CAROLA FISCHER

DREISSIG JAHRE (CHRISTOPH SCHAUB)

SELECTION CINEMA

Auch im zweiten Spielfilm des Zürcher Regisseurs Christoph Schaub stehen ausschliesslich Männer im Mittelpunkt. „Dreissig Jahre“ alt sind seine Helden, in einem Alter also, wo auch die Unentwegtesten der Jugendbewegten von ihren Träumen Abschied nehmen und sich mit der Wirklichkeit arrangieren müssen. „Die Ideale der Jugend aufgeben? Niemals“, das ist die Devise von Franz. Er ist das spirituelle Zentrum der Dreier-Wohngemeinschaft, die zu Beginn des Films vor der Tatsache steht, dass die Wohnung gekündigt und eine neue nicht in Sicht ist. Während seine beiden Freunde im Verlassen dieser Wohnung nur einen letzten Schritt sehen, der den Prozess des inneren Auseinanderdriftens nur noch materiell nachvollzieht, versucht Franz als Nachlassverwalter ihrer gemeinsamen Vergangenheit verzweifelt, die Gruppe zusammenzuhalten. Immer wieder versucht er, das Lebensgefühl von damals heraufzubeschwören. Mit geradezu kindlicher Naivität ist er bestrebt, eine Lebensform aufrechtzuerhalten, die vielleicht nicht gerade historisch überlebt, in seinem Fall aber eher eine Weigerung ist, erwachsen zu werden. Seine Appelle verhallen, seine Kittversuche misslingen, die Trennung wird vollzogen.

Aber auch als er nach einjährigem Aufenthalt in Barcelona zurückkehrt, wo er sich mit der Herstellung von aufblasbaren Plastikobjekten über Wasser gehalten hat, hält er an seinem Vorhaben fest, die Gruppe wieder zusammenzubringen. Er nistet sich bei Nick ein. Der schöne romantische Nick, der früher als Rockmusiker von Schallplattenerfolgen geträumt und jetzt die Gitarre in die Ecke gestellt hat, um seine ganze Energie ins Business zu stecken, betreibt einen Handel mit ausländischen Bieren. Schliesslich muss er für seine kleine Tochter sorgen, die bei ihm lebt. Thomas, der dritte im Bunde, ist dabei, eine international anerkannte Kapazität auf dem Gebiet der Hirnforschung zu werden. Der Preis, den er für diese Karriere zahlt, sind seine immer stärker werdenden Depressionen, die ihn von Zeit zu Zeit heimsuchen. Psychische Krisen, die für Franz willkommene Gelegenheiten sind, das Trio zu Hilfsaktionen zusammenzuführen.

Der Film erzählt keine Geschichte, sondern beschreibt eine Lebensphase. Er soll eine Reflexion über das Alterwerden einer Generation sein, für die berufliche Karriere und gesellschaftlicher Aufsteig nicht der Massstab aller Dinge sind. Die letzten Ausläufer der Nachachtundsechziger sozusagen, die sich dem Yuppietum noch erfolgreich verweigert haben. Der Verzicht auf eine wirkliche Handlungsstruktur, auf einen dramaturgischen Aufbau, ist die Schwäche des Films. So erweist sich der Auftritt eines vierten Freundes, Michi, der als Checkbetrüger verhaftet und eingelocht wird, als reiner Kunstgriff. Sein Auftauchen löst nichts aus - wenn man von dem gemeinsam veranstalteten Feuerwerk vor dem Gefängnis absieht. Aber als Adressat von Franzens Briefen ist er bestens geeignet, dessen Reflexionen über das Leben und die Entwicklung seiner Freunde entgegenzunehmen.

So vergibt der Film z. B. auch den einzigen Moment, wo eine gewisse Spannung aufkommt: Franz organisiert ohne Nicks Einverständnis einen Konzerttermin für ihn. Innert weniger Tage muss dieser ein Programm auf die Beine stellen. Dieses Konzert könnte ein Katalysator sein, daran könnte die innere Gebrochenheit (falls vorhanden) von Nick sichtbar werden. Aber die Spannung verpufft rasch. Nick übt, tritt vor wenigen aber begeisterten Zuschauern auf - fertig.

Das Dilemma des Films ist, dass es Schaub nicht gelingt, seine Figuren lebendig werden zu lassen. Sie sind flach und eindimensional, machen im Film keine Entwicklung durch. Er unterlässt es konsequent, sie in der Begegnung mit anderen Menschen ausserhalb des Gruppen-Ghettos zu zeigen. Wir erleben sie eigentlich nur aus der Optik von Franz, haben aber keine Möglichkeiten, seine Beobachtungen zu überprüfen. Die Abwesenheit der Frauen - real und in den Gesprächen - ist nur ein weiteres Indiz dafür, dass es dem Autor mehr um Ideen, denn ums wahre Leben geht. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass die Liebe oder der Sex im Leben der Männer um die Dreissig eine so rudimentäre Rolle spielen soll. Obwohl ich zugeben muss, dass die Kurzauftritte von Franzens Freundin nachgerade dazu geeignet sind, einen mit der Tatsache zu versöhnen, dass auf weitere weibliche Figuren verzichtet wurde.

Dieser Film ist umso enttäuschender, als Christoph Schaub tatsächlich eine der Hoffnungen des Schweizer Films ist. Er besitzt unbestritten die Fähigkeit, sich in Bildern auszudrücken, man spürt seine Absicht, einen poetischen Film über die Befindlichkeit seiner Generation zu machen. Man würde sich wünschen, dass er die gleiche Liebe und Sorgfalt, die er der Bildebene angedeihen lässt, auch für das Drehbuch aufwenden würde. Denn für eine Gruppe, die gemeinsam eine „Zeit der Wörter“ verlebt hat, sind die Gespräche, die auf der Leinwand stattfinden, eher dürftig. Wenn schon einen Diskurs im Film führen, dann aber in einer Sprache, die zupackend, treffend, lebendig und vielleicht sogar witzig ist.

Carola Fischer
geb. 1949, cinephile Germanistin, arbeitet in der Dokumentation „Wort“ des Schweizer Fernsehens DRS.
(Stand: 2019)
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