CYRIL THURSTON

DER NACHBAR (MARKUS FISCHER)

SELECTION CINEMA

Der Polizeibeamte Georg Walz hat bei der Verfolgung eines Arabers eine unschuldige Frau geisteskrank geschossen. Er wird darauf aus dem Dienst entlassen und vorzeitig pensioniert. Sein Missgeschick, das verheerende Folgen zeitigte, belastet seither sein Gewissen. Das unschuldige Opfer tut ihm leid, er möchte der Frau gerne helfen, muss sich aber damit abfinden, dass sie unheilbar krank bleiben wird. Georg Walz will für diese Schuld nicht alleine einstehen müssen. Schliesslich hat er einen flüchtenden Mann verfolgt, der ihn zuvor mit einem Messer verletzt hatte und den er infolgedessen an seinem irrtümlichen Treffer als mitschuldig betrachten kann. Georg Walz hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Mann zu finden, ihn hinter Gitter zu bringen. Er betrachtet sich nach wie vor als den Polizisten Walz und glaubt, sich weiterhin als solcher verhalten zu können. Von seiner kleinen Wohnung aus beobachtet er Rita, seine Nachbarin, die eine frappante Ähnlichkeit mit seinem damaligen Opfer hat. Georg Walz fühlt sich von dieser Frau angezogen und möchte gerne mehr wissen über ihr Leben. Bei einer günstigen Gelegenheit installiert Walz Abhörwanzen in Ritas Wohnung und entwendet ihr Super-8-Filme. Walz dringt damit ein Stück weiter in ihre Privatsphäre ein. Rita liebt den Marokkaner Ali, über den Walz hofft, Zugang zum gesuchten Mann zu finden. Die Beziehung zu ihrem früheren Freund hat Rita abgebrochen. Als dieser eines Tages in ihre Wohnung eindringt und sie mit dem Messer bedroht, kommt ihr Walz zu Hilfe. Es gelingt ihm, den Ex-Freund Ritas zu überwältigen, wobei dieser unglücklich zu Boden fällt und sich das Genick bricht. Walz gerät in Panik. Aus seiner Optik hat er in Notwehr gehandelt und wiederum schiebt er die Schuld von sich. In seinem Inneren fühlt er sich dennoch schuldig. Er bittet Rita, keinem Menschen etwas davon zu erzählen und schafft die Leiche fort. Rita, die sich sogleich am Tod ihres Ex-Freundes mitschuldig fühlt, willigt ein und macht sich damit zur Komplizin von Walz.

Markus Fischer schildert anhand der Person von Georg Walz die Schwierigkeiten eines alternden Mannes, sich von seinem früheren Beruf des Polizisten loszulösen. Sein Leben lang war Georg Walz Fahnder und Verfolger im Auftrag des Staates. In der Ausübung seines Berufes als Privatmann gerät er jedoch in den Bereich der Kriminalität. Ein Verweis des Regisseurs auf zwielichtige, oftmals fragwürdige Machenschaften der Polizei lässt sich da nicht übersehen. Mit der Pistole in der Hand glaubt Georg Walz sich Nachachtung verschaffen zu können. Die Schnüfflerei braucht er wie andere ihr tägliches Bier. Er bleibt Gefangener seines Berufs und dem verhaftet, was ihm lange Zeit sein Selbstwertgefühl vermittelte. Erst als er endlich den gesuchten Marokkaner aufspürt und anschliessend stellt, überwiegen seine Zweifel. Die zwei irrtümlichen Opfer, die Walz bisher verschuldet hat, belasten sein Gewissen, haben aus ihm einen gebrochenen Mann gemacht. Er lässt seine Pistole fallen und wendet sich vom Gesuchten ab. Der Nachbar ist ein spannend gestalteter Schweizer Kriminalfilm. Markus Fischer greift unterschiedlichste Themen, wie das Aufeinanderprallen zweier Kulturen bei der Beziehung zwischen Rita und Ali oder das Verhältnis der jungen Frau Rita zum älteren Mann und Nachbarn Georg Walz auf. Die erwähnten Motive bleiben aber zugunsten der Haupthandlung nur angetönt, können nicht in wünschenswerter Art behandelt werden. Markus Fischer hat in Rolf Hoppe einen überzeugenden Darsteller für die Rolle des Polizisten Georg Walz gefunden. Nicht zuletzt ist es ihm zu verdanken, dass die Geschichte Substanz aufweist, dass dieser Krimi zu einem inhaltlich dichten Film geworden ist.

Cyril Thurston
geb. 1957, seit 1982 für die Programmierung des Kinos Xenix in Zürich mitverantwortlich, Mitarbeiter des Filmfestivals Locarno 1987/88, hat verschiedene Kurzfilme realisiert und ist seit 1991 mit einer Senegalesin verheiratet.
(Stand: 2019)
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