PIERRE LACHAT

JEMAND - ODER DIE PASSION ZUM WIDERSTAND (KASPAR KASICS)

SELECTION CINEMA

In den dreißiger Jahren trugen auch in Zürich junge Sozialisten noch stramm Uniform und hielten weniger Demonstrationen im späteren Sinn des Wortes ab als vielmehr, Fahne voran, in Reih und Glied zum Klang von kernigen Kampfliedern, eigentliche Aufmärsche. Heute hat dagegen die Desorganisation der Linken, der Individualismus, der unter ihren Anhängern grassiert, ein Maximum erreicht. Unter dem Titel „Zürich 1990“ wurde zum Beispiel versucht, mit Blick auf die städtischen Wahlen, versprengte Restbestände der Bewegungen von 1968 und 1980 in einem losen Verband zu sammeln, ohne Programm, ohne Grundsätze, ohne was immer nach Partei oder dem einen oder anderen Ismus aussehen konnte. Heute gilt dieses, morgen jenes, übermorgen wird aufgelöst, dann wieder neu gegründet. Heute und damals, die Jungen und die Alten, die Tränen in den Augen der Kämpfer, die an den neuen Menschen und an eine klassenlose Gesellschaft glaubten, die sich mit den Fröntlern herumprügelten und die einiges erreicht haben wollen, wenn auch bei weitem nicht alles, wovon sie träumten und was sie auch jetzt noch für das einzige wahrhaft Erstrebenswerte halten. Das alles versucht Kaspar Kasics, manchmal etwas verkrampft, aber mit spürbarer Leidenschaft, in sein Video zu fassen. Elegant, wenn auch nicht immer sinnfällig, unterschneidet er sein Essay mit Bildern von einer Aufführung der Arbeiter-Kantate Jemand“ 1988 im Volkshaus, zu der sein Vater Tibor Kasics die Musik schrieb.

Die Tradition der Zürcher Lokalpolitik, die Wiederkehr gewisser Abläufe, die historische Tiefe, vor der die gegenwärtigen Zustände zu sehen sind, das alles findet sich zu einer vielsagenden, schon fast philosophischen Betrachtung zusammen, die gegen das Allerschlimmste, nämlich gegen das rasche Vergessen, wirken will.

Pierre Lachat
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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