MARTIN SCHAUB

UMBRUCH (HANS-ULRICH SCHLUMPF)

SELECTION CINEMA

Zum dritten Mal filmt Hans-Ulrich Schlumpf einen Untergang, und die zentralen Bilder sehen sich sogar ähnlich. In A.S. — j’ai le téléphone geht das Lebenswerk des Sonderlings Armand Schulthess in Flammen auf; in Kleine Freiheit müssen die Schrebergärten in den Zürcher Herdern bodeneben abgebrochen werden und brauchen die Vertriebenen schliesslich auch das Feuer; am Schluss von Umbruch packt ein Abbruchkran zu verschiedenen Malen ausrangierte Bleisetzmaschinen und lässt sie aus einigen Metern immer wieder zu Boden donnern. „Umbruch“ ist eine Leitvorsteilung im Werk Schlumpfs; schliesslich kann man auch die — fiktive — Entwicklung des Soziologen Roger Widmer in TransAtlantique unter sie subsummieren.

Schlumpf stellt die neuesten Entwicklungen im grafischen und Verlegergewerbe, die sogenannte Neue Technik, am Beispiel eines mittleren Betriebes im Zürcher Unterland dar. Schon ist der Verlag von einem Branchenmächtigen übernommen worden, und nun steht die Umstellung auf Lichtsatz bevor. In diesem Moment schaltet sich der Filmemacher ein und dokumentiert, was die Umstellung für jene bedeutet, die entweder umzulernen oder ihren Platz zu räumen haben (was allerdings keiner tut äusser, in einem leicht übertragenen Sinne, der Maschinensetzer Walter Imfeld, der zwei Jahre vor seiner Pensionierung nicht mehr umlernt, sondern den Termin als Korrektor abwartet). Schritt für Schritt, über einen Zeitraum von beinahe drei Jahren, zeichnet Schlumpf in dieser Langzeitstudie die Entwicklungen nach, ist er immer wieder zur Stelle, wenn etwas geschieht, blickt den Arbeitern über die Schultern oder— vor allem beim mühsamen, ungeliebten und deshalb psychisch und physisch extrem anstrengenden Umlernprozess — in die Gesichter.

Neben den evidenten, unbestreitbaren Stärken einer „Fallstudie“ — Genauigkeit, Nähe zu den Betroffenen, zum Teil auch Stimmung— hat Schlumpfs Perspektive auch Schwächen. Die Erweiterung des sich im Film konkret darstellenden Problems bleibt dem Kommentar, den Schlumpf selber spricht, überlassen. Und gewisse Aussagen dieses Kommentars werden durch das dokumentarische Material weder untermauert noch ausgewiesen. Der Sprung beispielsweise von einem Klein- oder höchstens Mittel Verlag zu Rupert Murdock ist zu gross; der „Kurs auf den Eisberg“ (Joseph Weizenbaum) liesse sich in Zürcher, Frankfurter, Pariser, Londoner oder New Yorker Zeitungsverlagen weit überzeugender darlegen als in Bassersdorf, wo eine „verlorene“ Landzeitung hergestellt wird usw.

In den Privatmedien hat die Neue Technik ihr vom Konkurrenzkampf mit den elektronischen Medien verkrampftes Gesicht schon viel deutlicher entlarvt als bei dem Fall, den Schlumpf — aus Gründen der Übersichtlichkeit — gewählt hat. In Andelfingen wird mit neuen technischen Mitteln noch die gleiche Zeitung hergestellt wie mit den alten. Der „Umbruch“ hat noch nicht auf den Geist des Produkts übergegriffen. Oder aber: Schlumpf weist es nicht nach.

Der Film, der in diesen meinen Feststellungen und Hypothesen hinter Hans-Ulrich Schlumpfs Umbruch aufscheint, wäre ein grösserer, teurerer Film, der von einem Einzelnen wohl auch kaum mehr geleistet werden könnte. Zum ersten Mal kommt mir der Zürcher Dokumentarfilmer als ein einsamer Warner (vor dem Unausweichlichen) vor, obwohl alles, was er zeigt (vielleicht nicht alles, was er sagt), genau, manchmal eindringlich, kurz „wahr“ ist. Vielleicht gründen meine Zweifel in einer Spur Nostalgie des Films, in einem zu seidigen Glanz auf den alten Maschinen oder in den anfangs erwähnten pathetischen Bildern der Zerstörung.

Martin Schaub
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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