CYRIL THURSTON

A NAME FOR HER DESIRE (JACOB JOHN BERGER)

SELECTION CINEMA

Francesca Morel, ein Symbol für die unerreichbaren Lustvorstellungen der Männer: die Frau, die den Mann verführt und gleichzeitig zurückstösst. Francesca Morel andererseits, die zerbricht an der Spannung der unausgelebten Sinnlichkeit, da sie kein ihrer Lust ebenbürtiges Gegenüber finden kann oder will.

Auf den ersten Blick könnte einem der Film frauenfeindlich erscheinen. Reproduziert er nicht eben das klassische Bild der Frau, wonach diese als Giftzahn der Menschheit den Mann, unter Benützung ihrer sinnlichen Reize zu niederen Gelüsten verleitet und somit in den Sumpf der teuflisch sündigen, fleischlichen Lust hinunterzieht — den Mann, der doch zu hehren geistigen Dingen bestimmt ist? Der Film bewegt sich auf einer Grenze, die leicht zu Missverständnissen führen kann. Ebenso wie man diese frauenfeindliche Aussage finden kann, ist dem Film auch eine bissige Kritik der Projektion der männlichen Lust auf die Frau zu entnehmen. Die Männer, die sich immer wieder als unwiderstehlich empfinden; die die Frau letztlich zum Symbol ihrer eigenen, perversen, unausgelebten, sexuellen Phantasie degradieren. Der Off-Kommentar macht klar, dass Frauen ihre Lust immer durch ihren eigenen Körper ausdrücken, Männer hingegen durch den Körper einer Frau. Verdeutlicht wird die Unfähigkeit der Männer, ihre Lust durch eigene Empfindungen auszudrücken, auch durch die stellenweise angedeutete Gleichsetzung Francesca Morels mit dem wohl antiken Gemälde einer anmutigen, unantastbaren Frauengestalt. Die Frau wird so zum von den Männern geschaffenen Symbol für die Unmöglichkeit der Stillung ihrer auf abwegige Wunsch Vorstellungen fixierten Lust. Wenn einer der Männer in verzweifelter, entfesselter Lust im Rücken von Francesca Morel onaniert, so nimmt er in seinem Versuch nach Befriedigung nicht Bezug auf eine reale Francesca Morel, die begreiflicherweise nichts von ihm wissen will, sondern auf eben dieses fixierte, unfreie Bild seiner „eigenen“ Vorstellung von Lust, die sich in einer zugleich reinen wie sündig niederen Frau verkörpert. Ein Widerspruch in sich! Um diesen Widerspruch aufzulösen, muss der Mann wohl von seinen fixierten Lustvorstellungen loskommen.

Der Film spielt in der Bar einer amerikanischen Kleinstadt. Francesca Morel, die unbeweglich, in sich versunken in der Mitte des Raumes sitzt, ist von Männern umgeben, die alle ihre Lust auf sie projizieren. Vielleicht gibt es gar keine reale Francesca Morel. Vielleicht ist sie nur in der Vorstellung der Männer vorhanden. Auf jeden Fall existiert sie nicht so, wie sie die Männer sehen oder sehen möchten. Einzig allein das Kommen und Gehen, sowie vereinzelte innere Dialoge von Francesca Morel deuten auf ihre reale Existenz hin, eine Existenz, die schwer zu deuten ist.

Die einzige Schwäche des Films besteht im Spiel der Darsteller, das, auch wenn der Film als theatralische Allegorie zu verstehen ist, oft auf störende Weise unnatürlich wirkt. Im Ganzen gesehen ist Jacob John Berger aber ein dichter, stimmungsreicher, sorgfältig gestalteter Kurzfilm gelungen.

Cyril Thurston
geb. 1957, seit 1982 für die Programmierung des Kinos Xenix in Zürich mitverantwortlich, Mitarbeiter des Filmfestivals Locarno 1987/88, hat verschiedene Kurzfilme realisiert und ist seit 1991 mit einer Senegalesin verheiratet.
(Stand: 2019)
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