Zusammenhang ausserdem eine entsprechende Zusammenarbeit mit dem Kunstgewerbemuseum bzw. der Kunstgewerbeschule.

Im Auftrag der Präsidialabteilung: Peter Münger, Jean Richner, 4.6.1980

Heinz Nigg
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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