MANFRED ZÜFLE

ERSCHAFFUNG VON REALITÄT — NOTIZEN ZU ROSIS FILMISCHER ERZÄHLWEISE

ESSAY

I.

Eine mit Rosis Filmen gemachte Erfahrung soll hier zunächst beschrieben werden, eine Betroffenheit, die sich bei jedem neuen Film bis jetzt immer wieder eingestellt hat, eine Betroffenheit, die sich auch bei mehrmaligem, analytischer werdendem Anschauen nicht verflüchtigt, sich eher verstärkt. Die Betroffenheit wird zum Wissen, bei den Filmen Rosis Wesentliches erfahren zu haben, Wesentliches von der sehr konkreten, im weitesten Sinn politischen Situation, in der wir stecken. Zu dieser Erfahrung, die ich mit Rosis Filmen mache, eigentlich mit fast allen, gehört auch das Eigenartige, dass sie nicht veralten, obwohl sie historisch werden. Die Drittwelt-Problematik z. B. hat sich natürlich seit 1972, seit II caso Mattei, verändert. Das, was Rosi davon in seinem Film zeigt, ist historisch geworden; es bleibt «wahr», nicht weil mir Rosi irgendwelche «ewigen» Wahrheiten vermittelt hätte, sondern weil er schon damals erstaunlich richtig, erstaunlich historisch sah. Alle Filme Rosis haben offenbar eine geschichtliche Tiefendimension.

Ich erinnere mich sehr genau an meine erste Begegnung mit einem Film Rosis. Es war 1961: Salvatore Giuliano. Ich hatte bei den grossen italienischen «Neorealisten» überhaupt angefangen, bewusst Filme anzuschauen. Italien in der Sicht dieser Filmer als eine Art Modell von Wirklichkeits-Information durch Kunst! Für mich hatte diese Italianità etwas Human-Utopisches: So viel war also vermittelbar an menschlicher Realität, Tragik, Schicksal, an menschlicher Dichte gleichsam. Ich kannte Rosi nicht, ich hatte keine Informationen über ihn. Ich schaute mir einfach möglichst viele italienische Filme an, weil ich sicher war, da einiges erwarten zu können! Der Film Rosis hatte mich dann in meiner Erwartungshaltung eigentlich konsterniert. Ich hatte mich damals sehr intensiv, auch publizistisch, mit Antonioni beschäftigt. Rosis Salvatore Giuliano machte mir klar: Aha! so weit geht das also, so muss erzählt werden, so kommt man au fond de la mattière. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass mir von Rosis Film zunächst als bleibendster Bildeindruck blieb: die sizilianische Landschaft, ihre Authentizität gleichsam.

II.

Nun sind alle Filme Rosis in einem spezifischen Sinn tragisch angelegt in ihrem Verlauf. Das Tragische besteht darin, dass unbestechlich aufgezeigt wird, dass die Macht der Verhältnisse nach wie vor und weiterhin über die Menschen hinweggeht, hinweggehen wird. Der letzte, durchaus ergriffene Ausweg der irgendwie gefährdeten Macht ist immer wieder das Verbrechen — wenn es sein muss auch der Krieg. Die Macht zeigt sehr genau, dass sie tödlich ist, wenn man es wagt, ihre angestammte Ungehindertheit zu stören. Es wird in jedem Film Rosis klar, warum hier gestorben wird, auch wenn der einzelne Fall polizeilich ungeklärt bleibt. Ja, das Ungeklärte ist nur umso sicherer Indiz für die Machtverhältnisse. Es wäre z. B. auch nach Rosis Analyse der Karriere Matteis immer noch denkbar, dass er «nur» bei einem Flugzeugunfall ums Leben gekommen ist. Sabotage ist aber wahrscheinlicher, weil es absolut sicher ist, dass Mattei so oder so für die bestehenden Verhältnisse nicht mehr tragbar war. Aber nicht nur der «Held» stirbt so im richtigen Augenblick. Der Gangsterboss Luciano stirbt eindeutig an einem Herzinfarkt, aber er stirbt auch genau zu dem Zeitpunkt, wo er als Kryptomacht für die etablierte Macht zu quantité négligeable zu verkommen anfängt. Die Macht ist offenbar der Tod nicht nur für alles, was sich ihr entgegenstellt, sondern überhaupt für jeden, der in Frage kommen kann, mit seiner Existenz, das Bleibende der Macht zu gewährleisten. So stirbt der die Wahrheit suchende Polizist in Cadaveri eccellenti letztlich aus demselben Grund wie Luciano und Salvatore Giuliano und die Bauern-Soldaten aus dem Süden in Uomini contro. Die Tragödie ist bei Rosi politisch die Tragödie.

Man hat immer wieder auf Rosis tragischen Pessimismus hingewiesen, ihn mit Camus verglichen. Etwas an diesem vergleichenden Hinweis mag stimmen; am ehesten vielleicht ist das Licht vergleichbar, das auf die stumm bleibende übrige Welt fällt, das mediterrane Licht, das in Erscheinung treten lässt. Camus aber spricht am Schluss vom Etranger bei der Hinrichtung von der «tendre indifférence du monde». Rosis übrigbleibende Welt hat etwas anderes an sich. Seine Landschaften — auch und gerade im Eboli-Film, in dem Landschaft in der alleingelassenen Bauern-Archaik buchstäblich und grossartig zerfällt — vermitteln nichts von Indifferenz, auch und schon gar nichts von Nostalgie, sie enthalten aber auf eine eigenartige und eindringliche Weise etwas Utopisches. Das ist schon in La sflda auffällig. In epischer Breite wird das Land gefilmt, um dessen Früchte sich Camorra und der ins Geschäft drängende Vito streiten. Ein Torbogen zeigt mehrmals die Perspektive der Zufahrt. Sehr vorsichtig Hesse sich vielleicht formulieren: Anderes als Ausbeutung und rivalisierende Machtkämpfe Hesse sich vorstellen auf diesem Land, anderes als die Angst der Unterdrückten. Anders erscheinen die Berge im Sizilien Salvatore Giulianos. Die Felsbrocken, die Deckung für Salvatores Truppen bieten, geben auch einen weiten (andern als strategischen) Blick auf das Land und auf die Orte unten. Es gibt in Rosis Filmen immer wieder den grossen epischen Aus-Blick in die dingliche Welt, der die Tragödie auch überblickt.

Der Hinweis soll hier noch nicht gepresst werden. Aber ich glaube, dass in der pessimistisch tragischen Exaktheit von Rosis Erzählung für den Zuschauer immer auch ein anderes transportiert wird, nicht nur in den angetönten Ausblicken, etwas wie ein fundamentales «Vergnügen» an der Luzidität, mit der hier das sogenannt Faktische hinterfragt wird — und verstehbar wird. Rosi ist wirklich einer der wenigen Künstler, der dokumentiert Einsicht hat ins Funktionieren der Macht im Zentrum ihrer Korruptheit — und diese Einsicht zur Vision gestaltet. Und die Vision ist Ansatz zur «Verfolgung» der Macht.

III.

Max Frisch sagt in einem Essay über Albin Zollinger, dass Zollinger in Oerlikon zu dem keinen Zugang haben konnte, was in Oerlikon interessant gewesen wäre: die internationale Waffenschmiede; dass sich Zollinger notwendig ins Provinzielle und Existenzielle verhausen musste. Rosi bleibt nie bei der Tragik der einzelnen Existenz stehen, obwohl er sie ernst nimmt. Das unterscheidet ihn und seinen unbestechlichen Pessimismus von Camus z. B. Es geht nicht nur um Sisyphos, sondern darum, wie man, wie wir, immer wieder gezwungen werden, den idiotischen Stein den Berg hinaufzurollen!

Dabei gibt es kaum einen Künstler, der so sehr im Partikularen des Südens verwurzelt ist, der so sehr immer wieder auf die auch abstrusen Absonderlichkeiten dieses Südens zurückkommt: Neapel, Sizilien, Eboli... La sfida scheint noch bei fast exotisch Interessantem zu bleiben: so ist das halt in Neapel. Aber der im Mezzogiorno eingefangene Verdacht über die Struktur und das Funktionieren von Macht weitet sich stetig aus. Spätestens in Lucky Luciano hat er (westliche) Weltdimension erreicht; und immer noch ist es der Süden, der mit seinen mafiosen Strukturen schliesslich den Weltdrogenhandel einrichtet. In Cadaveri eccellenti kann Wirklichkeit in einer Fiktion von Macht überhaupt abgebildet werden. Und obwohl man auch noch in dieser Fiktion sich an italienische Geschehnisse erinnern kann, weiss man als Zuschauer endgültig, dass Macht das Geheim-Verbrecherische ist, das sich nicht aufdecken lässt, das, wenn es nicht überhaupt abgeschafft wird, zu Zuständen führt, die wir weltweit heute befürchten.

Dabei ist in jedem Film Rosis vieles von seinem nächsten, übernächsten antizipiert. Schon in La sfida erkennt man schliesslich einiges: die Rivalität der Mächtigen; dass, wer in den Machtkreis eintreten will, sich an die eine Regel halten muss, dass nichts verändert wird; vor allem aber versteht man schon in Rosis erstem Film, dass, so lange Macht so funktioniert, die «Wirklichkeit», die «harte Realität», eben Opfer braucht. Dieser Einblick in das auch fast exotische Funktionieren der neapolitanischen Camorra, einer Art Mafia, antizipiert das Verständnis, dass am selben Ort die Bauspekulation geradezu exemplarische Bösartigkeit annimmt, indem Staat, regierende Partei, vitalstes Interesse am grenzenlosen Profit eines Einzelnen, ja selbst die Kirche, alle ausser die Opfer, zusammenspannen, um buchstäblich die Macht an der Macht zu erhalten. Mani sulla città! Wenn man sich vorstellt, was an dokumentarischer Arbeit und künstlerischer Formung geleistet werden müsste, um dieselben Mani sulla città, sagen wir mal, für Zürich sichtbar werden zu lassen!

So bekommt das durchgängig Antizipatorische im Gesamtwerk Rosis noch eine zusätzliche und letzte Dimension. Rosi nimmt gleichsam die Betroffenheit und Reflexion des Zuschauers seiner Filme vorweg. Indem er dokumentiert sicher sein kann, bei seinen Eingriffen im Süden heutige Wirklichkeit überhaupt zu treffen, kann er auch sicher sein, dass seine Visionen nicht als interessante südliche Einzelheiten missverstanden werden können, sondern buchstäblich als Momenti della verità. «Momento della verità» ist eigentlich ein terminus technicus des spanischen Stierkampfs, der Augenblick, in dem es agonal um Leben oder Tod des Stiers oder Stierkämpfers geht. Und gerade in seinem Film über den Stierkämpfer und seinen Tod macht Rosi klar, dass der Erfolg des Stierkämpfers nicht seiner, sondern die Ausnützung seines Elends (von seinem bäuerlichen väterlichen Boden nicht leben zu können) und seines Wunsches ist, ihm zu entfliehen. Der Moment und das Moment der Wahrheit ist in allen Filmen Rosis, auch in seinem Spanienfilm, dass die Machtwirklichkeit tödlich ist: der scheinbare Ausweg des Erfolgs führt den Stierkämpfer, der immer weiter Erfolg haben muss und sonst fallen gelassen würde, in den Tod. Man lässt ihn, wenn er schwächer wird, von der blinden Kreatur vernichten. Ein anderer wird kommen und die verzweifelte Show weiterführen. Und so kann man als Zuschauer im Rückblick sogar etwas «antizipieren», was Rosi in seinen Filmen explizit nie sagt (ausser als Hinweis natürlich in der Drittwelt-Problematik Matteis und in den imperialistischen Programmen, von denen die Kunde bis nach Eboli und dahinter vordringt!): Das ganze Nord-Süd-Gefälle, das heute als Weltkonflikt zu explodieren anfängt, ist von Rosi in seiner Analyse des Südens in Europa, in Italien selbst modellhaft so antizipiert, dass über die Filme Rosis hinaus verstanden werden müsste, dass unser ganzes Machtsystem ersetzt werden müsste! Italien mit seinem Süden und den Machtmechanismen, die dort spielen, in einer künstlerischen Vision als Modell unserer globalen Wirklichkeit gesehen. In der Reflexion des Zuschauers auch noch: Erschaffung von Realität, der unseren eben.

IV.

Zu Recht ist, allen voran von Rosi selbst darauf hingewiesen worden, dass seine Filme keine Dokumentarfilme sind, sondern dokumentierte. Rosi in einem Interview: «Mein Film ist in nichts Dokumentarfilm, er ist dokumentierter Film. Ich interpretiere die Realität, um eine bestimmte Art Wahrheit zu erreichen, eine Wahrheit, die ich, ausgehend von meiner Optik und durch meine Interpretation der Realität hindurch, konstruiere. Ich fordere von mir, den Dokumenten gegenüber treu zu bleiben. Das ist eine Notwendigkeit der historischen Methode.» (Ecran 73, no. 20, Dezember 1973, von mir aus dem Französischen übersetzt.) Rosi macht diese Äusserung mit Bezug auf Filme wie Salvatore Giuliano und II caso Mattei. Die Dokumentiertheit Rosis ist aber eine durchgängige und sie geht weiter, als nach dem Zitat vermutet werden könnte.

Michel Ciment publiziert in seinem Buch «Le Dossier Rosi» zwei Bilder: eine zeitgenössische Fotografie von der Leiche Giulianos und im Vergleich dazu eine Einstellung aus Rosis Film. Ähnliche Gegenüberstellungen gibt es vom Prozess von Viterbo, vor allem aber im Buch von Callisto Cosulich über Uomini contro eine ganze Reihe von Vergleichen von zeitgenössischen Bilddokumenten und Bildern aus dem Film. Rosi versetzt sich buchstäblich ins Bild. Dabei lässt sich z. B. am Bild der Leiche Giulianos überprüfen, wie in die relative Zufälligkeit des zeitgenössischen Fotodokuments eine neue Perspektive gelegt wird. Die Haltung des toten Körpers ist identisch. Das Tischchen, die Stühle, die Polizisten, die Joumalisten im engen Innenhof sind fast nach dem Dokument «abgebildet». Rosis Blickwinkel aber ist ein neuer, von oben auf die Szene hinunter! Die Untersuchung wird untersucht! Die Kamera ist auf dem Weg zu «einer bestimmten Art von Wahrheit».

Doch bleiben wir einen Augenblick bei Uomini contro. Es gibt wenige italienische Filme, wenige italienische Darstellungen überhaupt über den ersten Weltkrieg. Der Film basiert auf einem Buch von Emilio Lusso aus dem Jahr 1936. Rosi vertieft sich mit seiner Equipe in alles verfügbare Material. Das ist für ihn selbstverständlich. Doch das eigentlich filmische Eindringen in die Sache, die Erzählung, die die Wahrheit sucht, geschieht erst bei den Dreharbeiten, die auf dem Schlachtfeld sich ans Authentische des Geschehenen herantasten. Die Dreharbeiten geschehen unter «natürlichen» Bedingungen, in den Beleuchtungen, die am Ort des Geschehens und nirgend anders möglich sind, in der Nacht, im Nebel, im Regen, in der Kälte, mit der Masse derjenigen, die diesen Krieg mit Rosi zusammen rekonstruieren müssen. Rosi erinnert sich später an die Dreharbeiten von Viscontis Senso: «Alle Menschen, die wir engagiert hatten, waren, ohne es vielleicht selbst zu bemerken, in eine komplette und authentische militärische Atmosphäre geraten.» Das gilt potenziert, wie wir aus Berichten wissen, von seinem eignen Film über den Krieg. Und erst bei dieser «konstruierten» und «dokumentierten Interpretation» wird einiges wahr, was in Lussos Buch noch nicht wahr sein konnte. Lusso z. B. nimmt Leone, den General, noch für einen Verrückten, Rosi entdeckt in ihm den verdichteten Ausdruck dieses ganzen Kriegs. Bei ihm zeigt sich, gegen wen und für wen dieser Krieg geführt wird — letztlich nicht z. B. gegen Österreich, aber für die bürgerliche Erhaltung der Macht gegen die Opfer auf beiden Seiten. Der Krieg verdichtet sich bei Rosi immer wieder zur Hinrichtung in dem, was die eigene Reihe geschienen hatte. Damit entdeckt Rosi im Film, in der genau erzählten Konstruktion der Bilder, was die Wahrheit des Krieges ist. Historisch gesehen führt der Krieg schliesslich zum Faschismus — und: das, was solchen Krieg ermöglicht, müsste abgeschafft werden.

V.

Jean-A. Gili weist in seinem schönen Buch «Francesco Rosi, Cinema et pouvoir» auf die eigenartige Handhabung der Chronologie in Rosis Filmen, vor allem in Salvatore Giuliano und II caso Mattei, hin. Rosi selbst reflektiert über seinen Einsatz des flashback, der bei ihm nichts mit der technischen Bewältigung der blossen Erzählzeit, sondern mit der Wahrheit zu tun hat. Der gleichsam absolute Punkt, von dem her in den zwei erwähnten Filmen erzählt wird, ist der Tod. Im Tod Giulianos und Matteis ist ihre Vergangenheit antizipiert, das Geschehen zum ersten Mal wahr geworden. Aber Rosi geht darüber hinaus. Natürlich schliesst der Tod ab. Der Tod löst aber auch die Investigation aus. Der Tod macht überscharf, worum es in dieser abgeschlossenen Vergangenheit geht, nicht gegangen ist. Brecht hat in der Emigration vor Hitler sich darangemacht, die Geschäfte des Herrn Julius Caesar zu untersuchen, weil er mit Walter Benjamin der Meinung war, es gälte in so ausweglosen Zeiten, die Geschäfte den Mächtigen bis zu Julius Caesar zurück zu entreissen — damit es irgendwann einmal keine Opfer mehr zu geben braucht. Rosis Erzählzeit ist in allen seinen Filmen geradezu methodische Zeitgenossenschaft. Die Investigationen im Tödlichen machen das real Tötende sichtbar und übergeben es der Reflexion des Zuschauers, seiner Betroffenheit, mit der ich diese fragmentarischen Bemerkungen begonnen habe. Rosis Erzählweise ist gerade in seiner pessimistischen Unbestechlichkeit unausweichlich zeitgenössisch, schafft mir verstehbarere Realität.

VI.

Ich möchte mit zwei Bildeindrücken schliessen, die in mir eine unbestimmt dichte Faszination hinterlassen, und die die Reflexion vielleicht noch weiterführen könnten. Mir bleiben von Cadaveri eccellenti, fast wie eine Art Obsession, die unheimlich dichten bürgerlichen Interieurs, vor allem natürlich das Tangohaus, aber auch die Bade- und Waschzimmer. Visconti, bei dem Rosi Regieassistent war, ist ja wohl der Meister des bürgerlichen Dekors. Bei Visconti habe ich häufig den Eindruck, eingeführt zu werden in die morbiden Reize einer Kultur, die nicht die meine ist. Bei Rosi habe ich auf eine eigentümliche Weise ein gegenteiliges Gefühl, das sich vielleicht am ehesten so umschreiben Hesse: hier wird öffentlich gemacht, was dahinter ist. Tausend Platten Tango?

Der Eindruck von Rosis Landschaften seit La sfida wird immer grossartiger bis auf den absoluten Gipfel im Eboli-Film. Es wird im Film selbst erzählt, inwiefern die Landschaft gleichsam selber tragisch ist in ihrem Verfall in der Unterentwickeltheit der Region. Und hier geschieht für mich noch einmal ein umgekehrter Bildgestus. Der Zuschauer wird eingeladen, sich auf etwas einzulassen, was vielleicht noch offen wäre in einer bedrohlich sich schliessenden Welt. Vielleicht ist das der Grund, warum ich auch den Eboli-Film in keiner Art und Weise als resignativ erlebe.

Manfred Züfle
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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