SABINA BRÄNDLI

WACHTMEISTER ZUMHÜHL (URS ODERMATT)

SELECTION CINEMA

Wachtmeister Zumbühl ist unausstehlich gradlinig. Er gilt als fanatisch, weil er unerbittlich den Buchstaben des Gesetzes anwendet - ohne Rücksicht auf Verluste. Dem Gemeindepräsidenten entzieht er den Fahrausweis wegen maßlosen Alkoholkonsums. Das kostet Zumbühl seinen Posten. Den eigenen Sohn Albin zeigt er wegen der brutalen Vergewaltigung Marias an. Damit schadet er zwar auch dem Opfer, denn Marias Liebschaft mit Johnny wird die Veröffentlichung der Schändung nicht überleben. Doch Zumbühls Gerechtigkeitssinn erlaubt nur zwei Reaktionen: Entweder heiratet Albin sein Opfer, oder die Geschichte muß polizeilich geahndet werden. Weil Maria den Heiratsantrag Albins ablehnt, sieht sich Zumbühl gezwungen, seinen Sohn zu überführen.

Urs Odermatt zeichnet das Porträt eines engstirnigen Urschweizers. Gerechter, als es die Polizei erlaubt, will Zumbühl sein: ein ordentlicher, pünktlicher, untadeliger Bürger. Wenn ihn niemand mag, so haben die Leute oft recht, weil er mit seiner Verbissenheit manchem das Leben unnötig schwermacht. Nur ansatzweise deutet Odermatt auch den weichen Kern unter der rauhen Schale an: die Einsamkeit und Empfindsamkeit des Gerechten.

Odermatt siedelt die Geschehnisse in den sechziger Jahren an, ohne daß dadurch die Geschichte an Profil gewänne. Die Historizität bleibt eine Sache des Dekors. Das treuherzig dankende „Negerli“ auf dem Missionskässeli liefert lediglich Zeitkolorit, ohne die Handlung voranzutreiben.

In einigen Dialogpassagen bringt der Autor die Positionen wunderbar auf den Punkt. In solchen Miniaturen vermag er ganze Lebensschicksale zu verdichten: Wir brauchen nicht mehr als die wenigen lakonischen Sätze des Wachtmeisters, und wir sind über seine gescheiterte Ehe im Bild. Auch der von Zumbühl diktierte Heiratsantrag zeigt durch einen gezielten Versprecher des Jungen, daß dieser zeit seines Lebens unter der Knute des Vaters gelitten hat. Auch atmosphärisch und szenisch sind Odermatt eindrückliche Momente geglückt. Der frauenlose Haushalt wird ebenso beiläufig plastisch wie die latente Gewalt im Steinbruch des Gemeindepräsidenten.

Trotzdem wahren wir bis zum Schluß die Distanz zum Geschehen auf der Leinwand. Der Grund ist wohl in der Überforderung der Schauspielerinnen zu suchen. Das Mädchen hat nicht nur das Trauma einer Vergewaltigung zu verarbeiten, sondern muß ihren Vergewaltiger auch noch vor dem Selbstmord retten. Der Junge muß nicht nur stottern, sondern seinem Opfer, das er liebt, auch noch einen Heiratsantrag machen. Und Zumbühl selbst darf selten mehr als verbissen dreinschauen und ein „Schafseckel“ zwischen den verkniffenen Lippen hervorbringen. Daß die Darsteller auf solche schauspielerische Herausforderungen mit Überchargieren antworten, ist auch dem Regisseur anzulasten.

Sabina Brändli
geb. 1963, lic. phil. I, Filmwissenschaftlerin und Historikerin, Assistentin und Lehrbeauftragte an der Universität Zürich, dissertiert über Männer-Leitbilder im 19. Jahrhundert, Mitherausgeberin und -autorin von Sowjetischer Film heute, Baden 1990.
(Stand: 2019)
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