NIKLAUS OBERHOLZER

IM LAND KOLLOMBYE? (HEINZ BÜTLER)

SELECTION CINEMA

1980/81 drehte Heinz Bütler einen Film über verschiedene kreativ tätige Patienten der psychiatrischen Klinik von Gugging/Klosterneuburg bei Wien. Zwr Besserung der Person lautete der Titel, und unter der gleichen Überschrift publizierte Bütler später ein Buch über diese von Leo Navratil betreuten Patienten. Schon in Zur Besserung der Person spielte August Walia eine wichtige Rolle: Die massige Gestalt dieses Mannes, der mit seiner uralten Mutter in einer bescheidenen und mit tausend Fundsachen vollgestopften Wohnung lebte und einen Schrebergarten an der Donau bewirtschaftete, blieb jedenfalls klar in der Erinnerung haften.

Im neuen Film wendet sich Bütler nun ganz August Walia zu. Seine Mutter lebt heute im Altersheim, er selbst im Künstlerhaus in Gugging. Seine Kreativität ist jedoch ungebrochen — in Bild und Wort, im ganzen Gehabe. Hansueli Schenkel zeigt dieses ganze kreative Schaffen Walias sowie sein Umfeld in Gugging mit hervorragender, perfekter und gleichzeitig behutsamer Kameraführung.

Bütler braucht als Brücke zwischen Filmthema und Betrachter den Psychiater Navratil, den er im Film mit Walia reden lässt: Der Arzt befragt seinen Patienten nach seiner Biographie, nach seinen Lebensumständen, nach seinen Gefühlen, nach den Inhalten seiner Bilder und nach dem Sinn und der Bedeutung seiner Aktionen. Dies geschieht schlicht, bescheiden, ohne Aufdringlichkeit. Auch Heinz Bütlers Art ist geprägt von Zurückhaltung, vom Zurücktreten hinter der Person, der der Film gewidmet ist und deren skurril anmutendes, weiträumiges und oft geradezu phantastisches Weltbild voller Widersprüche und unstillbarer Sehnsüchte für den Zuschauer damit plastisch wird.

Grundsätzliche Fragen der Kreativität der Geisteskranken werden in diesem Film jedoch nicht erörtert, und Bütler thematisiert auch nicht die Haltung der Gesellschaft gegenüber den geisteskranken Menschen. Im Land Kollombye? ist damit also weder ein Psychiatrie- noch ein Antipsychiatriefilm. Der Verzicht Bütlers, dieses Umfeld zu diskutieren, ist verständlich angesichts der Ausdruckskraft der Bilderwelten August Walias. Allerdings verbleibt so manches im (unverbindlichen?) Bereich einer allzu ästhetisierten Welt, die so abgeschlossen, in sich so festgefügt ist, dass es kaum mehr etwas zu fragen gibt. Zur Besserung der Person war, obwohl ebenfalls kein „Antipsychiatrie-Film“ nach modischem Genre, darin wohl stärker, weil er in eindrücklichen Bildern auch den (Gefangenen-)Alltag der Patienten zeigte. Das Einzelporträt August Walias bringt gegenüber jenem Gruppenporträt damit nicht viele zusätzliche Elemente — bei aller Bewunderung, die man dem schön gemachten, ja berückenden Film entgegenbringen kann.

Niklaus Oberholzer
*1940, studierte Kunst- und deutsche Literaturgeschichte. 1974 wurde er Leiter des Kulturressorts des Vaterland, der Luzerner Zeitung und der Neuen Luzerner Zeitung. Er war Mitglied des Stiftungsrates von Pro Helvetia. Für seine Arbeit als Kunstvermittler wurde Oberholzer 1996 mit dem Anerkennungspreis des Eidgenössischen Departements des Inneren ausgezeichnet. Als freier Publizist schreibt er für Medien und Verlage.
(Stand: 2019)
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