VALÉRIE PÉRILLARD

DER TRAUM VON PARIS (JOHANNES FLÜTSCH, THOMAS TANNER)

SELECTION CINEMA

Es ist wie im Märchen, und so kommt der Film auch daher: Der Deutschschweizer Clochard Charly gewinnt bei einem Wettbewerb eine Reise für zwei Personen, ausgerechnet nach Paris. Seinen Freund René lädt er ein, ihn auf der Fahrt in die verheissungsvolle Stadt zu begleiten. Mit von der Partie ist allerdings auch das Filmteam von Johannes Flütsch und Thomas Tanner, das es glänzend versteht, die Traumreise in wunderschönen Bildern noch traumhafter zu gestalten.

Der Film beginnt im Zugabteil, wo die beiden Clochards dösen, zwischendurch zur Flasche greifen, plaudern. Dann Paris: Ein Spaziergang der Seine entlang, der Besuch einer Rennbahn, eine nächtliche Taxifahrt an den flirrenden Lichtern Montmartres vorbei. Sparsam sind diese Streifzüge durch Paris gesetzt, die Kernszene findet im einfachen Hotelzimmer statt: René und Charly tauschen Erinnerungen aus, René väterlich, Charly seinem Freund immerzu ins Wort fallend. René hat Bilder mitgenommen, die er gemalt hat. Er stellt sie auf dem Cheminée auf und erzählt von Begegnungen, welche ihn zu diesen Bildern inspiriert haben.

Die Grenzen zwischen Spontaneität und Inszenierung, zwischen Realität und Fiktion, verschmelzen. Daraus erwächst allerdings keine Spannung, sondern die allzu glatte Beschreibung einiger Stunden aus dem Leben von René und Charly, in weiches Licht getaucht.

Rührend sind die beiden Clochards, und sie verstehen es, sich in Szene zu setzen. Davon lebt der Film. Wenn René und Charly erzählen – handeln sehen wir sie wenig –, richten sie sich offensichtlich an die (virtuos geführte) Kamera und an die unsichtbaren Menschen dahinter. Transparent wird die Beziehung zwischen Filmenden und Gefilmten dadurch nicht, im Gegenteil. Irritierend wirkt, dass sich das Filmteam nicht zu erkennen gibt, obwohl seine Anwesenheit immer spürbar ist.

Wie in seinen früheren Filmen richtet Flütsch seinen liebevollen und faszinierten Blick auf Aussenseiterfiguren. Doch er verklärt die beiden Clochards, ohne jemals hinter die Kulisse zu schauen, die er selber aufbaut. Die Romantik des Films wird durch nichts gebrochen, es sei denn durch die Tragödien, die hinter dem lockeren Geplauder der Clochards durchschimmern. Exotisch wirken sie, und die Autoren machen aus ihrem Leben ein ästhetisches Rührstück. Die Frage stellt sich - vor allem dann, wenn das Publikum aus vollem Herzen lacht -, wessen Fiktion hier vermittelt und welche Realität dokumentiert wird.

Valérie Périllard
ist Volkskundlerin und Regieassistentin in Zürich.
(Stand: 2019)
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