MARTIN SCHAUB

IM PRINZIP SCHON

CH-FENSTER

Noch immer war die Kritik interessiert am Fortgang der Spielfilmreihe Die sieben Todsünden, die die Zürcher Nemo Film AG für das Schweizer Fernsehen produzierte. Wir liessen uns nicht entmutigen, so schnell. Die überaus zahlreichen Besucher der Pressevorführung von Wollust oder Gutknechts Traum, June Kovachs Beitrag, mussten sich allerdings gedulden. Vor dem Film von der verhinderten, verstellten, unterdrückten und abgetriebenen Wollust hatten wir eine Standpauke des Abteilungsleiters «Dramatik», Max Peter Ammann, anzuhören. Dieser beklagte sich nicht nur bitterlich über das nur sehr schwache Echo, das die Beschneidung seines Budgets in der Presse ausgelöst hatte, er kritisierte die anwesenden Medienjournalisten ganz offen. Er hatte offenbar erwartet, dass ein einziger Aufschrei durch den Schweizer Blätterwald ginge, als «sein» Budget gekürzt und «seine» Ko-Produktionen mit ausländischen Stationen abgeklemmt worden waren.

Man kann die Enttäuschung Ammanns begreifen: Er hatte sich tatsächlich darum bemüht, eine Dramaturgie zu definieren und zu realisieren, die diesen Namen verdient. Er war von Pontius zu Pilatus gelaufen in der Schweiz, und er hatte ausländische Sender zu Ko-Produktionen animieren können. Schliesslich hatte er es sogar durchgesetzt, dass das Deutschschweizer Fernsehen einige Auftragsproduktionen - insgesamt deren acht - ohne ausländische Partner auf die Beine stellte. Ammann erwartete Dankbarkeit und Liebe. Mindestens zählte er auf die ungebrochene Solidarität aller jener, die vom Fernsehen mehr Engagement in der unabhängigen Filmproduktion gefordert hatten.

Solange es beim Prinzipiellen bleibt, hat er die meinige. Die Grundüberlegungen sind richtig. Das Fernsehen ist dem Film nicht nur etwas schuldig; es kann von ihm sogar profitieren: Die unabhängigen Filmer hatten jahrelang jene Entwicklungsarbeit geleistet, die sich das Fernsehen versagte. Es war Zeit, dass da einer kam, der das begriff, und der auch handelte. Ich begreife auch Ammanns Schmerz. Es ist unverantwortlich und dumm, dass da eine begonnene Aufbauarbeit mit ein paar Federstrichen beinahe zunichtegemacht wird. Es ist skandalös, dass wieder einmal jährlich bloss 300 000 Franken für Produktionsbeiträge an Film/Fernsehen-Projekte bereitstehen, und dass nur gerade zwei (höchstens drei) Filmautoren «von draussen» als Regisseure von im Hause ausgearbeiteten und mit den Hausmannschaften zu realisierenden Fernsehspielen angeheuert werden sollen. Prinzipiell betrachtet ist das ein Rückfall in die finstersten Zeiten.

Warum schreit es denn niemand heraus? Warum muss es der Abteilungsleiter selber tun? Weil wir eben nicht einfach sture Medienpolitiker sind, sondern kritische Beobachter der Resultate der Aera Ammann, Schmassmann, Kaminski und Kleinselbeck. Mir jedenfalls fällt eine bedenkenlose Unterstützung der Am-mannschen Politik je schwerer, desto länger die Todsünden-Reihe läuft, die uns vor allem der hoffnungslos verquaste Lutz Kleinselbeck als Höhepunkt der Zusammenarbeit Fernsehen-Film anzupreisen versucht.

Max Peter Ammann ärgert sich darüber, dass im Zusammenhang mit den Todsünden in der Presse immer wieder vom Geld, das diese knapp sieben Stunden Film gekostet haben, die Rede ist. Denkt er nicht daran, dass von den annähernd 4,5 Millionen weniger gesprochen würde, wenn die Filme gut wären? Über 600 000 Franken zum Beispiel für die knappe Stunde vulgäres «Volkstheater» von Sebastian Schroeder und Gerold Späth (Völlerei oder Inselfest): musste das wirklich sein? Lohnte es sich?

Man muss weiterfragen. Wissen die Verantwortlichen der Abteilung Dramatik nicht, dass sie da auch Minderwertiges produziert haben? Oder sagen sie es nur nicht?

Ammann möchte, dass man seine Arbeit «unbesehen» unterstützt, einfach prinzipiell, weil sie im Prinzip schon richtig ist. Dahinter steckt eine Angst. Die Angst nämlich, dass die Beobachter sich fragen, ob denn die Leute, die für Die sieben Todsünden verantwortlich zeichnen, und zwar nicht nur die Filmemacher, sondern auch die Programmverantwortlichen, die richtigen sind, ihre lotterige Ideologie von der «Dramaturgie des Publikums» (vgl. CINEMA 1/80), ihre selbstgefällige Bastelei, ihre Arroganz.

Martin Schaub
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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