KATHLEEN BÜHLER

ZWISCHENTÖNE (BERNHARD NICK)

SELECTION CINEMA

Ursprünglich plante Bernhard Nick einen Film in Sonatenform, ließ das Projekt dann aber fallen, um nun einen Filmessay vorzulegen, der sich ohne rigide Formvorgabe der Musik widmet. Der Aufbau von Zwischentöne kommt allerdings demjenigen des ersten Sonatensatzes erstaunlich nahe. In der Exposition werden fünf Musikerpersönlichkeiten aus den Sparten Klassik, Volksmusik, experimentelle Musikperformance sowie Jazz vorgestellt und wie musikalische Motive eingeführt. Bernhard Nick skizziert die Bedeutung der Musik in ihrem Leben und spürt den Facetten ihrer Musikalität im normalen Tagesablauf nach. Sei es der Radiowecker beim Aufwachen, das Summen beim Rasieren oder das rhythmische Einschlagen von Zeltpflöcken beim Aufstellen des Zirkuszeltes. Die eher vertrauten Alltagswelten der Schülerin Caro, der Musiklehrerin Pia und des Mechanikers Werner werden wirkungsvoll kontrastiert mit der exotisch anmutenden Welt des freischaffenden Musikperformers Philipp sowie des polnischen Zirkusmusikers Krisztof.

Im Mittelteil, der »Durchführung«, verläßt Bernhard Nick die Struktur des Tagesablaufes und weitet die Frage nach der Rolle der Musik im ganzen Leben aus. Bewußt nähert er die Lebensbereiche der unterschiedlichen Musiker einander an. Da im ganzen Film kaum gesprochen wird, greift der Filmemacher zum musikalischen Kommentar, indem Musikstücke des einen auf Sequenzen des oder der nächsten übergreifen. Das gemeinsame Musizieren der fünf Musiker und Musikerinnen in einem idyllisch gelegenen Haus am See bildet den Schlußteil. Der Weg dorthin führt über eine den Film umspannende Parallelmontage, die mit einem Tango beginnt und endet. Weil im ganzen Film keine Gründe für die Durchführung des Konzertes am Schluß gegeben werden, wirkt es als Unternehmen ohne tieferen Sinn. Zwar verweist der Titel erklärend auf den Bereich zwischen den Tönen oder sogar zwischen den Menschen und somit auf das Abenteuer der Grenzüberschreitung. Der ganze utopisch-gesellschaftliche Aspekt der gegenseitigen Annäherung über kleinlich gesetzte Grenzen hinweg wird allerdings nicht weiter ausgeführt.

Dank den stimmigen Schwarzweißbildern sowie der dem Rhythmus der Musik angepaßten Montage kann man Zwischentöne vor allem im Sinne eines harmonischen Zusammenspiels von Bild und Ton verstehen. Dabei wird weder das eine noch das andere zur schlichten Illustration degradiert. Die ausgewogene Kameraführung von Dieter Fahrer sorgt dafür, daß das für die atmosphärische Dichte wichtige Detail in der Menge der fünf verwobenen Erzählstränge nicht verlorengeht. Er geht zu den Musikern und Musikerinnen auf respektvolle Distanz und gestaltet vollgestopfte Räume durch das Wechselspiel von vignettenhaften Einzeleinstellungen. Obgleich die Verflechtung der verschiedenen Sequenzen zum Teil beliebig wirkt und sich die Poesie durch die Kurzatmigkeit der einzelnen Szenen nicht immer einstellt, überzeugt der Musikfilm nicht zuletzt dank den porträtierten Persönlichkeiten.

Kathleen Bühler
*1968, Dr. phil., studierte Kunstgeschichte, Filmwissenschaft sowie Philosophie und promovierte an der Universität Zürich über das Experimentalfilmschaffen von Carolee Schneemann (Marburg 2009). Seit 2008 Kuratorin und Leiterin der Abteilung für Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bern.
(Stand: 2019)
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