CYRIL THURSTON

PUNTI DI VISTA (BIANCA CONTI ROSSINI)

SELECTION CINEMA

Mit ihrem zweiten kleinen Film greift Bianca Conti Rossini wiederum einen Aspekt des Alltagslebens auf. Sie beschreibt die Begegnung zweier Personen, deren Weg sich einen Augenblick lang kreuzt. Eine Frau und ein Mann bewegen sich im Labyrinth der Pariser Metro. Gezeigt wird die Stimmung in den Waggons, in den unendlich langen Gängen der Stationen, auf den Perrons der einzelnen Haltestellen. Gezeigt wird aber auch die Unfähigkeit der Leute, miteinander zu kommunizieren. Das vorsichtige Abtasten und Suchen der Augen — aufmerksam genug wären wir ja meistens. Die beiden bemerken sich, und zeitweise treffen sich gar ihre Blicke. Hinschauen, um sich kurz darauf beschämt wieder abzuwenden. Sie kommen einander näher, dies obwohl sie kein Wort miteinander wechseln. Das Ende des gemeinsamen Weges ist der Ausgang einer Metro-Station. Um wieder ans Tageslicht zu gelangen, wählen sie die sich seitlich gegenüberliegenden Aufgänge.

Die Autorin hat die Schauplätze treffend ausgewählt, indem sie die Handlung in den kalten, modernen Neubaustationen angesiedelt hat. Sie verstärkt und bekräftigt dadurch das Spiel der verhinderten Begegnung symbolisch. Der Film ist sorgfältig und gut gestaltet, inhaltlich wie formal dicht. Trotzdem gelingt es dem Film nicht, den gesetzten Anspruch zu erfüllen. Der Versuch, die Stimmung der Situation hautnah zu vermitteln, ist nur teilweise geglückt. Vielleicht reichen dazu die achteinhalb Minuten des Films nicht aus. Anzukämpfen aber hat der Film sicher auch gegen die realen Bilder, die uns tagtäglich in Bus, Zug, Strassenbahn, oder eben der Metro entgegentreten. Als nahezu peinlich und sehr konstruiert erscheint der Schluss des Films. Die beiden stossen nach dem Aufgang aus der Metro zusammen und entfernen sich darauf in verschiedene Richtungen. Spürbar ist das Engagement und der Wille der Realisatorin, ein durchaus schwieriges Thema anzugehen. Ein Film, der einem auf jeden Fall näher geht als all die salopp und flott „gestiefelten“ dämlichen Stories.

Cyril Thurston
geb. 1957, seit 1982 für die Programmierung des Kinos Xenix in Zürich mitverantwortlich, Mitarbeiter des Filmfestivals Locarno 1987/88, hat verschiedene Kurzfilme realisiert und ist seit 1991 mit einer Senegalesin verheiratet.
(Stand: 2019)
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