CYRIL THURSTON

FAITS D’HIVER (DANIELLE GIULIANI, DANIELE BUETTI)

SELECTION CINEMA

In experimentellen Bildern und mit einer sehr anspruchsvollen Struktur erzählt Faits d’hiver Episoden aus dem Leben eines Lastwagenfahrers und dessen Kind. Der kleine Bub, der seinen Vater und dessen Camion bewundert, strickt seine eigenen Phantasien von einer Lastwagenwelt. Der Film spielt auf zwei Ebenen. Einerseits ist da der eher monotone Alltag eines LKW-Fahrers, der mit seinem riesigen Lastwagen über unendlich in die Tiefe gehende Landstrassen fährt, der mal in einem Fernfahrerspunten bei Schnitzel und Pommes Frites Rast macht, immer begleitet von seinem kleinen Sohn. Andererseits sehen wir traumhafte Bilder einer alles ausfüllenden Spielzeugautowelt, die wohl der kindlichen Phantasie des kleinen Buben entsprechen sollen. Der Knabe steht am Fenster einer Fabriketage und schaut direkt auf die Autobahn. Grossaufnahmen von zerlegten Spielzeuglastwagen, so prominent ins Bild gebracht, dass sie, obwohl nur Miniaturen, übergross erscheinen. Entsprechen diese mystischen, surrealen Bilder wirklich einer kindlichen Phantasie? Sind sie nicht vielmehr ein ästhetisches, künstliches Konstrukt der Autorinnen, ihre Projektion von Kinderphantasien? Zu intellektuell, zu gesucht, zu artifiziell, um der spontanen Imagination eines Kindes zu entspringen? Der Film ist eine eigenartige Kombination von Roadmovie und abgehobenen, verfremdeten, fast abstrakt wirkenden Traumbildern: eine ungewohnte Verbindung. Dem Zuschauer mag es schwer fallen, eine inhaltliche Verbindung zwischen den zwei Ebenen herzustellen. Der Film wirkt denn als Ganzes auch angestrengt intellektuell, und das, obwohl die einzelnen Sequenzen ganz klar einen emotionalen Gehalt haben. Nur sind die zwei Teile zu disparat, um spontan miteinander verknüpft werden zu können. Was am Film überzeugt, ist die Bereitschaft der beiden Autorinnen, sich auf ein experimentelles Wagnis einzulassen, kreativ nach neuen Bildern, einer neuen Filmsprache zu suchen.

Cyril Thurston
geb. 1957, seit 1982 für die Programmierung des Kinos Xenix in Zürich mitverantwortlich, Mitarbeiter des Filmfestivals Locarno 1987/88, hat verschiedene Kurzfilme realisiert und ist seit 1991 mit einer Senegalesin verheiratet.
(Stand: 2019)
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