CORINNE SCHEIBEN

VON DER SCHWIERIGKEIT, KOMISCH ZU SEIN — ROLF LYSSYS KASSETTENLIEBE, ANALYSE EINER KOMÖDIE

CH-FENSTER

Sinnlos zu meinen, ein kritischer Zuschauer, oder gar ein Filmkritiker, könne unbelastet an Rolf Lyssys neue Komödie herangehen. Denn nach dem überraschenden Publikumserfolg von Die Schweizermacher, an den niemand so richtig geglaubt hatte, ist Lyssy ein Schweizer Filmemacher, der etwas bewiesen hat. Allen Nörglern, esoterischen Kritikern, zögernden Investitoren, risikounfreudigen Produzenten und unverbesserlichen Anhängern des schwerblütigen Filmtraktats zum Trotz hatte er bewiesen, dass man in der Schweiz ein Lustspiel über typische Schweizer machen kann, das lustig und doch nicht dumm, das volkstümlich und doch nicht läppisch ist. Und wenn einer einen solchen Kassenerfolg zustande gebracht hat, dann besitzt er auch die Formel dafür. Rolf Lyssy wurde also mit einem Schlag einer, der weiss, was der Kinobesucher will.

Hat der Erfolg von Die Schweizermacher die Beteiligten wohl selber erstaunt, so wurde der Erfolg von Kassettenliebe umsichtig geplant. Die Zeichen standen günstig: Mehr Geld, mehr Zeit, mehr Goodwill. Und die Rechnung, so scheint es, ist aufgegangen. Kassettenliebe war/ist ein Publikumserfolg. Zahlen geben Lyssy recht: Was immer man am Film bemängelt, der Regisseur wird auf «den» Zuschauer verweisen, an dessen Bedürfnissen er offensichtlich nicht vorbei inszeniert hat. Wollte man sich nun auf die alte leidige Diskussion der Publikumsdramaturgie einlassen, geriete man unweigerlich in den Filmkritiker-Clinch, der in den letzten Jahren so viel Kopfschmerzen verursacht hat.

Ich möchte daher nicht urteilen, ob nun Kassettenliebe ein guter, mittelmässiger oder schlechter Film sei. Vielleicht hat sich das Publikum im Stillen amüsiert, und dann ist alles gut. Mir ist bloss aufgefallen, dass an den zwei Vorführungen des Films, die ich besuchte, kaum jemand gelacht hat. Die erste war eine Pressevorführung mit Insidern und Journalisten, die zweite eine gewöhnliche Kinovorführung. Vor allem in der zweiten, «normalen» und gut besuchten Vorführung blieben die Zuschauer praktisch stumm. Nur einer lachte hin und wieder, aber an so ausgesprochen nicht-komischen Stellen, dass man ihn als unverbesserlichen Bernhard-Theater-Lacher disqualifizieren musste. Eine Komödie, bei der kaum gelacht wird, ist ein Phänomen. Sie zeigt vorab, wie schwer es ist, komisch zu sein. Kassettenliebe ist demnach ein ideales Studienobjekt für ein Genre, das zu den schwierigsten gehört. Erst wenn alles falsch gemacht wird, wird klar, wie schwer es ist, alles richtig zu machen. Im Nachhinein kommt es mir vor, als hätte Lyssy in Die Schweizermacher nichts mehr zu verlieren gehabt und sich daher mit dem Mut des Verzweifelten in eine Komödie gestürzt.

Die Verzweiflung, der Leistungsdruck, die Belastung eines nicht offiziell abgesegneten Projekts gaben diesem Film eine Inspiriertheit in den Details, jene improvisiert wirkende Sorglosigkeit, gelegentlich sogar eine gewisse satirische Schärfe, betrat ein Regisseur hier doch Neuland im Schweizer Film. Zwei Schauspieler kamen ihm dabei zu Hilfe. Walo Lüönd, der sich, wenn man ihm nur Gelegenheit gibt, zu einem der facettenreichsten Interpreten des sturen Spiessers aufschwingen kann und Emil Steinberger, ein unerhört begabter Kabarettist, der, noch von keinen Hörspielen und Dialektschwänken verbraucht, unerwartete feine kleine Gesten in das hiesige Lustspiel einbrachte. In Emil war endlich der ideale Darsteller gefunden.

Und nun macht Lyssy seinen zweiten Film nach der Stunde Null seines Schweizermacher-Hits, eine Fortsetzung gewissermassen, ein «comedy sequel», einen vorprogrammierten Bombenerfolg. (So wenig wie Hollywood finanziell mit Zweitauflagen auf die Nase fällt, so wenig kann man auch hier einem Erfolgsrezept widerstehen.) Wiederum nahm er Emil, der, wie man überall lesen konnte, nun ein ernsthafter, ernstzunehmender Schauspieler werden wollte, wozu ihm Lyssy Gelegenheit bot. Man muss sich das einmal vorstellen: Da gibt es in der Schweiz einen Komiker, der wahrhaft komisch ist, der glänzend (wie er am Fernsehen einmal als Stegreif-Kommentator einer olympischen Eislaufkür bewies) improvisieren kann, der wahrscheinlich der einzige Mann im Schweizer Showbusiness ist, der den Slapstick beherrscht, und er nimmt, oder man gibt ihm einen Part, der keines seiner Talente ausnützt, sondern den Komiker in das müde Schema eines «sympathischen Junggesellen» ohne Profil, ohne Witz, ohne Mucken und Schwächen, ohne auch nur den Anflug eines kritisch-ironischen Durchschnittsschweizer-Porträts presst und in einem beispielslosen Masochismus, den man wohl nur mit unserer frugalen zwinglianischen Ethik erklären kann, Emil den Komiker ausradiert. Emil Steinberger hat in Kassettenliebe noch zwei winzig kleine Szenen, die für ein paar sehnsüchtige Augenblicke zum Bewusstsein bringen, was für ein Potential da verschleudert worden ist. In der ersten Szene hält er an einer Vernissage in der einen Hand ein Brötchen und in der anderen ein Weinglas und versucht so, jemandem die Hand zu schütteln, in der zweiten Szene schüttet er in alkoholisiertem Zustand die Kopfwehtabletten in der Badewanne aus und versucht, diese mit Zahnbürste und Seifenschale zusammenzuwischen. Zwei sekundenkurze Slapstick-Höhepunkte — alles andere ist schiere Pein, Lustlosigkeit und Schwerfälligkeit.

Rolf Lyssy:

Kassettenliebe soll als Komödie verstanden werden, aber nicht als eine Komödie des lauten Klamauks oder oberflächlicher Witzeleien, bei denen Personen der Lächerlichkeit preisgegeben werden, sondern als eine Geschichte, in der Menschen mit ihren offenen und versteckten Sehnsüchten nach Sicherheit und Geborgenheit, ihren Erfolgen und Misserfolgen auf der Suche nach Liebeserfüllung, kurz, nach dem Lebensglück, zur Darstellung gelangen.

Eine Geschichte über unsere lächerliche zivilisierte Welt, in der mit lächerlichen technologischen Hilfsmitteln lächerliche Partnerschaftssuche betrieben wird, und nichts und niemand soll der Lächerlichkeit preisgegeben werden! Warum denn eine Komödie, wenn man niemanden verletzen, nichts aufdecken, nichts und niemanden auf ironische Weise entlarven will? Woody Allen zum Beispiel hat mit seinen globalen «Publikumserfolgen» wie Annie Hall und Manhattan bewiesen, dass man mit der Demontage von Beziehungskrisen sehr weit gehen kann und anscheinend niemanden damit beleidigt. Lyssy hingegen will in einer Komödie todernst die Sehnsüchte der Menschen zur Darstellung bringen und nimmt dazu lauter nette Durchschnittsleute mit Durchschnittsproblemen, in denen sich der Durchschnittszuschauer auf so nette Weise wiedererkennen soll, dass er ja nicht an der Kasse beleidigt sein Geld zurückverlangt. Das Resultat ist eine Komödie, die entgegen allen Regeln der Gattung operiert. Eine Komödie, in der nichts komisch, alles bloss nett ist. Mit einem Wort: Kassettenliebe ist keine Komödie. Lyssys Anpassung— ich setze eine solche einmal voraus — ist die Anpassung an den Durchschnittsgeschmack, die immer fehlzündet, weil eine Angleichung nach unten die Anvisierten zwangsläufig unterschätzt. Die Harmlosigkeit kann auch offensiv werden. Der an allerhand gewohnte Fernseh- und Kinokonsument muss sich im Zeitalter der Aufgeklärtheit und äussersten Permissivität ein Geschichtchen gefallen lassen, in der eine Frau ihrem Partner — wie gewagt! — die Idee einer «Ehe auf Zeit» unterbreitet. Eine junge hübsche Frau in Zürich 1980, anscheinend schon herumgekommen und mit einiger Erfahrung, meint: «Normalerweise gibt man sich doch ein Eheversprechen lebenslänglich». (Lyssy hätte sich vorher vielleicht vergewissern sollen, dass die Scheidungsquote des Mittelstands kaum niedriger ist als diejenige der Oberschicht.)

Eine Anpassung nach unten entlarvt sich meist im Styling. Die Ausstattung von Kassettenliebe atmet die Sterilität von Möbel-Pfister-Schaufenstereinrichtungen, die real nie so existieren, weil sich jeder Durchschnittsbürger einen Rest von Individualität — und sei es in Form von «schlechtem» Geschmack — bewahrt. Die Darsteller sind so gekleidet und frisiert, wie sich jemand vorstellt, dass man in gewissen Kreisen gekleidet und frisiert ist, «gewisse Kreise», die wiederum nur ein Phantom, ein Phantasieprodukt des Autors sind, der dauernd die anvisierte Publikumsschicht mit der im Film dargestellten Bevölkerungsschicht durcheinanderbringt. Die Frisur, die Franziska Oehme als mittlerweile verheiratete Frau mit Kindern in der letzten Szene des Films «aufgeklebt» wurde, ist eine Frisur, die es nicht mehr gibt, die sich weder eine Frau ihres dargestellten Typus noch eine Friseuse aus dem Zürcher Kreis 4 noch irgendjemand antun würde. Und dann die Prüderie, die niemanden schont und niemandem nützt. Dass man heute noch einen Film mit einer stummen Szene beginnen kann, bei der die Kamera an zwei nackten Männerbeinen hinauffährt und dann, lange, lange bevor sie am wunden Punkt angelangt ist, diskret hinüberschwenkt! Frivolität, die es in unseren Tagen auf halbem Wege, knapp oberhalb des Knies, mit der Angst zu tun bekommt, ist das nicht ihrerseits ein Witz? Oder Hilde Ziegler, die im Alpamare im Bademantel züchtig Emil Steinberger gegenübersitzt und eine Ewigkeit braucht, bis sie endlich — mit dem koketten Satz «Sie sind halt der Augentyp» — sich der Bekleidung entledigt, um sich im züchtigen Badekleid zu zeigen. Da schaut der regelmässige Hallenbadbesucher vor lauter Peinlichkeit weg.

Lyssy wollte zwar keine «Komödie des lauten Klamauk oder der oberflächlichen Witzeleien», aber seine Gags und Ideen bewegen sich strikt auf Schwankniveau. Etwa eine phantasierte Trauzeremonie, bei der die Braut — die progressive Regula, man erinnere sich — einen Hustenanfall bekommt. Holzhammer-Symbolik, die schon wieder absurd wirkt.

Dass Rolf Lyssy sein Thema — die Tücken eines hochtechnisch ausgestatteten Partnerwahlinstituts — aus Taktgefühl zum vornherein zu verschenken bereit war, merkt man am mühsamen Herumreiten auf den imme rgleichen Phänomena, das denn auch den schwerfälligen Ablauf der Handlung bestimmt. Als würden die zahllosen Videoaufnahmeszenen, mittels welchen sich die partnersuchenden Duogena-Kunden vorstellen, nicht hinreichend demonstrieren, wie die Technik den Menschen mitspielt, müssen noch ein Dutzend Episoden — ein Autoradiohörer, der an der Ampel die wütenden Hupzeichen nicht hört, ein Walkman-Musikfreak, der nicht merkt, dass er einem Autobesitzer Platz machen soll, Regula, die in Felix's Wohnung mit seinem ultramodernen Stereogerät nicht umzugehen weiss, usw., usw. — eingebaut werden, um die Botschaft dem Zuschauer, der sie schon lange kapiert hat, noch und noch einzuhämmern. Handkehrum gehen komische Episoden, die interessiert hätten, glatt unter. Als Felix Stamm von einem Beamten in der Bank unauffällig beobachtet wird, wobei letzterer schliesslich am Arbeitsplatz Erkundigungen einzieht, da sehen wir in eine Szene plötzlich drei Männer - den Duogena-Chef, Felix Stamm und den Beamten — ob einem Wort wild lachen. Das Wort — ich habe es im Drehbuch inzwischen nachgelesen — lautet «Bankräuber», was aber im Kino niemand verstanden hat. Was für eine Komödie, wenn auf der Leinwand drei sich totlachen, und niemand weiss warum! (Bliebe noch zu erwähnen, dass die Vorstellung von Felix als Bankräuber weder besonders komisch oder originell ist, aber inzwischen ist die Lachbereitschaft des frustrierten Zuschauers aufs äusserste gestiegen, so dass er gerne glaubt, das Lustigste verpasst zu haben.) Die irritierende Mixtur von repetitiven, überexpliziten Szenen und allzu diskreten Nebenepisoden, die alle intendierten Assoziationen verfehlen, bestimmen den eigenartigen Rhythmus des Films, der, auch wenn die einzelnen Szenen kurz sind, nie das Tempo einer Komödie hat, sondern in artifiziellen Ellipsen sich immer wieder wie versuchsweise der Haupthandlung (die fortschreitende Beziehung von Felix und Regula) nähert, nachdem der Zuschauer den Faden schon verloren hat und dringend der Reorientierung bedarf. Ein Gefühl für Raum und Zeit existiert nicht, weil keine durchschaubare Struktur, kein fester, wie auch immer in sich sprunghafter Rhythmus das Geschehen lenkt. So geschieht es, dass man sich in einem Schauplatz, den man wiederholt gesehen hat, auf einmal nicht mehr zurechtfindet, so geschieht es, dass man keine Ahnung hat, wieviel Zeit zwischen einem Ereignis und dem daran anschliessenden verstrichen sein mag. Ist dies nun das Vorzimmer oder das Büro des Chefs, haben sich Regula und Felix nun seit Tagen oder seit Wochen nicht mehr gesehen? Es ist auch die Schnitttechnik, oder besser Abschneidetechnik, die für Verwirrung sorgt. Nun wird ja in einer Komödie oft abrupt, auf eine visuelle oder verbale Pointe hin geschnitten oder ausgeblendet. Aber in Kassettenliebe wird man das ungute Gefühl nie los, dass eine Szene vorzeitig auf dem Schneidetisch beendet wurde, weil alles, was nachher kam, nur noch schlimmer war. Also kein Schnitt nach einem beabsichtigten Höhepunkt, sondern ein zufälliger Schnitt aus Verlegenheit.

Der schleichende Realitätsverlust manifestiert sich in permanenter Verwechslung (die sogar so weit geht, dass man Franziska Oehme und Hilde Ziegler, zwei grundverschiedene Charaktere im Film, die sich äusserlich kaum ähnlichsehen, nicht mehr auseinanderhalten kann), stellt sich aber auch ein durch Lyssys Art der Überinszenierung, die in gewissen Einzelheiten, die unwesentlich sind, übergenau verfährt, andererseits atmosphärisch wichtige Details vergisst. Einmal sitzen Felix und Regula beim Abendessen in der Wohnstube. Während sie diskutieren, trägt Regula das Geschirr in die Küche und setzt die Espressomaschine auf. Sie kommt wieder in die Stube, und der Zuschauer wartet ganz automatisch mit ihr auf den zischenden Signallaut des kochenden Wassers. Aber Regula geht in die Küche, ohne dass man einen Ton vernommen hätte. Als sie die Kaffeemaschine auf den Tisch stellt und einschenkt, dampft es auch nicht aus den Tassen. Die ganze gemütliche Wohnstuben/Küchenszene wirkt irreal, weil die primären Zeichen häuslicher Gemütlichkeit ignoriert wurden.

Kassettenliebe ist im komödiantischen Niemandsland angesiedelt. Die angestrengten Lustspiel-Verrenkungen rühren wohl daher, dass Rolf Lyssy sein Thema, das nur mit einer Satire zu bewältigen ist, zur wohlwollenden Inspektion unterbreiten wollte. Er wollte es lustig und gleichzeitig jedem recht machen. Ein zeitgenössisches Lustspiel mit einem aktuellen Thema kommt wohl nicht darum herum, die Unvollkommenheit unserer Welt ironisch aufzuzeigen. In einer Komödie müssen entweder die Situationen, die Menschen oder die vorgeführte Welt unnormal sein. Bei Rolf Lyssys Kassettenliebe ist alles normal, so normal, dass es nichts mehr zum Lachen gibt.

Kassettenliebe. P: T&C Film AG/Rolf Lyssy, Zürich; B: Rolf Lyssy unter Mitarbeit von Georg Janett und Emil Steinberger; R: Rolf Lyssy; K: Fritz E. Maeder; T: Hans Künzi; M: Jonas C. Haefeli; Sch: Georg Janett; D: Emil Steinberger (Felix Stamm), Franziska Oehme (Regula Koller), Hilde Ziegler (Sybille Mettler) u.v.a.m. 35 mm, Farbe, 107 Minuten

Corinne Scheiben
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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