CAROLA FISCHER

BINGO (MARKUS IMBODEN)

SELECTION CINEMA

Bingo, der Titelheld dieses ersten langen Spielfilms des 35jährigen Berner Regisseurs Markus Imboden, ist ein grobschlächtiger, grossmauliger Bär von einem Mann. Sein Mundwerk ist den ganzen Tag in Bewegung - Unmengen billiger Esswaren verschlingend, die mit unzähligen Bieren die Kehle hinabgeschwemmt werden, dazu einen Redeschwall produzierend, der das Gelingen eines Lebens herbeireden will, den perfekten Coup, das grosse Geld, oder aber die Zuneigung der Barmaid Erika. Der Prototyp des ewigen Underdogs und Verlierers, der zwar das Herz auf dem rechten Fleck hat, aber trotzdem die Nerven seiner Umwelt mit seinem ewigen „Geschnurre“ und „Gemischel“ arg strapaziert. Sein Freund Stur- zi, den er zu Beginn des Films vom Gefängnis abholt, ist von feinerer Wesensart, eher der Typ des Gentleman-Gangsters, bescheiden und zurückhaltend, mit gepflegten Umgangsformen und von einer ruhigen Liebenswürdigkeit, die ihn sowohl im Gefängnis als auch im Restaurant zum gerngesehenen Gast macht. Und er hat einen Lebenstraum, den er nach dem Knastaufenthalt in die Tat umsetzen möchte: eine Reise nach Brasilien. Diese möchte er zusammen mit seinem rauhbeinigen Freund antreten, das Geld hat er in den Gefängnisjahren zusammengespart. Bingo hat andere Pläne. Sturzi soll bei einem Banküberfall Schmiere stehen, den er mit einem Kumpel geplant hat.

So verbringen sie ihre ersten gemeinsamen Tage, im Zürcher Langstrassenquartier umherziehend, Sturzi seine Brasilien-Pläne schmiedend, und Bingo an dem Problem kauend, wie er den Freund zur Teilnahme an dem Raub überreden könnte. Die Lösung kommt von amtlicher Seite. Sturzi erfährt von seinem Amtsvormund, dass er über seine 20 000 Franken nicht selbst verfügen darf. Jetzt bleibt den beiden keine andere Wahl, als mit illegalen Mitteln zu dem Geld zu kommen, das sie für ihren Trip brauchen. Und so nimmt das Schicksal seinen - vom Zuschauer befürchteten - Lauf. Der äusserst dilettantisch ausgeführte Überfall gelingt zwar - nicht zuletzt dank der professionellen Geistesgegenwart des alten Hasen, Sturzi, aber die Polizei schaltet schnell und Bingo ist nun einmal kein Glück beschieden auf dieser Welt. Er stirbt bei einer Razzia.

Zum Glück sind wir nicht in der Sparte sozialkritischer Problemfilm. Und was man kaum zu hoffen wagte, trifft ein. Sturzi, der Hoffnungsträger, hebt in Kloten ab, nachdem er der Polizei ein raffiniertes Schnippchen geschlagen hat. Für den mit berechtigten Zwei fein gegenüber dem schweizerischen Unterhaltungs-Filmschaffen behafteten Zuschauer ist der Film eine angenehme Überraschung. Zwar ist er nicht rasend lustig, aber von einer gewissen Liebenswürdigkeit, die er seinen beiden Hauptdarstellern verdankt. Gnädinger mimt den ungehobelten grossen Dunklen mit der ihm eigenen Präsenz und Glaubwürdigkeit. Ruedi Walter, dessen früher, unerwarteter Tod diesen Film zu einem Dokument macht, verabschiedet sich in dieser, seiner letzten Rolle in anrührender Weise. Seme zarten Liebeshändel mit der verwitweten Serviertochter aus dem Schell-Clan sind ebenso einnehmend wie seine schlitzohrige Verschmitztheit, mit der er zeigt, wie einfach man in einem mehrstöckigen Parkhaus zu einem Auto kommen kann (nämlich indem man dem noch vollen Einkaufswagen eines einladenden Migroskunden einen gehörigen Stoss in die richtige Richtung versetzt).

Bingo ist unprätentiöses Kinohandwerk, das anstrebt, Herrn und Frau Schweizer zu unterhalten, was er anständiger macht als Kollege „Nötzli“, und was ihm auch gelingt, wenn man das Locarneser Publikum zum Massstab nehmen will. Obwohl die Dialoge nicht umwerfend geistreich, das Tempo eher schweizerisch behäbig ist, wurde viel und freudig gelacht.

Carola Fischer
geb. 1949, cinephile Germanistin, arbeitet in der Dokumentation „Wort“ des Schweizer Fernsehens DRS.
(Stand: 2019)
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