MARTIN SCHAUB

ROTHENTHURM — BEI UNS REGIERT NOCH DAS VOLK (EDWIN BEELER)

SELECTION CINEMA

Der einzige politische Interventionsfilm der vergangenen paar Jahre kommt mit einer bemerkenswerten Ruhe daher. Er schaltet seine verschiedenen Elemente (und Argumente) linear hintereinander und überlässt bis zur Schlusseinstellung Kritik und Kommentar den Betroffenen. Die Schlusseinstellung — im März 1984 aufgenommen — zeigt einen Bagger an der Arbeit, einer Arbeit, die von der Mehrheit der Betroffenen und von über 140.000 Referendumunterzeichnern nicht gewünscht wird. „Waffenplatz nie“ hiess der Slogan der Gegner des EMD-Pro- jekts mitten im landwirtschaftlich genutzten Hochmoor, die von der offiziellen Politik ignoriert (und zum Teil auch diffamiert) worden sind. Die Einstellung mit dem Bagger ist der zweite Teil einer Klammer, die den Diskurs zusammenhält; der erste ist eine fotografische Reportage vom Besuch des damaligen EMD Chefs Andre Chevallaz, in der einige Gesichter des Films bereits auftauchen.

Der Film argumentiert auf zwei Ebenen, auf einer konventionell politischen und auf einer „grünen“. Bilder, unterlegt mit der leicht dissonanten Volksmusik von Christian Betschart und der Gruppe „Kene“, gliedern die politische Geschichte in Abschnitte: lang ausgehaltene Einstellungen und einige Schwenks über eine dem Tod geweihte Landschaft, eine untergehende Heimat.

Der Bauer im „Nesseli“, Adolf Besmer, dessen Heimat im Zielgelände des geplanten Schiessplatzes liegt, führt in einem langen Interview (in dem er zusehends auch Vertrauen zur Kamera und dem Befrager fasst) durch die nun ein Jahrzehnt dauernde Geschichte und zugleich ganz sachte — zuletzt sieht man ihn mit dem Jüngsten auf den Knien — an das eigene bäuerliche Heimatsgefühl heran, dieses ausdauernde Gefühl, das der Opposition den langen Atem verleiht. Die politischen Kommentare äussert er in Frageform oder als Hypothese. Die durch und durch auf dem eigenen Mist gewachsene Form des Politisierens, die auch abgewertete Symbole wie „Warnfeuer“ am Morgarten und Trachten nicht ausschliesst, greift auf den Film über, der in Schrifttafeln den Zuschauer immer wieder auf das sachliche Problem zurückführt, sich aber der Argumentation der Bergbauern fügt. Es gibt kaum polemische Zuspitzungen; nur gerade der Fluglärm über den Hochtalaufnahmen fällt heraus, diese Zukunftsmusik, die die Leute des Dorfes nicht wollen.

Die Vertreter der «offiziellen Politik versichern die Filmer (die Zuschauer) mit ruhigen Informationen und Beteuerungen, aber zwischen ihren Aussagen und jenen der Betroffenen werden Widersprüche deutlich, Widersprüche, die der Filmautor offen lässt, weil er nicht Recht haben, sondern einen Prozess darstellen und fördern will.

Gezeigt wird, dass die Bauern mit allen legalen politischen Mitteln gezwungen werden sollen, ihr Land „in höherem Interesse“ zu verkaufen und zu verlassen. „Der Bauer hat sein Land nicht zu Markt getragen“, heisst es dagegen einmal im Off oder „Mit Banknoten kannst du nicht bauern. Die Kühe geben keine Milch davon“, und der alte Besmer spricht von „Militärdiktatur niedrigster Sorte“. Das „höhere Interesse“ stösst gegen das Recht auf Selbstbestimmung, ein Recht, das umso vehementer wahrgenommen wird, je erpresserischer und/oder verführerischer (Realersatz) die höhere Politik daherkommt.

Rothenthurm ist die schlichte Darstellung einer Bürgerinitiative und der Schwierigkeiten offizieller Politik, mit Bürgerinitiativen zurande zu kommen. Ihr bleiben bloss kleine Konzessionen und das Diktat. „Sonst werden sie ja von den Ihren ausgelacht“, meint ein Bauer.

Martin Schaub
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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