DORIS SENN

JÎYANA ME - UNSER LEBEN VIER FRAUEN AUS KURDISTAN (DOROTHEA KEIST, CRISTINA KARRER)

SELECTION CINEMA

Nisê ist zwischen 50 und 60 Jahre alt und nach einem Leben der Flucht wieder in ihren Heimatort im irakischen Teil von Kurdistan zurückgekehrt. Den verwilderten Boden bebaut sie mit der „Gelassenheit jener, die immer wieder bei Null anfangen müssen“. Sic klagt die Verschleppung von Ehemännern, Vätern, Brüdern und Söhnen an, die Bombenabwürfe und Hauszerstörungen, die wenigen Arbeitsmöglichkeiten, die nur ein karges Auskommen gewähren. Und sie stellt immer wieder die Frage nach dem Warum und danach, wie ein menschliches Herz soviel Leid aushalten könne. Und trotz allem - was könnte ihren Lebenswillen, ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft zutreffender symbolisieren als die Wiege eines Neugeborenen, die sic die ganze Zeit über schaukelt, während sie erzählt?

Sozdar ist 23 Jahre alt und schon als Kind aus dem türkisch besetzten Kurdistan nach Deutschland emigriert. Seit einem Jahr ist sie politisch in der PKK engagiert und lebt jetzt in Basel. Die Organisation bedeutet ihr alles: Geborgenheit, Freundschaft und Weg zu einer gerechteren Gesellschaftsordnung.

Nahîda ist engagierte Frauenärztin und Spitaldirektorin in der irakisch-kurdischen Millionenstadt Sulcymanya. Sie ist geschieden und lebt zusammen mit ihrer zwölfjährigen Tochter. Seit Jahren aktiv in der Frauenunion einer liberalen Partei, für die sie auch kandidierte, setzt sie sich in ihrer Arbeit und politisch für das Leben und die Rechte der kurdischen Frauen über alle Parteigrenzen hinweg ein.

Die 18jährige Esmer schließlich ist seit anderthalb Jahren verheiratet und absolviert bei der marxistisch-leninistischen Gruppierung Komela in Irakisch-Kurdistan eine Ausbildung zur bewaffneten Kämpferin. Für Freiheit und

Gerechtigkeit für ihr Volk im Iran ist sie bereit, ihr Leben zu opfern.

Vier Frauen, Angehörige eines vertriebenen, verfolgten Volkes, erzählen ihre Biographien, sprechen über ihre Hoffnungen. In ruhigen, zurückhaltend gefilmten Bildern gewinnen wir Einblick in ihr Leben, in ihre alltäglichen Arbeiten, ihre Aktivitäten, die ihr Engagement im politischen Kampf ausmachen. Die eindringlichen Porträts lösen sich ab, sind in sich geschlossen. In einfühlsamer Weise legen sie Facetten einer von Schlagzeilen und Schlagwörtern der Tagespresse verborgenen Aktualität frei: was die Verfolgung des kurdischen Volkes für die Frauen bedeutet. Manifest wird dabei, daß gerade für sie als Frauen der politische Kampf eine Chance ist, traditionelle Rollenmodelle aus den Angeln zu heben, Gleichberechtigung zu leben und einzufordern.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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