PETER SCHNEIDER

MELZER (HEINZ BÜTLER, JAN VOSS)

SELECTION CINEMA

Der Maler Mauro Melzer, in einer Krise, die er selbst als entscheidende erkennt, beschliesst, sich - wenigstens vorübergehend - aus dem Verkehr zu ziehen, und liefert sich in eine psychiatrische Klinik ein. Er ist ein starker Robert Walser-Leser, so stark, dass Walser aus ihm heraus spricht. (Selbstverständlich ist er der Meinung, dass Walser sich aus eigenem Entschluss in die Klinik gerettet hat; darüber liesse er nicht mit sich streiten.) Melzer kann es nicht ertragen, dass er, den die Umwelt verwirrt, von den anderen verhandelt und gehandelt wird. Kemer dürfte so tun, als kenne er ihn; aber alle tun es: die Freunde, die Galeristin, die Kunstliebhaber, die “einen Melzer” kaufen. Die Klinik erweist sich nicht als der sichere Ort, den Melzer gesucht hat: auch der Psychiater “kennt” Melzer, die Mutter sucht ihn auf, die Galeristin sucht ihn heim. Und plötzlich bringen seine Pfleger auch einen “echten Melzer” ins Haus. Er kann nur noch einmal flüchten. Derweil seine “Kenner” sich bei der Vernissage einer Melzer-Retrospektive treffen, lässt er sich von einer Hure bedienen, legt sich mit einem rabiaten Autofahrer an und trifft schliesslich in seinem ehemaligen Atelier auf die neue Mieterin, die nicht weiss, wer er ist; auf der Dachterrasse lernen sich zwei Unbekannte vorsichtig kennen.

Bütlers erster Spielfilm, der an seinen Dokumentarfilm Zur Besserung der Person über die Künstler aus Gugging anknüpft, gewinnt einer zentralen Problematik des neuen Schweizer Films einige wenige neue Züge ab, indem er sie - mit Hilfe der einschlägigen “heiligen Schriften” —expressis verhis formuliert. Auf dieser - literarischen - Ebene ist er ein brauchbares Reflexionsangebot.

Eine Verführung zur Verweigerung ist- wie man vielleicht annehmen konnte - Melzer nicht geworden. Die Identifikation des Films und seines Autors, wie auch jene des für die Rolle prädestinierten Darstellers (Rüdiger Vogler) mit der Kunstfigur geschieht gar nicht oder nur sehr zögernd. Alle bleiben aussen; nur Robert Walser ist drinnen. Eine subtile Spur von Ironisierung scheint manchmal feststellbar, verliert sich aber genau so diskret, wie sie ins Spiel gekommen ist.

Die Diskretion der Inszenierung lässt Melzer manchmal wie ein Remake anderer Filme (und, viel mehr, Fernsehspiele) erscheinen, was er nicht ist. Die Eigenheiten von Bütlers Erstling finden sich in den klar spürbaren Zwischenräumen zwischen dem “reingeschriebenen” Dialog und der objektiven, ängstlichen mise en seine. Produktive Differenzen ergeben sich zwischen den grossen Worten und der kleinen Musik der Bilder und Töne: in der Differenz zwischen Walser (und Hölderlin) und Michel Soutter, wenn man so will. (sb)

Peter Schneider
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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