PETER SCHNEIDER

CHAPITEAU (JOHANNES FLÜTSCH)

SELECTION CINEMA

Johannes Flütsch erzählt von einem Geiger, der, zufällig und beiläufig an einen Wanderzirkus geraten, seinem schlummernden und lockenden Traum vom Zirkusleben nachgibt und aus seiner gesicherten Stellung als Orchestermusiker, zumindest auf Zeit, wegläuft.

Chapiteau ist nun aber kein elaborierter und geschwätziger Diskurs über die reichlich bekannte Aussteigerproblematik, sondern zeigt ohne dramatische Ueberhöhung, dokumentarspielhaft verhalten, wie sich ein Aussenstehender einer geschlossenen und eigenwilligen sozialen Gruppe annähert und dabei doch immer fremd bleibt. Es sind stille, kleine Dramen der unüberbrückbaren Entfremdung und Einsamkeit, die Flütsch inszeniert hat. Leise Trauer durchdringt die Szenen, auch diejenigen, wo sich die Menschen zusammensetzen, um zu reden, zu trinken, zu festen.

Flütsch, der das Zirkusleben aus eigener Anschauung kennt, ist nicht dem tröstlichen, nichtsaussagenden aber gängigen Bild vom Zirkus als romantischem Hort einer wilden Freiheit verfallen. Der Idealisierung des nicht sesshaften Lebens, welches Bekräftigung und Lohn im allabendlichen Applaus in der Manege findet, setzt er die Härte, die Nässe, die Freuden des gewöhnlichen Arbeitsalltags gegenüber. Auf dieser naturalistischen Schilderung des ausserhalb der Manege sich abspielenden Lebens liegt das Hauptgewicht des Films. Die Bilder erzählen von der Einsamkeit und Geborgenheit im Wohnwagenlager, vom familiären Charakter des sozialen Gefüges, von Leuten, die andere, ungeschliffenere und rauhe Töne anschlagen, wenn sie sich mitteilen. Der Musiker bleibt da notwendigerweise immer ein Aussenseiter, ein stiller, scheuer, etwas unbeholfener Mitzügler. Flütsch belässt ihn in seiner Hilflosigkeit und Fremdheit, auch da, wo er sich schliesslich seinen Traum vom geigenden Clown im privaten Kreise zu erfüllen getraut. Ohne je eine versöhnliche, die Verschiedenheit von Musiker und Zirkusleuten überspielende Anbiederung inszeniert zu haben, endet der Film: Liebevoll und respektvoll ist er mit seinen Menschen umgegangen. Einem zurückhaltenden Realismus verpflichtet, vertraut Chapiteau ganz den kleinen Geschichten und Momenten. Der Film dramatisiert und überhöht sie nicht, sondern vernetzt sie durch eine aufwendige Montage zu einem Gesamtbild, das unspektakulär, aber dicht, Zirkusleben mitteilt, wie es alltäglich und unromantisch ist.

Peter Schneider
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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