CATHERINE SILBERSCHMIDT

LE TERRORISTE SUISSE (CHRISTIAN ISELI)

SELECTION CINEMA

Als ausführendes Mitglied des dreiköpfigen „Front de Liberation Jurassien“ (FLJ) hatte der Weinhändler und Hotelbesitzer Marcel Bolliat Anfang der sechziger Jahre mehrere Militärbaracken und zwei EMD-eigene Bahnhöfe angezündet sowie eine Eisenbahnschiene und einen Mast der SBB mit einer „kleinen Sprengladung“ versehen, um seine Heimat zu befreien. Dafür wurde er 1965 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach dreijähriger Haft verliess dann „le terroriste suisse“ mit Hilfe seiner Freunde die Strafanstalt und setzte sich ins Ausland ab. In Spanien erhielt er politisches Asyl. Letztes Jahre war nun seine Strafe verjährt. Bolliat kehrte nach zwanzig Jahren für zwei Wochen in den inzwischen gegründeten Kanton Jura zurück, um an der 40. Fête du peuple zur Wiedervereinigung aufzurufen und um sich als Held feiern zu lassen. Von Roland Béguelin wird er vor der applaudierenden Menge herzlich empfangen, obwohl heute der Rassemblement Jurassien bemüht ist, sich von jeglicher Gewalt zu distanzieren. Entsprechend vorsichtig äussert sich denn auch der heutige Volkswirtschaftsdirektor und ehemalige Anführer der Béliers, Jean-Pierre Beuret, in dem Film über den ungeliebten Helden von einst, der heute zum Vorbild der jurassischen Jugend geworden ist.

Soweit der politische und historische Rahmen, den Christian Iseli in seinem Film festhält. Im Zentrum steht jedoch die eigenwillige und enigmatische Person Bolliat, der heimatlose Held, dem sich der Regisseur im Dialog anzunähern versucht. In Spanien hat er den Freiheitskämpfer abgeholt und zeigt ihn in seiner heutigen Umgebung. Da sitzt er inmitten der Grossfamilie seiner zweiten Frau und wirkt verloren, lässt sich bedienen wie ein Kind. Ob er seine Taten bereue, will der Regisseur wissen. Er bereue gar nichts, in einer ähnlichen Situation würde er gleich handeln, entgegnet Bolliat mit feurigem Blick. „Mit mir nicht“, weist ihn seine resolute Gattin zurecht und man nimmt es ihr ab. Der grosse Held wird zum kleinen Mann. Erst als er im Bahnhof von Delémont von neugierigen Journalisten empfangen wird, lebt er wieder auf.

Vor der Kamera präsentiert sich Bolliat voller Witz und Humor, zeigt sein Sonntagsgesicht, was dahinter steckt bleibt dunkel. Seine oberflächlichen Äusserungen zur aktuellen Politik - der „Terrorist“ bezeichnet sich als „unpolitisch“ - sind ebenso widersprüchlich wie seine Person. Er ist ein heimatloser Anarchist ohne Theorie und Kleinbürger in einem, verleumdet seine ehemaligen Mitkämpfer als Feiglinge und führt seine Ehefrau und das Filmteam stolz an die Orte seiner grossen Taten.

Le terroriste suisse fasziniert durch die Lebendigkeit der Vergangenheits-Rekonstruktion, die über den Helden hinaus auf ein schnell vergessenes Stück Schweizer Geschichte verweist. Unbeantwortet bleiben allerdings Fragen, die sich auf den politischen Kontext beziehen. So bleibt unklar, weshalb ausgerechnet das Franco-Regime den „Terroristen“ nicht an die Schweiz ausgeliefert hatte.

Christian Iselin verzichtet auf eine Analyse der geschilderten Ereignisse. Widersprüche bleiben unangetastet, wie auch die Frage nach der Legitimation von Gewalt, die der Regisseur vorsichtig ausklammert. Sein filmisches Porträt lebt von der Faszination für die Geschichte seines Protagonisten, die er sorgfältig dokumentiert hat und die er ebenso spontan wie unverfänglich präsentiert.

Catherine Silberschmidt
ist freie Journalistin in Zürich.
(Stand: 2019)
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