PAULE PAULÄNDER

AUS ALLEM RAUS UND MITTEN DRIN (PIUS MORGER)

SELECTION CINEMA

Die Stadt gleicht einer Baustelle. Beat, Wali und Babs wohnen in dieser Stadt. An einem unmöglichen Ort inszeniert Beat eine Oper. Sie wird für ihn eine unübersichtliche Baustelle. Wali arbeitet in einer Druckerei. Kommerzielle Überlegungen lösen dort die ideellen Grundsätze ab. Wali kämpft dagegen. Die Lage wird aussichtslos. Er zieht eine folgenschwere Konsequenz.

Beat und Wali wohnen zusammen. Sie kennen die gleiche Frau - Babs. Sie hat zur Zeit kein Zuhause. Babs will alles, nimmt sich alles und bekommt fast alles. Unterdessen arbeiten die Arbeiter im Untergrund rund um die Uhr, und es gelingen ihnen die entscheidenden Durchbrüche.

Ein Gespräch in der Disco der Roten Fabrik, einem Kulturzentrum in Zürich:

Babs: „Wo wohnsch de du?“ - Häuserkämpfer: „A de Quartiergass füf.“ - Babs: „Im ene besetzte?“ - Häuserkämpfer: „Natürli, isch doch klar!“

Besetzte Häuser sind kein natürlicher Zustand in Zürich, im Gegenteil. An der Schmiede Wiedikon ist es zwar einmal gelungen, mit klugem Verhandeln und Taktieren über längere Zeit einige vom Abriss bedrohte Häuser zu bewohnen. Als daraus aber eine eigentliche Besetzung wurde, war auch die Polizei wieder zur Stelle.

Babs und ihre Freundinnen vom militanten Häuserkampf sind mehr aus allem raus als mitten drin, sie sind künstliche Figuren. Morger und Helbling haben den Puls der Szene verloren. Sie wollen ein Lehrstück über und für die Bewegungen herstellen, anstatt den Film zu deren Ausdruck und Abbild zu machen, wie das mit Zwischenbetonfahrten so schön gelungen war. Das Vermitteln von Inhalten steht so sehr im Mittelpunkt des Films, dass es den einzelnen Figuren nicht möglich wird, sich einen eigenständigen Ausdruck zu schaffen. So fällt der Film aus den achtziger Jahren zurück in die erstarrte und belehrende „Politikvermittlung“, wie sie Mitte der siebziger Jahre gepflegt wurde.

Eine Ausnahme sind die Szenen, in denen die Zustände in der Roten Fabrik geschildert werden. Da überwiegen Bildwitz, atmosphärische Schilderung und amüsante Situationskomik. Man merkt sofort, dass die Autoren mit der Roten Fabrik gut vertraut sind.

Wali arbeitet in einer selbstverwalteten Druckerei. Einer der Mitgründer dieses Kollektivs will nun den Betrieb modernisieren und gewinnorientierter arbeiten. Er findet eine schweigende Mehrheit für seine Pläne, denn wer hat schon etwas dagegen, für seine Arbeit besser entlöhnt zu werden. Wali will aber ein Stück Idealismus bewahren, und es macht ihm nichts aus, für einen guten Zweck (politische Solidarität) einen Preis zu offerieren, der kaum die Kosten deckt. Der Streit zwischen Wali und dem Rest der Genossenschaft eskaliert. Wali hat genug und steckt die von ihm in jahrelanger Selbstausbeutung mitaufgebaute Druckerei in Brand. Total unrealistisch. Brandstiftung an nichtkapitalistischen Strukturen ist doch die Waffe der politischen Gegner. Im Fall von Wali ist das doch ein Akt tiefster Depression und sicher keine befreiende Tat. Im Film trennt sich Babs von Beat, weil sie findet, er sei von seiner Operninszenierung so gefangen, dass mit ihm kein Aufbruch mehr möglich sei, und entscheidet sich für Wali. Gefangener als der, in seinen Widersprüchen und Unsicherheiten und mit der Brandstiftung in seinem Bürdeli, kann man doch wohl nicht sein.

Der Film wird dort immer wieder lebendiger, wo mit dokumentarischen Einschüben gezeigt wird, wie die Stadt Zürich umbebaut, unterbaut und überbaut wird.

Ein Freund von Babs Mutter, ein Ingenieur, wirft einen Blick über die Stadt, aus der die Baukräne wie Pilze aufgeschossen sind und murmelt: „Aber d’ Subschtanz isch doch zur Sau.“ Aber er meint natürlich ein altes Haus, das seiner Freundin gehört und das er abgerissen sehen will.

Paule Pauländer
ist Dokumentarist, Musiker und Kinogänger in Zürich. Ehemaliger Mitherausgeber des CINEMA.
(Stand: 2019)
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