PAULE PAULÄNDER

THE COURAGEOUS VIOLENT (JÜRG EGLI)

SELECTION CINEMA

Unter Wasser, in einem gekachelten Bassin. Ein Mann taucht ins Bild. Die Kamera bleibt statisch, auf sein Gesicht gerichtet. Der Mann hält sich schwimmend, aber aufrecht auf dem Bassingrund vor der Kamera. Aus seinem Mund lösen sich Luftblasen. Es sieht aus, als würde er reden. Es ist nur Musik zu hören, Worte sind keine zu vernehmen. In einer digitalen Laufschrift ziehen Textzeilen aus einem Canto von Ezra Pound über das Bild. Spricht der Taucher diese Zeilen Nach einiger Zeit erreicht der Sauerstoffmangel, beschleunigt noch durch die den Lungen entweichende Luft, als Luftsprechblasen sichtbar gemacht, eine obere Grenze. Mit Schwimmbewegungen gleitet der Taucher aus dem Bild, wohl um aus dem Wasser aufzutauchen.

Der Dylan-Übersetzer Roger Monnerat hat mich auf eine Strophe im Song „Desolation Row“ aufmerksam gemacht:

Praise to be Nero's Neptune

The Titanic sails at dawn

And everybody's shouting

„Which side are you on?”

And Ezra Pound and T S. Eliot

Fighting in the captain's tower

While calypso singers laugh at them

And fishermen hold flowers

Between the windows of the sea

Where lovely mermaids flow

And nobody has to think too much

- Bob Dylan

Lob sei Neros Neptun

Die Titanic fährt auch schon

Alle schreien durcheinander

„Auf welcher Seite bist du nun?“

Ezra Pound und T. S. Eliot

Kämpfen im Steuerraum

Während Calypso-Sänger über sie lachen

Und Fischer sich nicht trau’n

Zwischen den Fenstern in der See

Sind Meerjungfrau’n zu seh’n

Niemand denkt daran zu gehen

About Desolation Row

auf die Strasse ohne Trost

- Übersetzung Roger Monnerat

Dylans Bild vom im Meer versinkenden Dichter Ezra Pound steht in erstaunlicher Übereinstimmung mit den Bildern des Videos Courageous Violent (Der mutige Gewalttätige).

Das alles entspricht dann einer Zeit, in der Poeten und Dichter wohl weder gehört noch verstanden werden. Im Video wird das Werk eines grossen Poeten in gebrochener Bildsprache und stumm zur Aufführung gebracht. Es macht im videovisuellen Zeitalter offenbar wenig Sinn, ein Gedicht einfach nur zu hören. (Es sei denn als Rock’n Roll-Song. Da hat sich Dylan dem Schicksal seiner untergehenden Dichterkollegen noch entziehen können.)

Als Zuschauer ist es mir nicht gelungen, mir den Inhalt des Lauftextes zu merken. Was bleibt, sind einzig die Bilder. Und die haben mich schliesslich am meisten an einen Test im Rahmen der Ausbildung eines Astronauten oder eines Tiefseetauchers erinnert.

Paule Pauländer
ist Dokumentarist, Musiker und Kinogänger in Zürich. Ehemaliger Mitherausgeber des CINEMA.
(Stand: 2019)
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