PETER SCHNEIDER

DAS SCHLESISCHE TOR (CLEMENS KLOPFENSTEIN)

SELECTION CINEMA

Klopfenstein hat Bilder gemacht, wie man sie so friedlich unbestimmt dann findet, wenn man neu auf unbekanntes Gelände kommt und noch nicht weiss, was darüber auszusagen, und was aus dem allgemeinen atmosphärischen Eindruck hervorzuheben wäre. Der Blick verbohrt sich nicht, er fasst nichts ins Auge, er schweift weit, er folgt der Bewegung der S-Bahn, orientiert sich an einem Warnschild, einer Telefonzelle, gleitet weiter, belässt alles in der Nebensächlichkeit. Die Bilder der Aussenwelt, von der Nacht am Schlesischen Tor, dem Tag in Tokio und Hongkong sind von unprätentiöser Selbstverständlichkeit. Durch die Montage fangen die Bilder zu sprechen an. Sie artikulieren den Lauf des Lichts um die Welt: Fällt in Berlin die Nacht, gleisst im Osten das Licht überweiss. Zu dieser realistischen Aussage gesellt sich eine poetische: Die Bilder beider Weltteile werden durch unterlegte “amerikanisierte” chinesische Musik eigenartig entwirklicht. Die Poesie versucht die Welt zusammenzufügen, welche durch den unabänderlichen Lauf der Zeit getrennt ist in Ost und West, in Tag und Nacht.

Unruhig ist der Kamerablick im Innenraum, im Zimmer in Berlin. Wo sich nichts tut, fangen die Augen zu suchen an: Der Blick verfängt sich an der Telefonleitung, an der Fussleiste, gleitet über aufgehängte Stiche, fixiert eine Ecke und entdeckt wieder nichts anderes als Hell/Dunkel. Ueberraschend kommt Bedeutungsträchtiges ins Bild: Briefe, die auf dem Tisch liegen, der Summton des Telefons, der zur Herstellung einer Verbindung auffordert. Klopfenstein fixiert auch hier keine Bedeutung, es belasst es beim Hinweis auf die Kommunikationsmittel.

Das Schlesische Tor überlässt es dem Zuschauer, die Verbindung aufzunehmen.

Peter Schneider
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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