SILVANO SPERANZA

«ICH HASSE, ICH MAG...»

CH-FENSTER

Die Peter-Rogger-Combo, eine Formation von Amateurmusikern, dient dazu, ein schweizerisches Zeitbild (!) zu zeigen. Die vier Musiker werden nicht nur auf der Bühne als Unterhaltungsmusiker gezeigt, sondern als Menschen, welche die Musik und vor allem das gemeinsame Spielen und Erleben als Ergänzung zu ihrer Berufsarbeit und zu ihrem Familienleben brauchen. Musik bildet den R ahmen. Innerhalb dieses Rahmens spielt sich schweizerisches Leben ab. Durchschnittsleben wohl sogar (!), zwischen Wohlstand und Broterwerb. Sie sprechen über ihre Beziehung zum Beruf und zur Gesellschaft, über ihre Stellung im politischen und sozialen Umfeld, überheben und Sterben. Auch die Familien werden einbezogen, die Frauen, die Kinder, die Verantwortung gegenüber einem behinderten Kind, die Wohnungen, die Häuser, die Freizeit. Konfrontationen finden statt, provozierend zum Teil, die zu einer Antwort herausfordern.

Bruno Moll im Programmheft der Solothurner Filmtage 1981.

Wenn ein engagierter Film plötzlich nicht mehr kritisiert, keine Stellung nimmt, nicht anprangert, nicht anklagt, sondern, wie in Samba Lento, die Hauptdarsteller sich selbst bis zur Peinlichkeit entblössen lässt...

Ich mag James Last nicht ausstehen. James-Last-Verschnitte ebenfalls nicht.

... Ich mag Polizisten nicht, auch nicht, wenn sie Schlagzeug spielen, und vor allem nicht, wenn sie Italiener behandeln wie Dreck, weil ich selber ein Italiener bin. Ich mag Polizeiautos nicht. Und Kinder von Polizisten, die Polizeiautos mögen, mag ich auch nicht.

Ich hasse philosophierende Polizisten...

... Ich mag Geschäftsleiter von Kleinkreditinstituten nicht. Wer mag sie schon? Ich mag sie nicht, wenn sie über ihre riesigen Familienprobleme hinweg, mit versteinerter Miene, Klarinette spielen und so tun, als würde ihnen nichts etwas ausmachen, solange sie nur fleissig, vom Herrn Pfarrer auf der Orgel begleitet, geistliche Weisen spielen.

Ich hasse philosophierende Geschäftsleiter...

... Ich mag verklemmte, Bass spielende Prokuristen nicht, die vor lauter Steifheit nur noch bekümmert aussehen. Ich mag es nicht, wenn sie stolz zu berichten wissen, dass die beiden Frollein Sekretärinnen schon viel von der Arbeit ganz selbständig erledigen können. Ich mag es nicht, wenn Prokuristen ihr mickriges Fertighäuschen zum erfüllten Wunschtraum er: klären und ich mir die ganze Litanei anhören muss.

Ich hasse philosophierende Prokuristen...

... Ich mag aufgedunsene Musikstudenten nicht, wenn sie so ein gewisses bisschen fortschrittlich und kritisch sind. Zu jung, zu weich und zu fett, um jetzt schon, im Kindergesicht, die Merkmale des späteren Erzreaktionärs zu offenbaren.

Ich hasse philosophierende Musikstudenten...

... Ich glaube, ich würde auch Bruno Moll nicht sonderlich mögen, wenn ich ihn kennte. Mir kommt das komisch vor, wenn einer, fast masochistisch, in minuziöser Kleinarbeit einen derartigen Film dreht, ohne dass ihm nur ein einziges Mal die Zynik durchbricht. Oder steckt eventuell doch eine gewisse «Liebe» zum traurigen, auf Millimeter-Papier entworfenen Schweizertum im Spiel? - Nein, ich will es nicht glauben. - Der Bruno Moll ist ganz bestimmt ein Zyniker, der alle anderen an Zynik und Perfidie weit übertrifft. - Basta!

Ich komme mir selbst ins Gehege, wenn ich wieder einmal mit Schrecken feststellen muss, wie weit ab von dieser «durchschnittlichen Gesellschaft» ich schon stehe, wie isoliert, wie arrogant, wie einsam ich schon geworden bin.

Ich hasse philosophierende Filmkritiker..., aber noch mehr hasse ich die grassierende Volksdummheit!

Was ich jedoch mag, sind kleine, behinderte Mädchen, die zwar einen klarinettierenden Eisklotz zum Vater und eine verbitterte, pickelharte Kinnfrau zur Mutter haben, die sich zwar von diesen «durchschnittlichen» Eltern zum «Alliminiäntli»-Spielen abrichten lassen, die aber in der freien Improvisation auf der Plastic-Melodica einen ganz unwahrscheinlich tieftaufrischen, melancholisch beschwingten Sound in die starrende Kamera legen.

Wenn sie dann noch ein Lachen lachen können wie das kleine, behinderte Mädchen in Samba Lento, dann bin ich eigentlich wieder zufrieden.

Samba Lento. R, B, P: Bruno Moll; K: Edwin Horak; T: Florian Eidenbenz; Sch: Wendula Roudnicka; M: Peter Rogger-Combo. 16 mm, Farbe, 83 Minuten

Silvano Speranza
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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